Spanischer Staat: Verhasste PP-Regierung gestürzt – doch was bringt die Sozialdemokratie?

01.06.2018, Lesezeit 8 Min.
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Zum ersten Mal in der Geschichte des Spanischen Staates wurde ein Ministerpräsident durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt gekickt. Die Linkspartei Podemos und die baskischen und katalanischen Nationalist*innen unterstützten den Antrag der Sozialdemokratie von Pedro Sánchez, um die Regierung von Mariano Rajoy vorzeitig zu beenden. Doch für welche Regierung steht Sánchez?

Pedro Sánchez hat es geschafft. Mit den Stimmen der linksreformistischen Podemos und den nationalistischen Parteien aus Katalonien und dem Baskenland setzte ein Misstrauensvotum der verhassten und korrupten Regierung der konservativen Volkspartei (PP) ein Ende.

Die Konservativen mussten gehen, weil das Urteil im „Gürtel“-Korruptionsskandal vom 24. Mai das bestätigte, was alle wussten: Hohe Köpfe der Partei wurden wegen Korruption zu langen Haftstrafen verurteilt und der Partei wurde attestiert, ein System der „institutionalisierten Korruption“ etabliert zu haben. Das Urteil stellte auch Ministerpräsident Rajoys Aussage im Prozess in Frage, der bestritten hatte, von einem „zweiten“ Konto seiner Partei gewusst zu haben, in die befreundete Unternehmer*innen einzahlten, um später staatliche Aufträge zu erhalten.

Dass sich die verhasste Regierung überhaupt so lange halten konnte, lag an der Unterstützung durch die nationalistische Rechte Ciudadanos und kleinerer Parteien wie der baskischen konservativen PNV. Auch die sozialdemokratische PSOE unterstützte die wichtigsten Projekte der abgesetzten Regierung, wie die reaktionäre Offensive gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und die Anwendung des Verfassungsartikels 155, der Katalonien die Autonomie entzog.

Die ersten, die sich hinter das Misstrauensvotum der PSOE von Sánchez stellten, war die Parlamentsfraktion von Unidos Podemos (Podemos, Izquierda Unida und regionale Gruppen) und die valencianische Compromís mit zusammen 71 Abgeordneten. Sánchez sicherte sich die Unterstützung der katalanistischen Parteien PDeCAT und ERC mit der Zusage eines Dialogs mit der neuen katalanischen Regierung, obwohl er selbst die Repression der Rajoy-Regierung mitgetragen hatte. Die baskischen Konservativen der PNV wurden mit der Zusage gewonnen, den von der PP-Regierung beschlossenen Spar-Haushalt beizubehalten, der 550 Millionen Euro extra für das Baskenland vorsieht.

Diese Gemengelage an unterschiedlichen Interessen macht deutlich, dass die neue Regierung schwach sein wird. Die Minderheitsregierung der PSOE kann sich alleine auf ihre 84 Abgeordneten verlassen und wird für ihre Reformen die Unterstützung von Podemos und den kleineren Parteien benötigen. Auch im Senat hat die PP weiterhin eine absolute Mehrheit. Sánchez hat sich zwar dazu verpflichtet, Neuwahlen einzuberufen, doch aktuell führen die neoliberalen Ciudadanos die Umfragen. Die PSOE wird den neugewonnenen Posten dazu nutzen, in der Wähler*innengunst zu steigen, bevor sie Neuwahlen abhält.

Dabei ist besonders Katalonien weiterhin ein schwieriges Feld: Sánchez ist zwar auf die Stimmen der PDeCAT und ERC angewiesen, doch er hat sich bisher noch nicht über die Zukunft der politischen Gefangenen und Exilierten beider Parteien geäußert. Im Laufe der katalanischen Krise hat die Justiz eine zentrale eigene Rolle entwickelt und Sánchez wird ihr diese Rolle nicht streitig machen wollen, da er sie bisher vollkommen unterstützte. Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass er mit Hilfe eines neuen Autonomiestatutes oder größerer finanzieller Freiheiten versucht, die katalanische Krise endgültig im Sinne des Regimes zu beenden, auch wenn er dafür von der zentralistischen Offensive seiner Vorgängerregierung abweicht.

Der lange Atem des Zweiparteiensystems

Die Anführer*innen von Podemos sahen in dem Abgang von Rajoy den Beginn einer Zeit der „Hoffnung“ und feierten am Ende der Abstimmung im Parlament mit den Rufen „Sí, se puede“, dem spanischen Äquivalent zu „Yes, we can“. Das Ende der siebenjährigen Regentschaft der PP unter Mariano Rajoy leitet unweigerlich den Beginn einer neuen politischen Periode ein. Doch was wird sich wirklich ändern?

Es ist hilfreich, wenn man sich ins Gedächtnis ruft, dass das Misstrauensvotum nur wenige Tage nach dem siebenten Jahrestag des Ausbruchs der Empörtenbewegung „15M“ stattfand. Damals machten die Demonstrierenden durch ihren Ruf „PSOE-PP, es ist die gleiche Scheiße!“ die Ablehnung des spanischen Zweiparteiensystems in breiten Teilen der Gesellschaft deutlich. Damals saß noch ein „sozialistischer“ Präsident im Moncloa-Palast und führte eine Sparpolitik durch, um den Arbeiter*innen und breiten Massen die Kosten für die Wirtschaftskrise aufzudrücken.

