Sommercamp in Frankreich: Aufbau einer Organisation für die Revolution in diesem Land und in der Welt

05.09.2022, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Révolution Permanente

Diesen Samstag bildete eine Veranstaltung über die Gründung einer neuen revolutionären Organisation den politischen Abschluss des Sommercamps von Révolution Permanente. Auf dem Podium ging Daniela Cobet, Mitglied der Leitung von Révolution Permanente, zunächst auf die Herausforderungen des Aufbaus einer solchen Organisation ein, bevor sie den Raum für eine Diskussion und Redebeiträge zu diesem Projekt öffnete.

Eine neue Organisation, um sich auf die kommenden Kämpfe und die Revolution vorzubereiten.

„Es gibt einen Teil der Jugend, der gerade dabei ist, sich der Notwendigkeit einer Organisierung bewusst zu werden“. Zu Beginn ihres Vortrags vor den Hunderten von Menschen, die am Sommercamp von Révolution Permanente teilnahmen, ging Daniela Cobet von einer besonderen Feststellung aus. Während sich 2016 die sich radikalisierende Jugend in Opposition zu den bestehenden politischen Organisationen und zur Idee sich zu organisieren aufbaute, was den autonomen Strömungen eine gewisse Hegemonie bot ,sind nun Tendenzen der Organisierung zu beobachten.

Für die Aktivistin bedeutet das eine fortschrittliche Tendenz, da die Organisierung ein entscheidender Faktor für jedes revolutionäre Projekt ist: nicht nur, um dem Staat und allen Hebeln der herrschenden Klasse gegenüberzutreten, „angesichts derer es absurd wäre zu denken, dass wir unseren Kampf improvisieren können“, sondern auch, um die aktuellen Kämpfe kollektiv zu denken, indem wir von den Bilanzen der historischen Erfahrungen des Klassenkampfes lernen. In diesem Rahmen, gegen die Vorstellung, dass die Organisierung in einer Partei die „Freiheit“ einschränken würde, bedeutet das Verstehen der Notwendigkeit der Organisierung, dass man nur „durch gemeinsames Denken, durch kollektive Intelligenz ein System stürzen kann, das niedergerissen werden muss“.

In einer Situation, die geprägt ist von der Rückkehr des Krieges nach Europa, einer militaristischen Verhärtung und einer sich vertiefenden wirtschaftlichen Instabilität, erscheint die Notwendigkeit eines Instruments zur Vorbereitung auf die kommenden Kämpfe umso wichtiger. Umso mehr, erinnert sich die Aktivistin, weil zwar alle Sektoren der Arbeiter:innenbewegung, seit Beginn der letzten Periode von Kämpfen 2016, mobilisiert wurden und eine Kampfbereitschaft gezeigt haben, sie jedoch mangels eines angemessenen Schlachtplans diese Kämpfe in verstreuter Reihenfolge führten: die Raffineriearbeiter:innen und Eisenbahner:innen 2016 gegen das Arbeitsgesetz, die Eisenbahner:innen 2018, die fragmentierten Sektoren des ländlichen und halbländlichen Proletariats in der Gelbwestenbewegung, das Transportwesen von 2019 bis 2020 usw…

Ausgehend von diesen Entwicklungen stellte Daniela Cobet fest, wie widersprüchlich wenig die wichtigsten Organisationen der Linken, wie die NPA oder Lutte Ouvrière von der Dynamik des Klassenkampfes seit 2016 profitiert haben und wie wenig Politik sie in diesem Rahmen gemacht hatten. Eine Bilanz, die untrennbar mit der Politik und den schwachen Interventionen dieser beiden Organisationen verbunden ist, die durch unterschiedliche Probleme belastet sind. Strategische und politische Verwässerung auf Seiten der NPA ,Anpassung an die aufkommenden reformistischen Projekte und eine fehlende Verankerung in der Arbeiter:innenklasse und fehlender Kampf gegen die bürokratischen Führungen der Arbeiter:innenbewegung und gegen Podemos bis NUPES. Sektiererischer Rückzug auf Seiten von Lutte Ouvrière, die auf ökonomistischen Positionen verharren und die Kämpfe gegen die Unterdrückung, die große Teile der Jugend, aber auch der Arbeiter:innenklasse mobilisieren, in den Hintergrund stellen.

In Verbindung mit diesen Elementen betonte die Aktivistin die „Notwendigkeit einer Organisation, die Lust auf revolutionären Aktivismus macht“, und die Einzigartigkeit, die das Auftauchen von Révolution Permanente darstellt. „Es ist das erste Mal seit 40 Jahren, dass eine neue Organisation in der radikalen Linken aufgebaut wird, die aus mehreren hundert Aktivist:innen besteht, darunter viele junge Leute, die an den Universitäten, in der antirassistischen, feministischen oder Klimabewegung aktiv sind, aber auch Arbeiter:innen in verschiedenen Sektoren, die in der letzten Periode des Klassenkampfes an vorderster Front standen, von der Bahnreform über den Streik in Grandpuits bis zum Streik bei Onet oder den Mobilisierungen in der Luftfahrtindustrie während der Pandemie.“

