Stichwahl in Brasilien: Widerstand gegen Bolsonaro organisieren!

11.10.2018, Lesezeit 10 Min.
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Wir veröffentlichen hier die politische Erklärung der Revolutionären Bewegung der Arbeiter*innen (MRT) vor der Stichwahl in Brasilien. Angesichts des Voranschreitens der extremen Rechten bei den manipulierten Wahlen verkündet sie ihre kritische Stimme für den Kandidaten der Arbeiterpartei (PT) Haddad, um den Hass und Kampfeswillen gegen Bolsonaro zu fördern. Die MRT ist die brasilianische Organisation der Trotzkistischen Fraktion - Vierte Internationale.

Erklärung der MRT zur Stichwahl in Brasilien: Bolsonaro ist der Vormarsch des Autoritarismus, Erbe der Militärdiktatur

Bolsonaro stand in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen kurz vor dem Sieg und geht als großer Favorit in die zweite Runde der Wahlen. Sein Sieg bedeutet einen Sprung im institutionellen Putsch, der zur Absetzung von Dilma Rousseff führte. Der Putsch wurde von tiefen Angriffen auf die Arbeiter*nnenklasse und die arme Bevölkerung begleitet, wie der Privatisierung von Petrobras und dem Verkauf von Öl zu irrsinnigen Preisen, sowie einer ganzen Reihe reaktionärer Reformen.

Selbst in dem sehr unwahrscheinlichen Fall, dass Bolsonaro bei der Stichwahl verliert, hat dieser wirtschaftliche, soziale, politische und militärische Block bereits reaktionäre Kräfte freigesetzt. Diese werden auch zukünftig eine große Gefahr für Arbeiter*innen, Frauen, Schwarze, sexuelle Minderheiten, Indigene und für alle armen Menschen darstellen.

Diese Wahlen haben sich zu einem Schreckensspektakel entwickelt, wie eindrucksvoll die Tatsache zeigt, dass die Bürger*innen nicht mehr das Recht haben, für ihre*n bevorzugte*n Kandidat*in zu stimmen: Lula, der der Kandidat mit der laut Umfragen höchsten Abstimmungsabsicht war, wurde von der Wahl ausgeschlossen. Ein weiteres Beispiel ist die geheime Absprache zwischen der Operation „Lava Jato“ und dem Medienriesen Globo, die zugunsten jener Kandidat*innen agierten, die die reaktionärsten Interessen der konzentriertesten Kapitalfraktionen des Landes vertreten.

Hinter der Kandidatur von Bolsonaro stehen neben der US-Botschaft und der Trump-Regierung ultra-millionenschwere Kapitalist*innen, wie: Jorge Paulo Lemann, der reichste Mann Brasiliens, Besitzer von Ambev; Alexandre Bettamio, Präsident der Bank of America für Lateinamerika; João Cox, Vorsitzender des Verwaltungsrats von TIM; und Sergio Eraldo de Salles Pinto von Bozanno Inversiones (Investmentagentur unter dem Vorsitz von Paulo Guedes, Finanzminister von Bolsonaro). Diese Großunternehmer*innen, mit denen Bolsonaro zusammenkommt, um ihnen die Teilnahme an seiner Regierung vorzuschlagen. Ihr Ziel ist die brutale Kontinuität von Temers Angriffen auf die Arbeiter*innen, die Unterdrückung und Ermordung von Bauern und Bäuerinnen durch die Agrarindustrie, und Fortschritte beim Ausverkauf des nationalen Reichtums, einschließlich des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras – das größte Unternehmen im Land, Ziel der imperialistischen Gier, und Grundlage der Lava Jato-Operation.

Das Medienunternehmen Bloomberg, die große Nachrichten- und Wirtschaftsagentur des internationalen Finanzkapitals, begrüßte den Höhenflug an den Börsen, die die positiven Ergebnisse von Bolsonaro entfachten. Dazu kommen die Sektoren, die mit der Agrarindustrie zusammenarbeiten: jene Bosse Brasiliens, die berühmt-berüchtigt dafür sind, sklavenähnliche Ausbeutungsverhältnisse aufrechtzuhalten. Nicht zu vergessen sei auch die so genannte „Kugelgruppe“ (Abgeordnete mit Militärhintergrund und Polizist*innen, die Teil der permanenten Kampagne von Hardliner*innen für die Repression der Polizei in den Favelas und die Straflosigkeit der Polizei waren). Alle von ihnen genießen den Segen der evangelikalen Kirchen, die Bolsonaro mit überwältigender Mehrheit unterstützten, und Hauptverbreiter von „Fake News“ zu seinen Gunsten in den sozialen Netzwerken waren. Damit fütterten sie den reaktionärsten Konservativismus und die moralische Zerstörung der Gegner*innen. Sie vergifteten das soziale Klima so sehr, dass neben einer ganzen Reihe an reaktionären Angriffen selbst Marielle Francos Schwester angegriffen wurde, und auch Mestre Moa, ein Capoeira-Meister aus Bahia und anerkannte Figur im Kampf gegen Rassismus. Mestre Moa wurde einen Tag nach der ersten Wahlrunde im Alter von 63 Jahren erstochen.

