Sommerakademie von RIO
Vom 2.-5. August versammelten sich Mitglieder und SympathisantInnen der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) an einem Campingplatz in der Nähe von Berlin, um über die brennendsten Fragen des internationalen Klassenkampfes und der revolutionären Theorie zu diskutieren. Auch GenossInnen von unserer internationalen Strömung, der Trotzkistischen Fraktion (FT), aus Paris und Barcelona waren dabei.
Von einem „Sommercamp“ zu sprechen, wäre allerdings etwas irreführend, da relativ wenig Zeit am Strand verbracht werden konnte – was nicht nur am schlechten Wetter inklusive Hagel lag, sondern vor allem an einem sehr ambitionierten Programm. So wurde bis spät in die Nacht im Gruppenzelt diskutiert, und selbst als der Beamer aus- und die Musikanlage angemacht wurde, gingen die politischen Debatten weiter.
Die inhaltliche Achse der Sommerakademie war die Frage der programmatischen Strategie, die anhand von einem Buch Leo Trotzkis, „Die Dritte Internationale nach Lenin“ [1], oder auch des Interviews mit Emilio Albamonte über eine Schulung in Buenos Aires [2] diskutiert wurde. Viele SozialistInnen heutzutage verfolgen keine bewusste Strategie: sie bauen diese oder jene Bewegung auf und hoffen, dass etwas dabei herauskommt. Dagegen geht der Marxismus der frühen Dritten Internationale, der von Trotzki weiterentwickelt wurde, davon aus, dass jede Taktik einer Strategie untergeordnet werden muss.
RIO und die Trotzkistische Fraktion orientieren sich an einer „sowjetischen Strategie“ (nach dem russischen Wort „Sowjet“ für „Rat“), die in jedem noch so kleinen Kampf die Herausbildung von räteähnlichen Strukturen der Selbstorganisierung vorantreibt und diese auf einen revolutionären Zusammenstoß mit dem bürgerlichen Staat vorbereitet.
Diese sowjetische Strategie wurde auch anhand von konkreten Beispielen diskutiert, etwa des großen Streiks der Lebensmittelfabrik Kraft-Terabussi im Norden von Buenos Aires im Jahr 2009 [3]. In diesem Streik gegen politisch motivierte Entlassungen konnte die trotzkistische Organisation PTS (argentinische Sektion der FT) die Mehrheit der Belegschaft um sich scharen, in dem sie stets für die demokratische Selbstorganisierung des Kampfes eintrat.
Die Auswertung des Streiks bei Kraft bildete auch eine Überleitung zu einer besonders langen Debatte über die Perspektiven für revolutionäre Arbeit in der ArbeiterInnenklasse in Deutschland. RIO ist noch eine ziemlich junge Gruppe. Aber ausgehend von Erfahrungen anderer FT-Gruppen – und nach unserer Intervention beim Streik an der CFM letztes Jahr – gab es viele Überlegungen darüber, wie eine revolutionäre Organisation Einfluss in den Betrieben gewinnen kann.
Als Beispiel dafür konnten die GenossInnen, die aus Barcelona angereist waren, über ihre Interventionen in der 15M-Bewegung („Echte Demokratie Jetzt!“) im Spanischen Staat berichten. Die trotzkistische Gruppe „Clase Contra Clase“ konnte dort durch eine entschlossene Intervention im Sinne einer Orientierung auf die ArbeiterInnenbewegung und eines revolutionären Umsturzes die fortschrittliche Elemente aus der Bewegung um sich sammeln. Daraus ist die revolutionäre Gruppierung „NO PASARÁN“ entstanden, die sich immer mehr dem Trotzkismus nähert. Wie ein Genosse bemerkte, ist das eine erstaunliche Entwicklung aus einer Bewegung heraus, die sich die Ablehnung von Parteien und politischen Organisationen auf die Fahnen schrieb.
In einem weiteren Workshop ging es um revolutionäre Arbeit unter Frauen, die bei RIO trotz einiger fortschrittlicher Ansätze [4] noch in den Kinderschuhen steckt. Hier versuchten wir zuerst, ein Verständnis von Geschlecht zu entwickeln, das nicht von einem vermeintlich natürlichen Verhältnis ausgeht, sondern die sozialen Beziehungen dahinter untersucht. Dann konnten wir die Erfahrungen sowohl der revolutionären Kommunistischen Internationale wie auch der FT, die die revolutionäre Frauenorganisation Pan y Rosas [5] in verschiedenen Ländern aufbaut, heranziehen, um zu einer Diskussion über das Verhältnis zwischen Geschlecht und Klasse zu kommen. Schließlich sammelten wir auch erste Ideen, über mögliche Methoden kontinuierliche Arbeit unter lohnabhängigen Frauen und lohnabhängigen Menschen mit anderen, unterdrückten Geschlechtern.
Zum Schluss gab es auch einen Versuch, die Geschichte der trotzkistischen Bewegung in Deutschland zu analysieren. In einer sehr langen Powerpoint-Präsentation gab es nicht nur eine Liste von Kleinstgruppen, sondern auch eine Analyse der trotzkistischen Bewegung sowohl mit Tendenzen zur Anpassung und Liquidation als auch – manchmal – zu größerer Klassenunabhängigkeit. Auch wenn wir die trotzkistische Bewegung der Nachkriegszeit für zentristisch halten, müssen wir ihre Geschichte kritisch aufheben, um eine wirklich revolutionäre Tradition in Deutschland etablieren zu können. Nach dieser ersten Annäherung gab es viele Ideen, wie wir diese historische Arbeit fortsetzen können.
Insgesamt bedeutete diese Sommerakademie einen großen Schritt für RIO als Teil der FT. Sie war nicht nur qualitativ besser als die Akademie letztes Jahr sondern auch deutlich größer. Besonders auffällig war das hohe Niveau von sehr jungen GenossInnen, die sich erst im Laufe des letztes Jahres RIO angeschlossen haben. Im kommenden Jahr werden wir, gemeinsam mit neuen AktivistInnen und beflügelt von den Ideen aus den Diskussionen, unsere Interventionen bei ArbeiterInnen, SchülerInnen und Studierenden ausweiten. Das dient nicht nur dem Aufbau einer Sektion der Trotzkistischen Fraktion in Deutschland, sondern vor allem dem Wiederaufbau der Vierten Internationale als Weltpartei der Sozialistischen Revolution.
Fußnoten
[1] Dieses Buch ist leider nicht auf Deutsch online zu lesen. Ausschnitte gibt es auf Google Books , den gesamten Text auf Englisch gibt es auf marxists.org
[2] Abgedruckt in Klasse Gegen Klasse Nr. 3.
[3] Eine ausführliche Broschüre über diesen Arbeitskampf gibt es in englischer Sprache, basierend auf einem spanischsprachigen Artikel . Dazu gibt es auch diesen kurzen Artikel auf Deutsch.
[4] Internationaler Frauenkampftag
[5] Interview mit Pan y Rosas