Spanischer Staat: Revolutionäre Jugendorganisation „Contracorriente“ wird gegründet
Am 12. Mai gründete sich im Spanischen Staat "Contracorriente" (Gegen den Strom), eine antikapitalistische, feministische und revolutionäre Jugendorganisation der Arbeiter*innenklasse. Wir berichten von dem Gründungskongress und spiegeln dessen zentrale Resolutionen.
Bei dem landesweiten Treffen am 12. Mai in Madrid versammelten sich verschiedenste Jugend- und Studierendengruppierungen, welche in unterschiedlichen Städten aktiv sind und gemeinsam mit Aktivist*innen der CRT (Strömung Revolutionärer Arbeiter*innen) und Mitgliedern der sozialistischen Frauen*organisation Pan y Rosas (Brot und Rosen) politisch aktiv sind gegen die Misere, die der Kapitalismus der Jugend, den Arbeiter*innen und den Unterdrückten im Spanischen Staat hinaus aufbürdet. Anwesend waren die Studierendengruppe Armas de la Critica (Waffen der Kritik) aus Madrid, die revolutionäre Jugendgruppe No Pasarán aus Katalonien, die Gewerkschaft Linker Studierender (SEI) aus Zaragoza und die studentische Gruppierung Rosa Luxemburg aus Vigo in Galicien.
Schon länger machten diese Genoss*innen gemeinsame Erfahrungen und intervenierten zusammen mit der CRT und Pan y Rosas in den Klassenkampf im Spanischen Staat. Als wichtige Erfahrungen in der vergangenen Zeit sind hier der „katalanische Herbst“ im vergangenen Jahr und der „katalanische Frühling“ in diesem Jahr gegen die nationalen Unterdrückungen des Spanischen Staates zu nennen, welche über die vom Franquismus vererbte Verfassung vom Jahr 1978 zementiert wird. Andere wichtige Kämpfe der vergangenen Zeit sind die anhaltenden Kämpfe von prekären Arbeiter*innen wie kürzlich bei Amazon, aber auch bei Telepizza oder wie beim Kampf der „Kellys“ in Barcelona. Diese sind als mehrheitlich weibliche und migrantische Reinigungsarbeiter*innen im Hotelsektor einem besonderen Joch von miteinander verwobener Ausbeutung und Unterdrückung unterworfen. Auch die Erfahrung des 8. März war prägend, da in diesem Jahr im Spanischen Staat bis zu sechs Millionen mehrheitlich weibliche Arbeiter*innen auf die Straßen gingen und gegen die Grundlagen der patriarchalen Unterdrückung streikten. Diese wurzeln in der besonderen Ausbeutung weiblicher Arbeitskraft insbesondere im Bereich der Reproduktion, also jegliche emotionale und physische Sorgearbeit und die Reproduktion des Lebens selbst, ohne die keinerlei Produktion möglich wäre.
All diese gemeinsamen Erfahrungen verdeutlichten die Notwendigkeit, eine einheitliche Kampforganisation für die Jugend im Spanischen Staat aufzubauen. Es erwuchs die Initiative einer Vereinigung der genannten Gruppen zu „Contracorriente“auf der Grundlage einer gemeinsamen programmatischen Debatte, die auf der Gründungskonferenz auf einem sehr hohen Niveau und mit ausserordentlich viel Enthusiasmus ihren Abschluss fand.
Dem voran ging eine Einordnung der genannten Erfahrungen in das allgemeine Panorama des Klassenkampfes im Spanischen Staat insbesondere seit den Massenmobilisierungen nach dem 15. Mai 2011 (15M) und auch in den Kontext anderer wichtiger historischer Erfahrungen wie insbesondere des Mai 1968, der immer wieder zu Referenz wurde. Die heroischen Kämpfe der Jugend verbanden sich mit Massenstreiks der Arbeiter*innen und über 10 Millionen Menschen waren alleine in Frankreich auf den Straßen. Die anwesenden Aktivist*innen versprachen sich, dem Slogan „von der Kritik der Klassenuniversitäten zur Kritik der Klassengesellschaft“ neues Leben einzuhauchen.
Das Treffen, an dem mehr als 70 Aktivist*innen und Sympathisant*innen teilnahmen, hatte die Ehre der Anwesenheit von Luis Miguel Ruiz Serrano, einem kämpfenden Arbeiter von Amazon.es, welcher für die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CGT Mitglied des Betriebsrates des Werks von San Fernando de Henares ist. Ruiz Serrano richtete einige Worte an die Anwesenden, um die Situation des Arbeitskampfes zu erklären. Er beschrieb die Fortsetzung des Streiks und die gemeinsame Koordinierung aller Betriebsstätten als den einzigen Weg zum Erfolg ihrer Kampagne gegen ihre Hungerlöhne und prekären Arbeitsbedingungen. Die Kolleg*innen von Amazon haben sich nun schon über einen längeren Zeitraum auch europaweit vernetzt, immer wieder gemeinsam Aktionen gemacht und haben für diesen Sommer das Vorhaben eines europaweiten Generalstreiks verkündet.
