Strache ist kein Wendepunkt, sondern Vorspiel für ein Europa der Skandale
Straches Fall bedeutet keine Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen. Denn Kurz wird seine arbeiter*innenfeindlichen Angriffe vertiefen. Der sterbende Neoliberalismus kann sich nur durch Skandale halten.
Das Ende der österreichischen Regierung hätte kaum grotesker kommen können. In lockerer Koks- und Wodka-Bull-Atmosphäre plauderte der FPÖ-Vorsitzende Strache 2017 über illegale Parteispenden und glaubte einen tollen Deal einzufädeln: Die Kronen-Zeitung auf FPÖ-Linie zu bringen und dafür der vermeintlichen Investorin ein paar Staatsaufträge zuzuschustern.
Kurz spielt sich als Retter auf
Korruption, Beeinflussung der Presse und Machtmissbrauch – in der Politik nicht gerade neu, wurden von Strache doch zu töricht angebahnt. Am Tag nach Bekanntwerden des Skandals gab sich Kanzler Kurz staatstragend und schaltete gleich in Wahlkampfmodus. Er versucht sich nun als Retter Österreichs aufzuspielen, nachdem er Strache und seine Clique erst an die Macht holte.
Der Rücktritt Straches reichte Kurz dabei nicht: Auch FPÖ-Innenminister Kickl sollte gehen. Dies jedoch nicht wegen inhaltlicher Differenzen, wie ÖVP und FPÖ immer wieder betonten. Denn in ihrer arbeiter*innenfeindlichen Politik waren sie sich einig: Zwölf-Stunden-Tag, Steuererleichterungen für Großkonzerne in Höhe von 1,6 Milliarden Euro, rassistische Gesetze wie zuletzt das Kopftuchverbot an Grundschulen und eine Gehaltsobergrenze von 1,50 Euro pro Stunde für Geflüchtete, die Hilfsarbeiten verrichten.
Was Kurz an Kickl störte, war dessen zu selbstbewusstes Auftreten im Innenministerium, mit dem er versuchte, die Agenda der Regierung zu bestimmen und seine eigenen Leute in wichtigen Posten zu platzieren. Drastisches Beispiel: Eine Razzia, die der Innenminister im letzten Jahr beim Geheimdienst BVT anordnete. Der Kanzler forderte mit Kickls Rücktritt nicht weniger als die Unterordnung der FPÖ. Eine unannehmbare Forderung für die Blauen, die sich komplett aus der Regierung zurückzogen.
Dass Kurz den Bruch der Koalition bereits vor den Neuwahlen forcierte und nun Technokrat*innen in die Ministerien setzt, zeigt seine Bereitschaft, einen bonapartistischen Alleingang zu gehen – damit folgt Österreich einer Tendenz in der EU zu entkoppelten Regierungen, die ihren stärksten Ausdruck mit Macron in Frankreich haben. Die FPÖ hat sich selbst demontiert; Kurz wird versuchen, enttäuschte Wähler*innen in seinem Lager zu vereinigen und eine gestärkte Rechte unter seiner Führung zu etablieren.
Das Bündnis mit der rechtsradikalen FPÖ war für Kurz der Eisbrecher. Nun kann er die gleiche Politik fortsetzen ohne den lästigen und pöbelhaften Anhang der Strache-Clique. Der Ibiza-Skandal hat gezeigt wie krisenhaft es ist, sich auf die radikalen Rechten zu verlassen. Aber das österreichische Parteiensystem ist morsch geworden. Eine Rückkehr zur Sozialdemokratie nicht möglich. Nicht nur weil sich die SPÖ selbst mit Skandalen zerlegte, sondern das Problem geht noch tiefer: Weil die sterbende Phase des Neoliberalismus eine Klassenvermittlung durch die Sozialdemokratie in Europa immer weniger zulässt.
Es werden noch viele Straches kommen
Wie in anderen europäischen Ländern haben sich die sozialdemokratischen Parteien mit ihrer Anpassung an den Neoliberalismus verbraucht. In Zeiten der wachsenden internationalen Machtrivalität fordert das Kapital neue harte Angriffe gegen die Arbeiter*innen. Anders als noch in den 2000er Jahren können die Sozialdemokratien kaum weiter nach rechts gehen ohne komplett zerrieben zu werden.
Weder mit SPÖ noch FPÖ kann Kurz eine stabile und durchgreifende Regierung bilden. Er wird dazu gezwungen sein, seine neoliberalen Angriffe mit einem autoritären Staatsumbau zu kombinieren. Ähnlich wie in Frankreich, wo Emmanuel Macron seine arbeiter*innenfeindliche Politik gegen den Widerstand der Gelbwesten mit dem Polizeiknüppel durchsetzt.
Der Neoliberalismus wütet nun seit mehr als 25 Jahren in Europa; hinterlassen hat er verbrannte Erde. Die bürgerliche Politik stützt sich immer stärker auf zynische Gestalten, die niemandem unterworfen sind, außer ihrer eigenen Macht- und Habgier. Das spült schon mal Personal wie Strache in die höchsten Staatsämter, der noch als junger Mann in paramilitärischen Nazi-Gruppen „Wehrsportübungen“ im Wald abhielt.
Nun ist der Emporkömmling Strache mit seinem Korruptionsversuch zu ungehobelt vorgegangen. Das ändert nichts daran, dass Kurz zwar einen anderen persönlichen Stil pflegen mag, seine arbeiter*innenfeindliche Politik aber zwingend die nächsten Skandale produzieren muss. Die rassistischen Polizeiapparate handeln zu den gleichen Zwecken, die Demagogie der Kronen-Zeitung wird sich weiter gegen Muslime*Muslimas und Migrant*innen richten – egal ob sie der ÖVP oder FPÖ näher steht.
Es ist das Zeitalter der personalisierten Herrschaften in Europa angebrochen, in dem die bürgerlich-demokratischen Spielregeln mehr und mehr aus den Angeln gehoben werden. Eindrucksvoll präsentieren das Viktor Orbán in Ungarn und Andrzej Duda in Polen. Auch in Deutschland hat die Union einen harten Rechtsruck hingelegt und seit der letzten Wahl, die im Abzug Merkels auf Raten endete, ist die Zeit stabiler Regierungen in der Bundesrepublik vorbei. Muslimfeindlichkeit, Skandale um den Verfassungsschutz, innere Militarisierung bestimmen immer wieder die öffentliche Debatte, vorangetrieben durch Seehofer und zunehmend Kramp-Karrenbauer, die wiederum Friedrich Merz und die AfD im Nacken spürt.
Österreich ist das nächste Land, das sich im Sog des Rechtsrucks anschickt, den Weg in Richtung bonapartistischen Staatsumbaus zu gehen. Auch für Deutschland ist diese Perspektive nicht mehr weit.