Sozialdemokratische LL-Demo

18.12.2012, Lesezeit 5 Min.
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Parallel zur traditionellen Demonstration im Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg am 13. Januar in Berlin ruft ein Bündnis vorwiegend sozialdemokratischer Jugendorganisationen zu einer „alternativen“ Demo auf. Dazu gehören mit der SPD verbundene Organisationen wie Jusos, Falken und Naturfreundejugend, aber auch die DGB-Jugend Berlin Brandenburg und der Linkspartei-nahe Jugendverband Linksjugend-Solid. Ihre Begründung für die Parallelveranstaltung mit dem Namen „Rosa und Karl“ ist, dass die Bilder von Stalin und Mao, die jedes Jahr auf der LL-Demo – gegen den Willen der OrganisatorInnen – gezeigt werden, für „das Scheitern staatssozialistischer Projekte im letzten Jahrhundert“ stünden. Völlig verdrängt wird dabei, dass die politische Bilanz der Sozialdemokratie im letzten Jahrhundert nicht weniger problematisch war.

So wirkt es etwas merkwürdig, dass ein Gedenken für einen Antimilitaristen wie Liebknecht sich nicht explizit gegen den heutigen Einsatz der deutschen Armee in Afghanistan oder anderen Ländern richtet. Zwar versicherte ein Sprecher des Bündnisses auf Nachfrage, dass sich alle Bündnisgruppen „ausdrücklich“ vom Bundeswehreinsatz in Afghanistan distanzieren würden, genauso wie von den Hartz-Gesetzen, die vor gerade mal einem Jahrzehnt von der SPD-Grünen-Koalition unter Gerhard Schröder und Joseph Fischer durchgesetzt wurden. In den öffentlichen Stellungnahmen des Bündnisses selbst, etwa im Internet, sucht man diese „ausdrückliche“ Distanzierung vergeblich. Das gleiche trifft zumindest für einen Teil der involvierten Gruppen zu. Nachlesen kann man allerdings, dass die Jusos Berlin nicht nur uneingeschränkte Unterstützung für die letzten israelischen Kriege gegen Gaza erklären, sondern auch im März dieses Jahres vorsorglich ihre Unterstützung für einen möglichen israelischen Militärschlag gegen den Iran versicherten. Zur Tradition sozialdemokratischer Politik gehört zudem ein Glaube an die „zivilisatorische“ (in ihrem heutigen Sprachgebrauch: „emanzipatorische“) Wirkung von imperialistischen Kriegen. Genau aus dem Grund haben sich Luxemburg und Liebknecht seinerzeit von der Sozialdemokratie getrennt.

Ein Sprecher erklärte, das Bündnis wende sich nicht nur gegen den Stalinismus, sondern gegen „die Diktatur des Proletariats im leninistischen Sinne“. Dabei beziehen sie sich auf Zitate Rosa Luxemburgs über undemokratische Tendenzen in der Oktoberrevolution aus ihrer Schrift „Zur Russischen Revolution“. Zum Beispiel: die proletarische „Diktatur muß das Werk der Klasse, und nicht einer kleinen, führenden Minderheit im Namen der Klasse sein“.

Die „luxemburgistischen“ SozialdemokratInnen übersehen jedoch die Schlussfolgerung der Schrift, in der Luxemburg schrieb: „Mögen die deutschen Regierungssozialisten schreien, die Herrschaft der Bolschewiki in Rußland sei ein Zerrbild der Diktatur des Proletariats. Wenn sie es war oder ist, so nur, weil sie eben ein Produkt der Haltung des deutschen Proletariats war, die ein Zerrbild auf sozialistischen Klassenkampf war.“ Die Missstände in Sowjetrussland waren also für Luxemburg ein Produkt der Niederschlagung der Revolution im wirtschaftlich entwickelteren Deutschland – anders ausgedrückt machte sie in erster Linie den Verrat der deutschen „Regierungssozialisten“ und nicht die „leninistische Parteitheorie“ für die Fehler während der Russischen Revolution verantwortlich. Das erinnert an die materialistische Analyse des Stalinismus, die Leo Trotzki später entwickelte. Dass die Regierungs-jung-sozialisten von heute diese Schlussfolgerung nicht zitieren, ist verständlich.

Doch das „Rosa und Karl“-Bündnis versucht, Luxemburgs solidarische Kritik an Lenin und Trotzki („immer noch die einzigen, die mit Hutten ausrufen können: Ich hab’s gewagt!“), um sie in eine Reihe mit den sozialdemokratischen GegnerInnen der sozialistischen Revolution zu stellen. So zitieren sie im gleichen Atemzug den linken Sozialdemokraten Karl Kautsky – der den Ersten Weltkrieg und auch die bürgerliche Republik kritisch unterstützte – ohne zu erwähnen, dass Luxemburg und Kautsky auf unterschiedlichen Seiten der Barrikaden standen (auch im wörtlichen Sinne).

Während das Bündnis bereit ist, sich von Philipp Scheidemann und Gustav Noske zu distanzieren, weil diese die größte Verantwortung für die blutige Niederschlagung der Novemberrevolution trugen, sehen sie bei Friedrich Ebert „weiteren Diskussionsbedarf“. Ihnen scheint nicht aufzufallen, dass natürlich auch Ebert für das „Scheitern eines sozialistisches Projektes“ steht – denn damals haben die Regierungssozialisten tatsächlich die Einführung des Sozialismus für irgendwann versprochen. Doch sie wären nicht die Ersten, die sich positiv auf Luxemburg und Ebert beziehen wollen: Bereits der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder tat dies in einer Rede im Jahr 2003.

Der BundessprecherInnenrat der Linksjugend-Solid hat zwar zur „Rosa und Karl“-Demo aufgerufen, doch ist diese Entscheidung in den eigenen Reihen heftig umstritten. So kritisierte der Hamburger Landesverband den Aufruf als Projekt von „KarrieristInnen und Rechten“ zur Vorbereitung einer „rot-roten Regierungsoption“. Aus Verbandskreisen hieß es, dass der mitgliedsstärkste Landesverband Nordrhein-Westfalen, der wie der Hamburger zum linken Flügel gehört, ebenfalls zur traditionellen LL-Demo mobilisiert, während eher rechte Landesverbände zur sozialdemokratischen Alternativdemo gehen. Auch aus dem Studierendenverband der Linkspartei, der formal zur Linksjugend-Solid gehört, hieß es, dass man wahrscheinlich zur traditionellen ­LL-Demo gehen werde.

Währenddessen hat RIO, die Revolutionäre Internationalistische Organisation, dazu aufgerufen, auf der LL-Demo auch antistalinistischer Kommunisten zu gedenken, die von stalinistischen oder kapitalistischen Regimes ermordet wurden. Bei aller Aufregung sollte man eins nicht vergessen: Die überwiegend SPD-nahen Gruppen im Alternativbündnis haben zwar Geld von der SPD, aber nur wenig aktive Mitglieder. Allein deshalb ist mit einer Großdemonstration nicht zu rechnen.

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