Auch Asier Ubico war anwesend, ein CGT-Delegierter bei der Fastfoodkette „Telepizza“ in Zaragoza, welche mit besonders miesen Arbeitsbedingungen ein Symbol des spanischen Kapitalismus heutzutage geworden ist. Ebenso hielt Raquel Sanz ein Grußwort an die jungen Kämpfer*innen. Sie ist Reinigungskraft in Privathaushalten und Mitglied der Gruppe der Arbeiter*innen von Pan y Rosas in Madrid. Sie berichtete von den Schwierigkeiten der Organisierung in diesem besonders prekären und von Unterdrückung geprägten Bereich und der Notwendigkeit einer Allianz von Studierenden und Arbeiter*innen in allen Teilen unserer Klasse.
An dem Treffen nahmen auch internationale Delegationen teil. Eine französische Delegation von Studierenden der Universitäten von El Mirail in Toulouse und der Sorbonne in Paris war anwesend, die an der Spitze der Besetzung von Fakultäten stand und an Massenversammlungen, sowie an den Mobilisierungen der Arbeiter*innen im Eisenbahnsektor gegen Macrons Reformteilnahmen.
Ebenfalls anwesend waren Genossen des Coordinamento Studentesco Rivoluzionario („Koordination Revolutionärer Studierender“) aus Italien und des Colletivo Nadezhda (Schwestergruppe von Pan y Rosas in Neapel). Diese führten unter anderem einen beispielhaften Kampf gegen staatliche Repression von Arbeiter*innen und ein Genosse sprach in diesem Sinne als Betroffener. Auch aus Deutschland war ein Genosse der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO), Student der Freien Universität Berlin und Mitglied der Tarifkampagne für einen Tarifvertrag der studentischen Beschäftigten (TVStud) anwesend, um die Erfahrungen, welche die kämpfende Jugend in Deutschland macht, mit den Genoss*innen zu teilen. Über die anwesenden Gäste aus den europäischen Schwestersektionen der CRT hinaus gab es ebenso Grußbotschaften anderer Sektionen der Trotzkistischen Fraktion aus Brasilien, Mexiko, Argentinien und Chile.
Resolutionen
Die Versammlung diskutierte und verabschiedete das programmatische Gründungsmanifest von Contracorriente. Weiterhin wurden eine Reihe von Resolutionen für die kommende Periode beschlossen, die wir nachfolgend wiedergeben:
1. Gründung der landesweiten Jugendgruppe „Contracorriente“
In der Erwägung, dass die Gruppen Armas de la Crítica aus Madrid, No Pasarán aus Barcelona, das SEI in Zaragoza, Pan y Rosas im Spanischen Staat, die studentische Gruppierung Rosa Luxemburg in Vigo und andere Gruppen von CRT-Aktivist*innen mit unabhängigen Studierenden in Städten wie Burgos die Erfahrungen unserer Gruppen hinter einem gemeinsamen Programm vereinen wollen, das den Grundstein zur Gründung einer großen antikapitalistischen und revolutionären Jugend legt. Zu diesem Zweck haben wir uns am 12. Mai in Madrid zu einem großen landesweiten Treffen getroffen;
Wir sind eine Jugend, die sich nicht mit diesem kapitalistischen und patriarchen System abfindet, die sich nicht mit den Krümeln zufrieden gibt, die sie uns hinterlassen, sondern die sich für alles einsetzen will: für die Revolution. Deshalb wenden wir uns gegen jede Vorstellung, dass der Kapitalismus das bestmögliche System sei, dass er zu einem gerechteren System reformiert werden könne, dass die Revolution ein Phänomen der Vergangenheit sei.
Es ist diese gängige Vorstellung, die sich zwar zu ändern beginnt und von immer mehr Menschen kritisiert wird, aber immer noch in der Mehrheit ist, vor dem wir versuchen, unseren Kampf gegen den Strom zu vertiefen und die Risse in diesem System zu vergrößern, indem wir die Mehrheit der Arbeiter*innenklasse, der Frauen* und Jugendlichen von einer Perspektive der radikalen und revolutionären Transformation der Gesellschaft überzeugen.
Die landesweite Versammlung beschließt:
* Die Gruppierung Contracorriente zu gründen, eine antikapitalistische, feministische und revolutionäre Jugend im Bündnis mit der Arbeiter*innenklasse.
