Spahn unter Druck: Warum tritt er nicht endlich zurück?
Seit öffentlich wurde, dass Gesundheitsminister Spahn womöglich minderwertige Masken an Menschen mit Behinderungen und Obdachlose verteilen wollte, hat die anhaltende Kritik an ihm einen neuen Höhepunkt erreicht. Heute debattierte der Bundestag darüber. Zwei Frage bleiben aber weiterhin offen: Wie sollen die vielen Skandale aufgeklärt werden und wann sind wir Spahn endlich los?
Nach dem allgemeinen Mangel an Schutzausrüstung zu Beginn der Pandemie, dem stotternden Impf-Start, dem Skandal um überteuert angekaufte Masken und den kürzlich bekannt gewordenen Betrugsfällen bei Schnelltests steht Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seit gut einer Woche wegen einer neuen Affäre in der Kritik: Sein Ministerium soll, wie erstmals das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete, in China für rund eine Milliarden Euro große Mengen an FF2-Masken gekauft haben, die nach weniger strengen Testkriterien zugelassen wurden. Diese waren für die Verteilung an Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger:innen und Menschen mit Behinderung vorgesehen.
Über vom Gesundheitsministerium an Alten- und Pflegeheime gelieferte Masken, die nur das lasche Testverfahren durchlaufen haben, berichtet ein führender Mitarbeiter der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Ruhr-Lippe-Ems: „Die Masken haben so gestunken, dass es kein Mitarbeiter länger als zwei Minuten darunter ausgehalten hat.” Ein von der Awo angefordertes Gutachten der Dekra kam zu dem Schluss: Die Masken sind nicht für den Infektionsschutz geeignet. Nur ein Beispiel von vielen, das große Zweifel an der Qualität der Schutzausrüstung aufkommen lässt. Der Chef der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sagte im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Zu den Importmasken liegt uns eine Fülle von Hinweisen auf Fake-Ware vor, die die Qualitätsanforderungen im medizinischen Bereich nicht ansatzweise erfüllt, aber trotzdem zum Einsatz kommt.“ Die Zeit ließ von einem Privatunternehmen testen, wie viele Partikel Spahns Importmasken durchlassen. Das dramatische Ergebnis: Manche der Masken filterten lediglich etwa die Hälfte der Partikel – erlaubt sind bei FFP2-Masken aber nur sechs Prozent.
Spahn und sein Ministerium streiten trotz der vielen Belege bis jetzt alle Vorwürfe strikt ab. Mitten im Wahlkampf will es sich die Union nicht leisten, mit dem Eingeständnis eines Fehlers oder gar dem Rücktritt eines ihrer prominentesten Minister Schwäche zu zeigen. Die Zweifel existieren aber schon seit Langem. Dass sich Spahn so vehement weigert einen Fehler einzugestehen, als er diese Masken gerade an Obdachlose und Menschen mit Behinderung verteilen lassen wollte, und dafür die volle Unterstützung von der Kanzlerin bekommt, zeigt: Die Bundesregierung schert sich nicht um unsere Gesundheit. Statt etwa durch einen Lockdown der Wirtschaft die Pandemie konsequent zu bekämpfen, hat die Bundesregierung auf Symbolpolitik gesetzt und womöglich Millionen Menschen in falscher Sicherheit gewogen.
Vonseiten des Koalitionspartners SPD kam in den vergangenen Tagen schärfste Kritik an Spahn. Die Co-Vorsitzende Saskia Esken nannte Spahns Verhalten im Interview mit der Funke-Mediengruppe “menschenverachtend”, ihr Kollege Norbert Walter-Borjans wählte gegenüber der Bild am Sonntag die Worte “unwürdig und menschenverachtend”. Das Arbeitsministerium des SPD-Mannes Hubertus Heil brachte sich mit seinem eigenen strengeren Maskenstandard für den Arbeitsschutz in Stellung. Das ist offenkundig der Versuch auf Kosten der Union im Bundestagswahlkampf dringend benötigten Boden gut zu machen. Allerdings: Auch in SPD-geführten Ländern kamen die Masken zum Einsatz. Und in der Abstimmung im Bundestag im Frühjahr 2020, in der die laschen Testkriterien für Masken beschlossen wurden, stimmte auch die SPD-Fraktion zu.
