Daniel Kulla über das Buch "Sin Patrón – Herrenlos" und die Lehren, die die deutsche Linke aus den Klassenkämpfen in Argentinien ziehen kann. " /> Daniel Kulla über das Buch "Sin Patrón – Herrenlos" und die Lehren, die die deutsche Linke aus den Klassenkämpfen in Argentinien ziehen kann. " /> „Linke Organisationen wachsen am besten, wenn sie sich zuallererst auf die Unterstützung von Arbeitskämpfen konzentrieren“

„Linke Organisationen wachsen am besten, wenn sie sich zuallererst auf die Unterstützung von Arbeitskämpfen konzentrieren“

21.07.2017, Lesezeit 4 Min.
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Interview mit Daniel Kulla über das Buch "Sin Patrón – Herrenlos" und die Lehren, die die deutsche Linke aus den Klassenkämpfen in Argentinien ziehen kann.

Demoblock der PTS-Jugend, 24.3.2017, Buenos Aires. Foto von Daniel Kulla

Daniel, aktuell bist du mit dem Buch „Sin Patrón – Herrenlos. Arbeiten ohne Chefs“ auf Tour. Darin geht es um selbstverwaltete Betriebe in Argentinien. Von welchen Erfahrungen spricht das Buch?

Im Zentrum des Buchs, das ich als nächstes im August ein Dutzend Mal zusammen mit der argentinischen Politik- und Sozialwissenschaftlerin Magui López vorstellen werde, stehen zehn Geschichten instandbesetzter Betriebe, „fábricas recuperadas“, aus der ersten Hochphase der Bewegung nach dem Aufstand von 2001. Ergänzt habe ich das in einem umfangreichen Vorwort um neuere Beispiele und Lektionen, vor allem mit Hinsicht aufs Verhältnis zu Staat und Regierung, sowie um Überlegungen zur Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse.

Eines der emblematischsten Beispiele für instandbesetzte Betriebe ist die Keramikfabrik Zanon. Dort läuft gerade eine internationale Spendenkampagne zur Unterstützung der Fabrik. Worum geht es da?

Zanón – Kampfname „Fábrica sin patrones“ („Fabrik ohne Herren“) – ist mit mehr als 450 Mitgliedern die größte der landesweit mehr als 300 „recuperadas“. Trotz seiner fabelhaften ökonomischen Behauptung hat Zanón nun, wie viele andere Betriebe auch, nach mehr als 15 Jahren des Kreditboykotts, der staatlichen Subventionsverweigerung und der Erpressung mit Schulden des Alteigentümers sowie mit dem rechtlichen Status längst erhebliche Probleme, seine Anlagen zu überholen und zu erneuern. Das frisst die Überschüsse auf und den gefährdet den Lebensunterhalt der Belegschaft. Gefordert werden nun hauptsächlich erstmal die für jeden Privatbetrieb (inklusive des Keramikwerks direkt nebenan) üblichen Subventionen, was angesichts der weiter verschärften neoliberalen Ausverkaufspolitik nun aber eher noch schwerer durchzusetzen sein dürfte.

Aktuell läuft in Argentinien erneut ein harter Arbeitskampf gegen die Schließung einer Fabrik: Pepsico. Was ist dein Eindruck dieser Auseinandersetzung?

Es ist einerseits beeindruckend, wie viel Unterstützung dort auf recht klarer und militanter Klassengrundlage mobilisiert wird und wie die Linksfront FIT diesen Konflikt zu einem ihrer zentralen Wahlkampfthemen macht. Andererseits steht dieser üppige Widerstand, der sich ja auch schon in den zahlreichen Streiks und riesigen Massenprotesten im Frühjahr gezeigt hat, einer entschlossenen Phalanx aus Regierung, Sicherheitsapparat und Gewerkschaftbürokratie gegenüber, die unter Macri noch unverblümter und brutaler als zuvor alles zu zerschlagen versucht, was dem Kapital, auch und gerade dem deutschen, im Wege steht. Das „scheue Reh“ wird immer noch am zuverlässigsten durch Prügel gegen aufmüpfige Arbeitskräfte angelockt…

Welche Lehren können wir in Deutschland aus den argentinischen Erfahrungen ziehen?

Auch wenn die Situation des halbkolonialen, ärmeren, aber sozial auch moderneren Argentinien nicht einfach auf Deutschland zu übertragen ist, dürfte die zentrale Lektion doch einigermaßen universell sein: Linke, sozialistische Organisationen wachsen und gedeihen am besten und bleiben am ehesten egalitäre und revolutionäre Kräfte, wenn sie sich zuallererst auf die Unterstützung von Arbeitskämpfen konzentrieren und von dort aus eine Basis für die praktische Solidarität mit anderen Auseinandersetzungen schaffen.

Statt sich wie die meisten anderen linken Strukturen auf dem Ticket liberaler Symbolpolitik zu Anhängseln der „linksperonistischen“ Kirchneristas und ihrer autoritären und reaktionären Tendenzen gemacht zu haben, traten die FIT-Parteien dagegen als Verstärkung und Unterstützung der Arbeitskräfte als Klasse auf und gehören heute auch in Bezug auf andere Politikfelder wie Frauenbewegung, Genderpolitik und Drogenfreigabe zu den progressivsten im Land.

Übertragen auf Deutschland heißt das plump und kurz: Raus aus der akademischen „Mittelklasse“, ihren liberalen Stellvertretungskonflikten und Theoriemodenbattles, raus aus der Beschränkung auf hippe Innenstadtbezirke, rein in Arbeits-, Reproduktions- und Mietkämpfe (und die dafür ggf. nötigen Abwehrkämpfe gegen Cops oder Nazis). Und etwas programmatischer: Einschluss der ganzen Klasse, egal wie prekär und ausgebildet, egal welcher Herkunft und wie gut oder ob überhaupt bezahlt; Bündelung der schon aktiven Kräfte, ob nun anarchistisch, syndikalistisch, rätekommunistisch, trotzkistisch usw.; vor allem aber Schaffung einer überregional wirksamen Unterstützungsstruktur dafür bzw. daraus, ob nun Partei oder Gewerkschaft, mit Rechtshilfe, Öffentlichkeitsarbeit und Aktionslogistik. Motto: Klassenkampf ist nicht alles, aber ohne Klassenkampf ist alles nichts.

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