* eine landesweite Koordination mit mindestens einem Mitglied für jede der Gruppen, zu der Genossen aus neuen Gebieten hinzukommen, zu organisieren.
* eine öffentlichkeitswirksame Kampagne zu starten, um die zentralen Pfeiler unseres Programms zu verbreiten und unsere Gruppierung auszuweiten.
* offene Versammlungen der Gruppierung anzustoßen, um neue Genoss*innen in jeder Stadt zu gewinnen.
2. Kampagne gegen Machismus und Homo- und Transphobie
In Anbetracht der Tatsache, dass patriarchale Gewalt auf unterschiedlichste Weisen zum Ausdruck kommt, wobei der Frauen*mord das letzte Glied in einer langen Kette von Gewalt und Unterdrückung ist, aber auch die historische Prekarität, unter der wir als Frauen*, wie Jugendliche und Migrant*innen, leiden, ist eine Form von Gewalt. Gleichzeitig sind wir immer noch mit dem doppelten Arbeitstag der Reproduktion der Arbeitskraft belastet, der für den Staat kostenlos ist.
Andererseits ist die Bildung nicht von der Reproduktion von Machismus, Homo- und Transphobie und Rassismus ausgenommen, sowohl inhaltlich als auch in den Strukturen und Gremien der Regierungen, wie im Falle der Universitäten. Als Genoss*innen von Pan y Rosas sind wir Teil dieses Treffens und der Frauen*bewegung, die in den letzten Monaten die Straßen überflutet hat. Weil wir leben wollen und uns von jeglicher Form der Ausbeutung befreien wollen ist unser Kampf ein doppelter: gegen Patriarchat und Kapitalismus.
Die landesweite Versammlung beschließt, eine große Kampagne anzustoßen:
* für unabhängige und demokratische Kommissionen von Frauen und LGTBI-Menschen, die sich in den Studienzentren organisieren, zusammen mit Lehrerenden und nicht-lehrenden Arbeiter*innen.
* für Protokolle gegen geschlechtsspezifische Gewalt und LGBTIs an Schulen und Arbeitsplätzen.
* für kostenlose Kindertagesstätten an den Arbeitsplätzen der Unternehmen. Für die Vergesellschaftung der Aufgaben der Reproduktionsarbeit.
* für ein Ende der Pathologisierung von Trans-Personen und die Einbeziehung der gesamten Maßnahmen der Geschlechtsumwandlung in die Sozial- und Krankenversicherung.
* für spezifische Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung von LGBTI-Personen am Arbeitsplatz, wie die Einführung einer Quote an Arbeitsplätzen für diese Menschen.
* für eine kostenfreie, Sexual- und emotionale Erziehung ohne die Einmischung der Kirche. Für die effektive Trennung von Kirche und Staat.
* für die fortlaufende Beteiligung an den Kämpfen der arbeitenden Frauen*, wie wir es mit Panrico, Coca-Cola, Movistar oder Las Kelly taten. Bauen wir die Bündnisse zwischen der Arbeiter*innenklasse und der Frauen*bewegung wieder auf.
* für die Teilnahme an den Demonstrationen zum Tag der sexuellen Befreiung im Juni als landesweite Gruppe, um den Geist von Stonewall wiederzuerlangen und einen „kritischen Stolz“ (in Anlehnung an „Gay Pride“) zu fördern.
3. Kampagne zur Unterstützung von Arbeiterkämpfen und gegen Prekarität
In dem Kontext der kapitalistischen Krise und eines Rückgangs der demokratischen und der Arbeiter*innenrechte sind wir junge Menschen zu 50% arbeitslos aus und werden zu 95% in den prekärsten Arbeitsplätzen ausgebeutet. Frauen* und Immigrant*innen haben auch niedrigere Löhne, prekärere Arbeitsplätze, und sie drohen uns mit Einwanderungsgesetzen oder Verfolgung wegen des vermeintlichen Vergehens, „undokumentiert“ zu sein.
In den letzten Monaten haben wir an wichtigen Kämpfen von Arbeiter*innen wie Amazon, Las Kellys (mit denen wir am 8. März marschierten), Rentner*innen, der prekären Jugend von Telepizza und vielen anderen teilgenommen. Diese Kämpfe sind ein Beispiel für die Stärke der Arbeiter*innenklasse, wenn es darum geht, die Kapitalist*innen und ihre Profite zu konfrontieren. Sie sind ein Beispiel, das gekämpft und gewonnen werden kann.
Die landesweite Versammlung beschließt:
* Die Schaffung einer umfassenden Kampagne gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, insbesondere für junge Menschen, Migrant*innen und Frauen*, die doppelt und dreifach unterdrückt und ausgebeutet werden.
