Straßenschlacht in Bagdad
Während in den Medien fast nichts zu lesen ist über die Aufstände im Irak, werden dort auf offener Straße Menschen erschossen, explodieren Granaten mitten in der demonstrierenden Menge. Auch an diesem Wochenende gab es wieder Tote und Verletzte in der irakischen Hauptstadt. Ein Bericht von Ammar Almayali.
Im Irak herrscht der Ausnahmezustand, seit über einer Woche befinden sich weite Teile der Bevölkerung im Generalstreik. Die Situation in Bagdad ist mittlerweile zur offenen Straßenschlacht eskaliert, mit ungleichen Gegner*innen. Auf der einen Seite stehen die verarmten Schichten der Stadt, junge Menschen, die sich mit den dürftigsten Mitteln gegen die Repression des Regimes schützen wollen. Ihre Forderungen sind nach wie vor dieselben: eine neue Verfassung, Kampf der
Korruption und Arbeitslosigkeit, Sicherstellung der öffentlichen Kranken-, Wasser- und Stromversorgung. Mit Handys versuchen sie die Bilder fest zu halten, die derzeit die Szenerie rund um den Tahrir-Platz und die angrenzende Al Jumhuria-Brücke über den Tigris prägen: Barrikaden, Gas in der Luft, Blut auf den Straßen. Heldenhaft kämpfen sie mit Tuk-Tuks und Steinen um jeden Meter. Die Demonstrierenden wollen über die Brücken ins dahinter gelegene Regierungsviertel, die sogenannte grüne Zone. Hier sind die Ministerien und das Parlament angesiedelt. Im angrenzenden Al Karch-Viertel leben Diplomat*innen, Parteifunktionär*innen,
Parlamentarier*innen und die reiche Oberschicht.
Den Massen auf der Straße gegenüber feuern Sicherheitskräfte des Regimes mit Schnellfeuerwaffen, zielen mit Gasgranaten direkt auf die Köpfe der Menschen. Berichten zufolge wird dabei die zehnfache Menge dessen verschossen, was die Sicherheitskräfte sonst benutzen. Allein am letzten Wochenende sollen über ein Dutzend Menschen getötet worden sein. Immer wieder sind in den Aufnahmen vermummte Milizen zu sehen, die vermutlich im Sinne des Irans und den USA vor Ort intervenieren, um das derzeitige Regime zu schützen.
Es scheint aber auch Versuche zu geben, die Demonstrationen zu diskreditieren. In Karbala stand gestern das iranische Konsulat in Flammen, wer hinter dem Brand steht ist indes noch unklar. In Erklärungen distanzieren sich führende Teile der Proteste von der Aktion und machen Regierungskräfte verantwortlich, die Demonstrationen sabotieren zu wollen.
Ähnlich wie in Chile, versucht das Regime, die Proteste zu spalten und mit der Aussicht auf Reformen die Massen zu beschwichtigen. So erklärte der irakische Präsident Barham Salih in einer Fernsehansprache letzten Donnerstag, dass er friedliche Proteste und legitime Forderungen unterstütze. Die unterdrücktesten Sektoren müssen saniert werden, so Barham Salih. Weiterhin gab er bekannt, dass Premierminister Adel Abdul Mahdi seinen Rücktritt angeboten habe, unter der Voraussetzung, dass sich die politischen Blöcke im Parlament auf eine gemeinsame Alternative einigen und somit die existierende Verfassung bewahrt bleibe. Barham Salih betonte in seiner Rede, dass er die Angriffe auf friedliche Demonstrationen ablehne und die Repression inakzeptabel sei. Er forderte schnelle Maßnahmen, um diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die übermäßige Gewalt angewendet haben. Die Lösung bestehe in Reformen und der Konfrontation derjenigen, die dem Irak Schaden anrichten wollen. Laut Barham Salih sei ein neues Wahlrecht in Bearbeitung, um eine gerechtere Vertretung und die Bildung eines unabhängigen Gremiums zur Überwachung der politischen Vorgänge zu gewährleisten. Er wolle damit den Weg für einen nationalen Dialog im Einklang mit der Verfassung ebnen.
Derweil haben die Demonstrierenden in Bagdad die zweite Brücke über den Tigris besetzt, die Al Sinak Brücke. Sie geben sich mit den Krümeln, die ihnen von den Herrschenden hingeworfen werden, nicht mehr zufrieden.