Bolsonaro, der bis vor kurzem innerhalb der Streitkräfte als Randfigur angesehen wurde, wird heute von der Militärführung in der Person vom Reservegeneral Augusto Heleno hofiert, genauso vom Reservegeneral Antonio Hamilton Martins Mourão, der die Militärdiktatur von 1964 und Folterer wie Colonel Brilhante Ustra verteidigt. Bolsonaros Wahl des ultra-neoliberalen Paulo Guedes als Wirtschaftsminister war das Signal, das die Militärführung brauchte, um sich Bolsonaro anzunähern, da das Militär in Brasilien den US-Interessen untergeordnet ist.

In beiden Augenblicken, als der Oberste Bundesgerichtshof die Möglichkeit hatte, zu Gunsten von Lula zu urteilen, drohte der Oberbefehlshaber der Armee, General Villas Boas – offener Verfechter der Operation Lava Jato und der autoritären Maßnahmen der Justiz – öffentlich mit der Intervention der Streitkräfte, je nach dem was die Richter*innen des Gerichtshofs bezüglich der Fortsetzung der Putschpolitik beschließen würden.

Bolsonaro ist stolz auf die Militärdiktatur und die Foltermethoden. Obwohl er im Fernsehen erklärt hatte, dass er im Falle seines Wahlsieges den Kongress schließen würde, hält er sich heute bedeckt und stilisiert sich als „Demokrat“, um sich die Mehrheit der Stimmen (in einer offen manipulierten Wahl) zu sichern. Jedoch machen wir uns nichts vor. Sein Vize Mourão lügt nicht, wenn er sagt, dass er das dreizehnte Monatsgehalt abschaffen will, genauso wie Bolsonaro nicht lügt, wenn er sagt, dass er mit allen staatlichen Unternehmen Schluss machen und alle Arbeitsrechte flexibilisieren will, viel mehr als Temer schon getan hat.

Wenn das Militärduo Bolsonaro und Mourão alle von den großen Geschäftsleuten und Finanziers gewünschten reaktionären Angriffe auf „demokratischen“ Wege durchführt, indem sie sich auf das vergangenen Sonntag gewählte überwiegend reaktionäre Parlament stützen, wird sich eine autoritäre (bonapartistische) Regierung mit „demokratischem“ Anstrich festigen. Tatsächlich jedoch wurden sie nur bei einer von den Putschisten absolut manipulierten Wahl gewählt, die der extremen Rechten zugute kommt – im Rahmen eines politisches Systems, das auf dem Autoritarismus der Justiz basiert (das die Bundespolizei als „Rammbock“ benutzt), unterstützt vom Militär, um alle Formen von Widerstand oder Hinterfragung zu unterbinden.

Dies ist das ideale Szenario, das von den großen Geschäfts- und Finanzsektoren erträumt wurde, die sich komplett auf der Seite von Bolsonaros Kandidatur schlugen. Aber wenn es nötig ist, werden Bolsonaro und Mourão auch kein Problem haben, „demokratische“ Institutionen zu opfern und mittels der Exekutive zu regieren, indem sie sich direkt auf die Polizei und die Streitkräfte stützen. Mourão hat selbst schon von „Selbstputsch“ gesprochen.

Es gibt große Widerstandskräfte

Die Arbeiter*innenklasse ist jedoch noch nicht strategisch besiegt worden. Vergangenes Jahr war sie treibende Kraft bei den zwei großen landesweiten Streiks, die Temers Rentenreform stoppten. Und wenn die Arbeiter*innenklasse den Kampf zur Beendigung der Arbeitsreform nicht vertiefen konnte, lag das an der Politik der CUT und der CTB (die beiden Gewerkschaftszentralen, die von Haddads PT und von der PcdoB von Manuela Avila angeführt werden), die diese Energie nutzten, um sie für ihre Wahlstrategie umzulenken.

Die unabhängige Mobilisierung von Arbeiter*innen, Jugendlichen, Schwarzen, Frauen, sexuellen Minderheiten, Obdachlosen und Landlosen auf den Straßen, in Streiks und Besetzungen ist die einzige soziale Bewegung, die – von Arbeiter*innen angeführt – dem Voranschreiten des Autoritarismus und der extremen Rechten entgegentreten kann, ja sogar Selbstverteidigungsausschüsse organisieren kann.

Nur der Sieg eines Widerstandes, der in den Fabriken, in den Betrieben, in den öffentlichen Einrichtungen, an den Universitäten, in den Schulen und vor allem auf den Straßen stattfinden muss, wird die Politik des großen Finanzkapitals, der großen Unternehmer*innen, der Judikative und die großen Medien niederschlagen. Nur ein solcher Widerstand kann die Festigung eines zutiefst arbeiterfeindlichen Regimes, eines erbitterten Feindes von Frauen, von sexuellen Minderheiten, von der schwarzen Bevölkerung, von den indigenen Völkern und von allen progressiven Kräften verhindern.