* Die aktive Unterstützung aller Arbeitskämpfe in jeder Region durch Solidaritätsaktionen, Arbeits- und Studienveranstaltungen, Unterstützung von Widerstandskassen und anderen Initiativen.
* Die aktive Entwicklung von Kampagnen für die Einheit zwischen Studiernden und Arbeiter*innen, wie wir es bereits in allen Gruppen getan haben.
4. Gegen die Monarchie, die Unterdrückung, den Paragraph 155 der Verfassung und für die Freiheit der politischen Gefangenen
Das Regime von 1978, welches vom Franco-Regime vererbt wurde, führt aktuell ein reaktionäres Restaurierungsprojekt unter der Führung der Monarchie, der rechten Volkspartei, der sozialdemokratischen PSOE, der rechtspopulistischen Cuidadanos und der Justiz durch. In diesem stellen die Anwendung des Paragraphen 155 und die Repression gegen die demokratische katalanische Bewegung die Speerspitze einer repressiven und autoritären Wendung dar, die sich auch in den Prozessen und Urteilen gegen Rapper*innen, Twitter-Nutzer*innen, Journalist*innen und andere Aktivist*innen ausdrückt.
Angesichts dieser reaktionären und repressiven Offensive hat der Kampf des katalanischen Volkes für sein Recht, eine eigene Republik zu gründen, gezeigt, dass er nicht ohne eine Strategie der Klassenunabhängigkeit und mit der Unterstützung und dem gemeinsamen Kampf mit der Jugend und der Arbeiter*innenklasse des übrigen Spanischen Staates durchgeführt werden kann.
Die landesweite Versammlung beschließt:
* die Durchführung einer politische Kampagne für das Recht auf Selbstbestimmung des katalanischen Volkes.
* Gegen die Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung, für den Rückzug der Paragraphen 155, die Freiheit der politischen Gefangenen, das Ende der Verfolgung der Schulen und der katalanischen Lehrer*innen und den Stopp aller Strafverfahren gegen alle Angeklagten des 1. Oktober 2017 oder der im katalanischen Herbst oder den Basiskomitees (CDR) Aktiven.
* Eine Kampagne, die sich gegen die Unterdrückung aller sozialen Kämpfer*innen, Künstler*innen und Journalist*innen ausspricht, die sich im ganzen Staat ausbreitet. Für die Abschaffung des „Knebelgesetzes“ (La Ley Mordaza), die Anti-Terror-Gesetzgebung und die Auflösung der Audiencia Nacional, dem Gericht, das von Franco geerbt wurde.
* Gegen das Regime von ’78 und die Monarchie, um das Erbregime der Diktatur zu beenden und durch Mobilisierung echte verfassungsgebende Prozesse im ganzen Staat durchzusetzen, in denen die großen demokratischen und sozialen Forderungen diskutiert und gelöst werden können, in der Perspektive des Kampfes für eine Regierung der Arbeiter*innenklasse und der großen Massen.
* Wir werden diese Kampagne mit verschiedenen Aktivitäten und Materialien, sowie mit der Teilnahme an den durchgeführten Mobilisierungen entwickeln.
5. Sommerschule in Katalonien
Wir glauben, dass der ideologische Kampf einer der grundlegenden Teile der Gruppierung Contracorriente sein wird, da die Jugend und die neuen Generationen, die gegen den Kapitalismus kämpfen, dies mit den besten Lehren und Erfahrungen von mehr als zwei Jahrhunderten an Kämpfen der Arbeiter*innenklasse und der Marxist*innen im Gepäck tun werden.
Als Teil dieses Plans werden wir in den kommenden Wochen eine wichtige Verbreitungskampagne unseres Projekts und Programms durchführen, die dazu dienen soll, neue junge Studierende und Arbeitende zu treffen und zusammenzubringen und so einen Raum für Begegnungen, Erfahrungsaustausch und intensive Diskussionen mit den Genoss*innen der CRT zu teilen, was uns politisch für das nächste politische Jahr stärken kann.
Die landesweite Versammlung beschließt:
* Eine Sommerschule von Contracorriente und der CRT Ende August in Katalonien während eines Wochenendes zu organisieren, die es ermöglicht, Vorträge und Workshops für theoretische und politische Bildung zu veranstalten und unter den Aktivist*innen Erfahrungen auszutauschen.
* Delegationen der bei diesem Treffen anwesenden internationalen Gruppen zu diesem Treffen einzuladen, um der Sommerschule einen internationalistischen Charakter zu verleihen.
* Eine Kampagne der Agitation und Werbung dieser Sommerschule durchzuführen, damit jede*r Jugendliche*r, die*der teilnehmen möchte, dies auch tun kann.
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