Streik an der Charité gegen Tarifflucht

08.09.2016, Lesezeit 4 Min.
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#AufstandDerTöchter: Am Mittwoch traten über hundert Beschäftigte der Charité Facility Management (CFM) in einen eintägigen Warnstreik. Unterstützung bekamen sie von dutzenden Aktivist*innen und anderen prekär Beschäftigten aus anderen Unternehmen des Landes Berlin.

„We will rock you!“ von Queen schallte aus einem Lautsprecherwagen, der auf das Rote Rathaus steuerte. Dahinter liefen hundert Arbeiter*innen mit roten T-Shirts und Trillerpfeifen. Es waren die Beschäftigten der Charité Facility Management (CFM) – eine Servicetochter des Universitätsklinikums Charité. Auf einem Schild stand: „10 Jahre Tarifflucht sind genug!“ Verschiedene Landesregierungen sagen seit einem Jahrzehnt, dass kein Geld da sei, um im Krankenhaus mehr als Niedriglöhne zu zahlen. Doch die Demo führte auch an das im Bau befindliche Berliner Stadtschloss vorbei: Dafür stehen hunderte Millionen Euro zur Verfügung.

Der Arbeitskampf begann ziemlich genau fünf Jahre nach dem letzten großen Streik für einen Tarifvertrag an der CFM. Damals waren die Kolleg*innen dreizehn Wochen lang im Ausstand. Doch das Einzige, was sich seit 2011 geändert hat, ist die Anzahl Beschäftigten, die 30-40 Prozent weniger verdienen als andere Krankenhausmitarbeiter. Inzwischen sind 2.200 bei der CFM. Diese Tochterfirma war 2006 gegründet worden, um den Tarifvertrag der Charité-Beschäftigten zu unterlaufen. Damit soll jetzt – endlich! – Schluss sein.

Ab 05:00 Uhr hatten sich deshalb Streikposten an allen drei Standorten der Charité in Berlin aufgestellt. Die Aufgabe war, Streikende zu begrüßen, unentschlossene Kolleg*innen zu überzeugen und Charité-Beschäftigte und Patient*innen zu informieren. Begleitet wurden sie von früh an von solidarischen Unterstützer*innen. Mehrmals zogen die Streikenden über die Stationen und riefen zur Streikteilnahme auf.

Streikende berichteten von sehr unterschiedlichen Stimmungen: Einige Bereiche wie der Krankentransport oder die Modulversorgung in Mitte wurden fast komplett lahmgelegt. Auch Streikende der Sicherheit und der Logistik waren zahlreich vertreten. Selbst einige Kolleg*innen aus den schwer zu mobilisierenden Bereichen Reinigung und Sterilisation kamen mit raus. Doch es gab auch andere Bereiche, wie besonders am Campus Benjamin Franklin, wo fast keine Kolleg*innen den Schritt in den Warnstreik wagten.

Die Situation ist alles andere als einfach. Vor fünf Jahren hatten die Kolleg*innen ein Vierteljahr lang die Streikfront aufrechterhalten. Doch die Führung von ver.di bremste den Kampf und beendete ihn schließlich mit einem mehr als dürftigen Ergebnis: Seitens der Geschäftsführung gab es lediglich eine Zusage über ihre Verhandlungsbereitschaft. Diese Verhandlungen brachten keinerlei Ergebnis. Und so eine schmerzhafte Erfahrung vergessen die Kolleg*innen nicht. ver.di konnte viele noch nicht überzeugen, dass jetzt wirklich bis zur Erfüllung der Forderungen gestreikt wird.

Bei einer Streikkundgebung am frühen Nachmittag wurden Grußbotschaften vorgelesen, von Kolleg*innen der Vivantes Service Gesellschaft, von Pfleger*innen der Charité, von einem Solidaritätsbündnis, sogar aus der Türkei und aus Israel. Es wurde auch eine erste Bilanz gezogen, von den Erfolgen der Mobilisierung, aber auch von den Schwierigkeiten, Kolleg*innen vom Streik zu überzeugen. Im Anschluss zog eine lautstarke Demonstration über den Campus und rief „Tarifvertrag jetzt!“

Der Warnstreiktag endete mit einer kämpferischen Demonstration vom Campus Mitte zum Brandenburger Tor und zum Roten Rathaus. Den Auftakt machten die Beschäftigten des Botanischen Gartens der FU Berlin, die nun nach fast anderthalb Jahren Arbeitskampf kurz vor einem Tarifabschluss stehen. In zwei Jahren werden die Beschäftigten der Tochterfirma, die bisher nur knapp über Mindestlohn verdienten, nach dem Tarifvertrag der Länder entlohnt. „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ ist möglich – #KämpfenLohntSich. Dieser gewaltige Erfolg kann die Kolleg*innen der CFM anspornen. In einer emotionalen Geste übergab Ronald vom Botanischen Garten die gelben Streiktransparente der dortigen Kolleg*innen an die Streikenden der CFM.

Im aktuellen Wahlkampf versprechen alle Parteien – auch die seit zehn Jahren regierende SPD – dass sie für bessere Löhne sorgen wollen. Aber waren haben die Sozialdemokrat*innen diese Zustände überhaupt erst geschaffen? Warum unternehmen sie nicht etwas dagegen, solange sie noch an der Regierung sind? Die Streikenden verlassen sich jedenfalls nicht darauf, dass die Wahlen ihre Situation verbessern. Sie werden „bis zum Schluss“ streiken, wie ein Kollege sagte. Dafür haben sie die volle Solidarität von klassenbewussten Arbeiter*innen und kämpferischen Jugendlichen.

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