Die Falle des Zweiparteiensystems, der wechselseitige Austausch von PP und PSOE, funktionierte seit Beginn des Regimes nach dem Ende der Franco-Diktatur als einer seiner Grundpfeiler. Es handelt sich um zwei Parteien, die, wie es Sánchez im Parlament ausdrückte, „staatsmännische Verantwortung“ besitzen. Ihr Ziel ist es, die Verfassung von 1978 mit der in ihr festgeschriebenen unabänderlichen Einheit Spaniens – der Negation des Rechtes auf Selbstbestimmung für die unterdrückten Nationen – und der Monarchie zu verteidigen. Beide eint zudem die Politik der Straffreiheit für die Vergehen zu Zeiten der Diktatur und die neoliberalen Sparprogramme. Zusammen trieben sie die Integration des spanischen Staates in die EU und die NATO voran und unterstützten die spanischen Großkonzerne bei der Übernahme anderer Unternehmen und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen in Lateinamerika.

Zusammen bilden sie das, was Tariq Ali „extremes Zentrum“ taufte. Es gibt natürlich auch Unterschiede: Während die PP diese Politik offen durchführt und sich stolz auf ihre rechte DNA beruft, versuchte die PSOE immer, sie hinter angeblichen „fortschrittlichen Werten“ zu verstecken. Seit der „15M“-Bewegung verlor diese Falle jedoch an Durchschlagskraft. Es wurde deutlich, dass die PSOE sich mittlerweile zum besten Verwalter des Neoliberalismus verwandelt hatte.

Ebenfalls im Mai, jedoch vor vier Jahren, erzielte Podemos bei den Europawahlen ihren ersten großen Erfolg und spielte sich dazu auf, die tiefe soziale Unzufriedenheit dadurch zu kanalisieren, institutionelle Veränderungen innerhalb der liberalen Demokratie zu erreichen. Ein Jahr später gelangten sie in den wichtigsten Städten des Landes in die Rathäuser und schürten die Überzeugung von Vielen, dass die Falle des Zweiparteiensystems endgültig passé sei und Podemos das Regime von 1978 tiefgründig erschüttern würde. Seitdem zeichnete sich die Partei von Pablo Iglesias jedoch vor allem durch programmatische Anpassung und Pragmatismus aus. Als Höhepunkt dieser Integration in das Regime trugen sie nun entscheidend dazu bei, die PP-Regierung zu entmachten… und Pedro Sánchez zum neuen Präsidenten zu machen.

Podemos, die PSOE-Regierung und das „kleinere Übel“

Unidos Podemos hat sich sogar angeboten, in die neue Regierung einzutreten. Sie könnten sich dabei auf die Erfahrungen in zahlreichen spanischen Städten stützen, wo sie gemeinsam mit der Sozialdemokratie regieren. Dort hat diese Politik jedoch nur dazu geführt, dass sich diese Regierungen an den konservativen status quo anpassten und keine der versprochenen Veränderungen eingehalten wurden. Zu diesen zählten die Verstaatlichung des öffentlichen Dienstes, ein Ende der Zwangsräumungen und die Verstaatlichung leerstehenden Wohnraums, die Schließung aller Abschiebezentren und ein Ende der Verfolgung von Geflüchteten und Migrant*innen oder der Stopp der Zahlung der öffentlichen Schulden, um dieses Geld für Bildung und Gesundheit auszugeben. Im Gegenteil führte die Zusammenarbeit mit der PSOE zu einer Enttäuschung nach der anderen.

Und wenn nichts davon erreicht wurde, obwohl Podemos an der Macht ist, was kann man dann von einer neuen Regierung des liberalen, verfassungstreuen und nationalistischen Pedro Sánchez erwarten? Das schlimmste daran ist, dass Podemos die PSOE in die Regierung führt, nachdem diese die repressive Offensive des Regimes gegen das katalanische Volk und die Kriminialisierung sozialer Proteste mitgetragen hat. Währenddessen bereitet sich Ciudadanos auf einen erneuten Regierungswechsel nach den vorgezogenen Neuwahlen vor, um den Kreis der konservativen Restauration zu beenden.

Die konservative Utopie von Unidos Podemos stützt sich auf der Idee, es sei möglich, reale und konkrete Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung durch Allianzen mit Parteien des Regimes und ohne Eingriffe in die kapitalistischen Interessen zu erreichen. Das einzige, was dieser Weg tatsächlich erreicht hat, ist die Verbesserung der Aussichten der PSOE, einer Partei, die schon untergegangen schien und heute wieder die Regierung stellt.

Die Logik des „kleineren Übels“, welche die Politik von Podemos entscheidend bestimmt, rettet dem Zweiparteiensystem, das zu Tode verwundet war, das Leben. Die neue politische Periode zeichnet sich durch die Ausweitung eines neuen Zweiparteiensystems aus – eine neue Falle, die durch die Mobilisierung der Arbeiter*innen und Massen überwunden werden muss. Diese muss sich einer neuen PSOE-Regierung entgegenstellen und eine antikapitalistische Linke der Arbeiter*innen aufbauen, die unabhängig von allen Parteien des Regimes ist.

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