Sozialpartnerschaft: Maximal radikal ausreizen oder zerschlagen?

31.05.2023, Lesezeit 5 Min.
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Streik bei Pierburg 1973. Quelle: IG Metall NRW

Marx is' Muss-Kongress: Im Workshop „50 Jahre Pierburg- und Ford-Streik: Was haben die Gewerkschaften daraus gelernt (und was nicht?)“ ging es um die Rolle und Potentiale von Gewerkschaften zur Bekämpfung rassistischer Unterdrückung (nicht nur) am Arbeitsplatz.

Die wilden Streiks bei Pierburg und Ford in den Siebzigern in Deutschland stellen herausragende Beispiele für Klassenkämpfe in Deutschland dar. Beim Neusser Automobilzulieferer Pierburg machte der 1973 stattfindende Streik bundesweite Schlagzeilen. Angestoßen von migrantischen Frauen, die immer mehr auch ihre deutschen männlichen Kolleg:innen überzeugten, konnte damals die geforderte Abschaffung der Leichtlohngruppe 2, die für Frauen galt, erkämpft werden. Zusätzlich die Lohnsteigerung von einer Mark pro Stunde mehr, was dementsprechend auch für die männlichen Kollegen galt.

Vier Tage nach dem Ende dieses Streiks begann der wilde Streik bei Ford in Köln. Auslöser dafür waren 300 fristlose Kündigungen von Kollegen, die zu spät aus ihrem Sommerurlaub zurückkamen. Für die Gastarbeiter:innen stellte der vierwöchige Sommerurlaub die Möglichkeit dar, Famile oder Freund:innen in ihrem Heimatland zu besuchen. Oftmals dauerte schon die Reise damals zwei Wochen. Bei Ford wurde die Wiedereinstellung der entlassenen Kollegen, eine Mark mehr Lohn, mehr Urlaub sowie bessere Arbeitsbedingungen gefordert. Leider mit weniger Erfolg. Durch unter anderem auch rassistische Hetze in den Medien sowie eine rassistische Spaltung der Belegschaft durch die Betriebsratvorsitzenden und Gewerkschaftsvertretenden blieb der Kampf erfolglos, so erklärten die Sprecher:innen auf dem Podium des Workshops.

Dementsprechend wollte sich der Workshop „50 Jahre Pierburg- und Ford-Streik: Was haben die Gewerkschaften daraus gelernt (und was nicht?)“ der Frage widmen, wie man auch rassistische Spaltung in Gewerkschaften überwinden könne. Denn, so erklärten die Redner:innen, die Gewerkschaftsbürokratien hätten damals keine Strategie zur Überwindung der rassistischen Spaltung gehabt, obwohl sie eigentlich repräsentativ für die Gewerkschaftsmitglieder hätten agieren sollen. Sie hätten die rassistische Politik der Regierung zu lange mitgetragen. Es hätte mehr „konfliktorientierte“ Fraktionen in der Bürokratie statt „sozialpartnerschaftlich orientierte“ geben müssen. Diese gäbe es auch jetzt weiter aufzubauen. Es wäre also eine Sache des Mindsets der Bürokrat:innen, rassistische Spaltung in Betrieben zu überwinden und dagegen zu kämpfen.

Doch was die Redner:innen nicht sagten: Sozialpartnerschaft existiert nicht in einem luftleeren Vakuum, sondern nimmt in der Gewerkschaftsbürokratie eine lebendige, greifbare Form an. Ihre Existenz ist an die Sozialpartnerschaft gebunden. Ihre Rolle ist die Vermittlung zwischen den Interessen der Kapitalist:innen und Arbeiter:innen. Erstere profitieren von rassistischen (Arbeits-)Gesetzen und von rassistischer oder sexistischer Spaltung unter Kolleg:innen. Damals wie heute. Beim Workshop wurden aus dem Publikum auch positive Beispiele gegen rassistische Spaltung und mehr Einbeziehung aller Kolleg:innen in Gewerkschaften genannt. Beispielsweise berichtete jemand, dass Flyer mit Streikforderungen beim letzten Streik bei der Post in vielen verschiedenen Sprachen gedruckt wurden, weil die Postarbeiter:innen zu großen Teilen migrantisch sind. Alle Kolleg:innen sollten über Streiks informiert werden, egal welche Sprachen sie sprechen. Auch wurde von Beispielen erzählt, bei denen sich Gewerkschaftler:innen gemeinsam mit der Gewerkschaft gegen die bevorstehende Abschiebung eines Kollegen gewehrt haben.

Wir brauchen unbedingt starke Gewerkschaften, die für Antirassismus kämpfen. Gerade jetzt, wo beispielsweise Pflegekräfte aus Brasilien, Mexiko und Indonesien angeworben werden sollen und wir gleichzeitig einen Aufstieg konservativer und rechter Politik sehen. Auch bedingt dadurch, dass die Linkspartei keine wirkliche Antwort auf die Krise bieten kann, sich selbst in einer tiefen Krise befindet.

Doch was bringt die reine Information über die Forderungen des Streiks, wenn die Belegschaft trotz ihrer Forderung nach einem Erzwingungsstreik von der Bürokratie übergangen und einfach nochmal weiter verhandelt wird? Wie erfolgreich kann der Kampf gegen rassistische Abschiebungen oder Arbeitsgesetze sein, wenn die Gewerkschaftsführungen sich weigern, bedingt durch die Sozialpartnerschaft, die ihre Existenz garantiert, für politische Forderungen zu streiken? Einfach nur „mehr ‚konfliktorientierte‘ Fraktionen“ im bürokratischen Apparat der Gewerkschaften aufzubauen, kann nicht die Lösung sein. Denn wenn man Teil des Apparats ist, auf ihn baut und nur wie vom Podium der Workshops fordert, man müsse die „Sozialpartnerschaft maximal radikal ausreizen“, macht es auch eine Kritik daran sehr schwer bis unmöglich.

Was es stattdessen braucht, ist ein Kampf gegen die Bürokratie und für tatsächlich basisdemokratische Strukturen in den Gewerkschaften. So schreiben wir dazu in einem Artikel zum Thema Organizing:

Um auch hierzulande zu tatsächlichen Formen der Streikdemokratie zu kommen, die über Zugeständnisse der Bürokratie hinausgehen, gilt es schwache Ansätze wie die Tarifbotschafter:innen radikal auszuweiten. Diese könnten als Vertreter:innen ihrer Stationen nicht nur als Transmissionsriemen für die Forderungen der Bürokratie fungieren, sondern als tatsächliche Delegierte ihrer Kolleg:innen. Sie sollten auf Versammlungen in den Betrieben (oder aufgrund des Infektionsschutzes nötig online) gewählt werden. Sie sollten diejenigen sein, die die tariflichen Forderungen diskutieren und festlegen, die einen Kampfplan nicht nur zur Erkämpfung der unmittelbaren Ziele, sondern gegen die Angriffe der Kapitalist:innen auf die gesamte Arbeiter:innenklasse entwerfen könnten.

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