Wenn man nicht kämpft und sich nur auf das parlamentarische Spiel, auf die Vereinbarungen mit „demokratischen Kapitalist*innen“, auf die gewerkschaftliche Routine der paritätischen Ausschüsse und auf die ultraminoritären Märsche der gewerkschaftlich organisierten Sektoren beruft, ist die Niederlage sicher.

Selbst die liberalsten bürgerlichen Sektoren der Vereinigten Staaten von Amerika, wie das Magazin Foreign Policy, sagen, dass Bolsonaro „kein einfacher Rechtspopulist“ sei, wie Trump und viele andere, die weltweit um sich greifen. Sie sagen, er sei viel undemokratischer und rechter, Haupterbe der blutrünstigen Militärdiktaturen wie der von Pinochet in Chile und von Videla in Argentinien. Obwohl in Brasilien noch kein Regime dieser Art etabliert ist, werden sie ihr ganzes Gewicht nutzen, um uns eine enorme Vertiefung der Ausbeutungsrate und Unterdrückung aufzuzwingen.

Uns ist bewusst, dass die PT völlig unfähig ist, dieser Dynamik etwas entgegenzusetzen. Die PT hat jahrelang mit den Kapitalist*innen regiert und dabei ihre Methoden von Korruption assimiliert und sich damit gebrüstet, ihnen unglaubliche Gewinne zu garantieren. Dann wollte sie zeigen, dass sie ihnen immer noch dienen konnte, indem sie Dilmas zweite Amtszeit mit der Durchführung von Kürzungsmaßnahmen gegen die Arbeiter*innen begann und somit die Demoralisierung ihrer eigenen sozialen Basis vervollständigte. Auf diese Weise ebnete sie den Weg für Temers Putsch, der ihn an die Regierung brachte, um schneller mit den Angriffen vorzurücken. Ihre reine elektorale Strategie, ihre Politik der Eindämmung des Klassenkampfes, um die Unzufriedenheit auf dem Wahlzettel auszudrucken, konnte dem institutionellen Putsch keinen ernsthaften Widerstand entgegensetzen. Als sie in der Opposition war, bestand ihre Antwort auf den Hass der Massen auf die Lava Jato-Justiz und den Globo-Medienkonzern darin, Illusionen in die Justiz und in die Wahlen zu schüren, was sich als völlig unfähig erwies, das Voranschreiten der extremen Rechte aufzuhalten.

Deshalb müssen wir uns jetzt auf die bevorstehenden Kämpfe vorbereiten und eine militante Kraft an den Arbeits- und Lernstätten organisieren, die in der Lage ist, die Aktionseinheit der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen aufzuzwingen. Nur so können wir den Angriffen der extremen Rechten eine nicht routinemäßige Antwort entgegenzusetzen, d.h. eine proletarische Einheitsfront errichten, die angemessen auf die Schärfe der Angriffe reagiert. Ohne sie wird es unmöglich sein, den reaktionären Block zu brechen, der hinter Bolsonaro steht.

Die CUT, die CTB und alle Gewerkschaftszentralen müssen ihre absurde Lähmung durchbrechen und Versammlungen in allen Sektoren organisieren, um die Arbeiter*innen angesichts der bevorstehenden Kämpfe zu organisieren, indem sie Basiskomitees im ganzen Land aufstellen.

Als Revolutionäre Bewegung der Arbeiter*innen (MRT) haben wir eine großen Kampf gegen den Staatsstreich geführt, gegen die willkürliche Inhaftierung von Lula und das Veto gegen seine Kandidatur, stets mit einer von der PT unabhängigen Politik. Dabei hat die Zeitung Esquerda Diario eine wichtige Rolle in diesen Schlachten und Kämpfen gespielt, die in den letzten 30 Tagen drei Millionen Zugriffe erreicht hat. Jetzt stehen wir Seite an Seite mit all den Arbeiter*innen, Frauen, Schwarzen, jungen Leuten und sexuellen Minderheiten, die Bolsonaro hassen und ihn bei den Wahlen besiegen wollen, indem sie für Haddad stimmen.

Die MRT tut dies, ohne die Politik der PT oder ihre elektorale Strategie zu unterstützen, Pakte mit kapitalistischen Parteien und Putschistenparteien zu suchen, die sich jetzt als „demokratisch“ ausgeben. Heute, angesichts der Außergewöhnlichkeit der brutal manipulierten Wahlen, die den Vormarsch des von der Diktatur ererbten Autoritarismus begünstigen, der in der Tat einen reaktionären Regimewechsel durchsetzen will, begleiten wir den Hass und den Willen, gegen Bolsonaro zu kämpfen, indem wir einen kritischen Wahlaufruf für Haddad machen. Dabei betrachten wir es als zentrale Aufgabe aller politisch bewussteren Arbeiter*innen und Jugendlichen, dazu beizutragen, diesen Hass auf das einzige Terrain zu lenken, auf dem wir Erfolg haben können: den Klassenkampf, damit die Kapitalist*innen es sind, die für die Krise zahlen.

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