Eine Organisation, deren Strategie Daniela Cobet in Erinnerung rief und die ihr in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung beschert hat: ein revolutionärer Marxismus, der auf der Idee der Hegemonie der Arbeiter:innen beruht. „Um den Kapitalismus zu stürzen, hat die Arbeiter:innenklasse, und nicht nur die Proletarier im Blaumann, eine zentrale Rolle, weil sie das Herz der Produktion ist. Aber ihr Kampf kann nur im Bündnis mit allen kämpfenden Unterdrückten geführt werden, und indem sie deren spezifische Forderungen stellt“, fasste sie in diesem Sinne zusammen. „Wir brauchen eine Organisation mit dieser Strategie, eine Organisation, die für die Revolution in diesem Land und in der Welt kämpft. Das werden wir auf dem Gründungskongress im nächsten Winter diskutieren, und wir rufen alle, die das wollen und unsere Perspektive teilen, auf, sich an diesem Prozess zu beteiligen. Nach der Nationalkonferenz ist dieses Sommercamp mit 500 Teilnehmern für uns ein weiterer Schritt in diese Richtung.

Eine enthusiastische Diskussion über die Perspektive dieser neuen Organisation

Letzterer Punkt war Anlass für sehr viele Redebeiträge von Studentinnen und Studenten, Arbeiter:innen und LGBTQIA+ aus Frankreich und verschiedenen Ländern. Die ehemalige Streikende bei Onet, Oumou Gueye, wollte sich unbedingt zu Wort melden: „Zusammen mit Fernande Bagou werden wir dieser neuen Organisation beitreten. So wie Révolution Permanente uns während unseres Streiks abgeholt und uns den Sieg ermöglicht hat, müssen wir all diese Putzfrauen und Männer abholen, die Politik machen sollten.“ Joël, seit 50 Jahren revolutionärer Aktivist und ehemaliger Gewerkschafts Aktivist bei Air France, kam auf die Notwendigkeit einer Organisation zurück, die mit anderen Sektoren der radikalen Linken im Dialog steht.

Auch zahlreiche ausländische Kommiliton:innen meldeten sich zu Wort. Adam, ein marokkanischer Student, berichtete über die Kämpfe in Marokko, Alassane, ein Student aus Guinea, über die Mobilisierungen in seinem Land und die Notwendigkeit einer antiimperialistischen Politik von Frankreich aus, während Maryam, eine Studentin aus dem Libanon, den Zusammenhang zwischen der Emanzipation der Arbeiter:innenklasse und der Befreiung Palästinas hervorhob. Joonseok, ein trotzkistischer Aktivist aus Südkorea, der eigens zur Teilnahme am Sommercamp angereist war, sandte seinerseits revolutionäre Glückwünsche zum Prozess der Gründung einer neuen revolutionären Organisation und wies auf die große Bedeutung von Révolution Permanente-Interventionen in Streiks hin, die allesamt „sehr gute Beispiele dafür sind, wie Revolutionär:innen revolutionäre Ideen mit der Realität des Klassenkampfes verbinden können.“

Die Redebeiträge waren auch Anlass zu einer Debatte, die von einem Studenten eingeleitet wurde, der sich als Anarchist vorstellte. Er erklärte, dass er einen gemeinsamen Kampf zwischen weißen und von Rassismus betroffenen Menschen, Männern und Frauen, Trans- und Cis-Personen für unmöglich halte, und verwies auf den Einfluss „weißer, chauvinistischer und transphober“ Vorstellungen in der marxistischen Tradition. Dieser Beitrag rief Antworten von LGBTQIA-Aktivist:innen wie Sasha Yaropolskaya oder Camille Lupo hervor, die die Sackgasse einer solchen Logik kritisierten. Erstere erklärte, dass „der Kampf nur gegen die eigene Unterdrückung eine Sackgasse ist, wenn man ihn nicht in einen Kampf und eine Strategie einbettet, die all diese Forderungen in einem gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus synthetisiert“, ebenso wie letztere, die darauf hinwies, wie die Hegemonie der Arbeiter:innen es ermöglicht, den Kampf für LGBTQIA-Rechte und eine revolutionäre Strategie zum Sturz des Kapitalismus hervorzubringen.

„Die Arbeiter:innenklasse ist von Unterdrückungsmechanismen durchdrungen, wie es die von Rassismus betroffenen Arbeiter:innen in diesem Saal, Wynnessa, Yassine, Nordine, Oumou, die grundlegende Kämpfe geführt haben, zeigen“, stellte Anasse Kazib fest. „Der Stalinismus hat den Marxismus in eine Karikatur seiner selbst verwandelt, wir fordern einen Marxismus, der alle Unterdrückungsmechanismen berücksichtigt, und wir wollen eine revolutionäre Organisation aufbauen, die dem Bild dieses Saals entspricht, gefüllt mit Arbeiterinnen und Arbeitern, Studentinnen und Studenten, Frauen, LGBTQIA+, von Rassismus betroffene Menschen usw.“, fügte er hinzu und lud alle dazu ein, sich an diesem Aufbauprozess zu beteiligen.

Abschließend betonte Daniela Cobet den Willen der künftigen Organisation, mit allen Teilen und Traditionen der Radikalen Linken in einen Dialog zu treten. Zu diesem Zweck werden, wie bei der Nationalkonferenz, im Herbst Komitees eingerichtet, die den Kongress vorbereiten und den Inhalt der künftigen Gründungstexte der Organisation diskutieren werden. Eine ebenso wichtige wie begeisternde Perspektive.

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