Wie soll nun aufgeklärt werden?
Spahns neuer Maskenskandal beschäftigte heute auch den Deutschen Bundestag, nachdem die Linksfraktion eine Aktuelle Stunde zu dem Thema beantragt hatte. Spahn sprach nicht, verzog mit verschränkten Armen über weite Strecken der lautstark geführten Debatte keine Miene.
Für den Angegriffenen sprach unter anderem Karin Maag, die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion. Sachlich hatte sie nur Ausflüchte zu bieten und konzentrierte sich auf Gegenangriffe auf die SPD. Menschen mit Behinderung und Obdachlose zu verunsichern, so Maags zynische Aussage, um “parteipolitisch Stimmung zu machen, das ist schäbig.” Mit einem hatte Maag allerdings recht. An die Adresse des Arbeitsminsters Heil gerichtet, der mit zwei leeren Stühlen Abstand zu Spahn auf der Regierungsbank saß, sagte sie, dass, wer aus der Regierung heraus so angreift, “sich auch selbst beschmutzt.” Es stimmt: Der Skandal betrifft die gesamte Bundesregierung.
Den Abschluss der Debatte machte Paul Ziemiak, Generalsekretär der CDU. Ein Satz stach aus seinem Beitrag besonders hervor: Der Schutz der vulnerablen Gruppen sei immer das Anliegen der Bundesregierung gewesen. Das ist für die Menschen mit Vorerkrankungen, die monatelang auf eine Impfung warten mussten und es zum Teil immer noch müssen, oder die unzähligen Beschäftigten, die trotz höchster Ansteckungsgefahr ohne Not weiter an die Arbeit geschickt wurden, um für die Bosse Profit zu generieren, der blanke Hohn.
Susanne Ferschl und Jan Korte übten für die Partei DIE LINKE Kritik an der gesamten Politik der Bundesregierung in der Pandemie. Ferschl stellte richtigerweise den Zusammenhang zwischen den gestiegenen Vermögen der Superreichen und den zusätzlichen Belastungen für Hartz-IV-Empfänger:innen und den Einkommensverluste für Beschäftigte her. Korte kritisierte auch die Weigerung der Bundesregierung, sich für eine Aufhebung der Patente auf Impfstoffe einzusetzen, was neuen Mutationen des Virus Vorschub leistet. Über mögliche Konsequenzen sagten sie jedoch nichts.
Ein Sonderermittler aus den Reihen einer Bundesbehörde wie des Bundesrechnungshofs, wie die FDP fordert, oder ein Untersuchungsausschuss, der ohnehin erst nach der Bundestagswahl zustande kommen könnte, werden kaum wirklich Licht in die Machenschaften des Gesundheitsministeriums bringen können.
Jan Korte wunderte sich zurecht darüber, dass sich Jens Spahn trotz aller Skandale immer noch im Amt halten kann. Die Partei DIE LINKE darf sich nun nicht mit der parlamentarischen Debatte auf Antrag ihrer Bundestagsfraktion begnügen, sondern muss sich ernsthaft dafür einsetzen, dass Spahn zurücktritt. Eine Untersuchung der neuen Masken Affäre, aber auch der massiven Korruption in den Reihen der Unionsparteien kann es aber nur geben, wenn sie völlig unabhängig ist. Es braucht dafür eine unabhängige Kommission von medizinischen Expert:innen gemeinsam mit den Gewerkschaften und Organisationen von Menschen mit Behinderung, Hartz-IV-Empfänger:innen und Obdachlosen.