Spanien: Mehr Rechte für trans Menschen erkämpft
Unter dem Druck der LGBTI-Bewegung hat Spaniens „fortschrittliche” Regierung einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der trans Menschen erlauben soll, ohne Hürden ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Der Entwurf bleibt jedoch hinter den Forderungen von trans Initiativen zurück.
Einen Tag nach den Pride-Demonstrationen im Spanischen Staat hat der Ministerrat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der künftig das „freie Recht auf Bestimmung des Geschlechts“ gewähren soll. Sollte das Parlament den Entwurf verabschieden, wird es künftig allen über 16 Jahre alten Personen möglich sein, mit zwei Terminen beim Amt den Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Bisher hatte dieser Prozess zwei Jahre gedauert und eine psychologische Bewertung, sowie medizinische Gutachten und eine laufende Hormonbehandlung erfordert.
Für viele trans Menschen im Spanischen Staat stellt dieses Gesetz eine spürbare Verbesserung dar. Möglich wurde es durch den hartnäckigen Einsatz der LGBTI-Bewegung, die sich über Jahre hinweg für eine Reform des Trans-Gesetzes eingesetzt hatte.
In der Koalition zwischen der sozialdemokratischen PSOE und der linksreformistischen Unidas Podemos (UP) hatte das Gesetz zu einer Kontroverse geführt. Carmen Calvo, die Beauftrage für Gleichstellung der PSOE, hatte sich zuvor scharf gegen das Gesetz gewandt. Sie machte sich damit mit einem Teil der spanischen Frauenbewegung gemein, der unter fadenscheinigen, transphoben Argumenten ablehnt, die Änderung des Geschlechtseintrags zu vereinfachen. Erst der entschiedene Protest der LGBTI-Bewegung gegen Calvo und die Drohung von insgesamt 76 LGBTI-Organisationen, die PSOE von den Pride-Demonstrationen auszuschließen, zwangen die Sozialdemokrat:innen zum Einlenken.
Auch im Deutschen Bundestag war erst vor wenigen Wochen über die Ersetzung des Transsexuellengesetzes durch ein Selbstbestimmungsgesetz diskutiert worden. Als Teil der Regierungskoalition hat auch die SPD, die Schwesterpartei der PSOE, mehr Rechte für trans Menschen verhindert. Auch mehrere Abgeordnete der Partei DIE LINKE, die im Europaparlament mit Unidas Podemos in einer Fraktion sitzt, darunter Sahra Wagenknecht, haben gemeinsam mit der Regierung und der AfD gegen das Gesetz gestimmt.
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Warum das Gesetz nicht ausreicht
In der deutschen Berichterstattung, wie etwa bei der taz, kommt bislang lediglich die transphobe Kritik von rechts zu Wort. Nachdem allerdings ähnliche Gesetzesentwürfe seit Jahren in den Schubladen lagen, bleibt der Entwurf von Unidas Podemos und der PSOE nun auch hinter den Erwartungen der trans Community zurück. Der ursprünglich 30 Seiten lange Entwurf ist in der vorgelegten Version auf drei Seiten zusammengeschrumpft. Von den Vereinfachungen sollen nach dem Willen der PSOE-UP-Regierung längst nicht alle trans Menschen profitieren. Menschen ohne spanische Staatsangehörigkeit, nicht-binäre Menschen sowie Minderjährige unter 14 Jahren bleiben nach dem neuen Entwurf außen vor. Während zwischen 14 und 16 Jahren die elterliche Begleitung und zwischen 12 und 14 Jahren sogar eine richterliche Genehmigung erforderlich ist, ist eine Änderung des Geschlechtseintrags unter 12 Jahren überhaupt nicht mehr möglich. Damit fällt das Gesetz sogar gegen die derzeitigen Regelungen zurück, die von einigen Eltern von trans Kindern gerichtlich erstritten worden war.
Eine Beschäftigungsquote für trans Menschen sieht der Gesetzesentwurf zwar für den öffentlichen Dienst, nicht aber auf dem freien Arbeitsmarkt vor. Dabei sind 80 Prozent der trans Menschen im Spanischen Staat heute erwerbslos und werden somit oft in Prostitution und Armut gedrängt. Die Selbstmordrate ist unter LGBTI-Jugendlichen viermal höher als im Durchschnitt. Währenddessen zahlt der Spanische Staat Millionen aus öffentlichen Geldern an die reaktionäre, LGBTI-feindliche Kirche.
Der neue Gesetzesentwurf verweist zwar darauf, dass trans Menschen, die in ihrem Herkunftsland „aufgrund ihrer sexuellen Identität oder ihres Geschlechtsausdrucks” verfolgt werden, nach einem Gesetz von 2009 Schutz erhalten. Doch ändert er nichts an den insgesamt rassistischen Einwanderungsgesetzen, der brutalen Abwehr von Geflüchteten an den Außengrenzen und der Schwierigkeit für Migrant:innen, Papiere zu bekommen. Auch der Gesetzentwurfs schließt Menschen aus Ländern aus, wo keine eindeutige Verfolgung aus Gründen des Geschlechts oder der Sexualität nachgewiesen werden kann. Die scheinbare Wende der PSOE zum Ende des Pride-Monats war also nicht nur ein Manöver, um ihr angeschlagenes Image im Sinne des „Pinkwashing” aufzubessern, sondern ging auch mit starken Einschränkungen des Gesetzesentwurfs einher.
Was die Abstimmung im deutschen Bundestag über das Selbstbestimmungsgesetz ebenso zeigt wie das Lavieren der PSOE-UP-Regierung, ist, dass es nicht genügt, sich für die LGBTI-Befreiung auf eine angeblich linke Regierung verlassen. Der Kampf endet nicht mit dieser Reform. Für izquierdadiario.es, die Schwesterseite von Klasse Gegen Klasse im Spanischen Staat, kommentiert Jorge Remacha:
Wir glauben, dass dieses Trans-Gesetz, das dank des beharrlichen Kampfes von LGTBI-Kollektiven, trans Personen und ihren Familien erreicht wurde, notwendig ist. Doch wir müssen viel weitergehen. Es braucht einen Kampf, um das Gesetz effektiv durchzusetzen und es auf alle auszuweiten, einschließlich Kinder unter 14 Jahren, nicht-binäre Menschen und Migrant:innen. Dafür müssen wir weiterhin die Institutionen eines kapitalistischen Systems konfrontieren, das Transphobie, Rassismus und patriarchale Unterdrückungen benutzt, um all die ausgebeuteten und unterdrückten Sektoren zu spalten.