Sollen wir Arbeiter*innen die Kürzungsparteien wählen?
Im Berliner Wahlkampf versprechen SPD, Linke und Grüne eine sozialere Politik. Gerade sie waren jedoch in den vergangenen Jahren die Parteien der Kürzungen und Privatisierungen. Kann man trotzdem mit einer Stimme für eine dieser Parteien Druck für mehr soziale Politik machen?
In den vergangenen Monaten und Jahren gab es immer wieder Arbeitskämpfe in verschiedenen Berliner Landesbetrieben oder ausgegründeten Firmen – Streiks gegen die Auswirkungen der Privatisierungspolitik des Berliner Senats. Die Große Koalition hat in den vergangenen fünf Jahren die Politik der Kürzungen weitergeführt, die aber schon unter dem rot-roten Senat der Vorjahre begonnen worden war. Umso skurriler mutet es immer wieder an, wenn Vertreter*innen dieser Parteien versprechen – gerade jetzt im Wahlkampf –, die Interessen der kämpfenden Kolleg*innen zu wahren.
Botanischer Garten
Die Kolleg*innen im Botanischen Garten der FU Berlin kämpfen seit 45 Monaten für einen neuen Entgelttarifvertrag. Monat um Monat besuchten sie Senatssitzungen, Parteitage, öffentliche Auftritte von Parteivertreter*innen und machten in eigenen Aktionen auf die Verantwortung der Parteien, vor allem von SPD und Linkspartei, für die Situation der Beschäftigten aktueller und ehemaliger Berliner Landesbetriebe aufmerksam. Denn es war unter dem rot-roten Senat, wo die „Betriebsgesellschaft Botanischer Garten und Botanisches Museum“ (BG BGBM) aus dem Tarifvertrag der Freien Universität Berlin herausgelöst wurde, um Lohndumping zu betreiben.
Auch Unterstützer*innen mit SPD-Fahnen waren vor Ort, die die Arbeiter*innen des Gartens solidarisch begleiteten. Sie versicherten, dass sie die Politik des Berliner Senats nicht mittragen würden und gerade deshalb vor Ort wären – aber gleichzeitig äußerten sie immer wieder die Erwartung, dass „die Genossen“ der SPD-Führung die Message verstanden hätten.
Der Senat und die Berliner SPD ließen die Kolleg*innen dennoch immer wieder zappeln. Zweifelsohne ist zu sagen, dass die Kolleg*innen ohne ihren Kampfeswillen und ihre schier endlose Ausdauer keinen Cent gesehen hätten. Doch nun stehen sie kurz vor dem Sieg. Schon lange ist der neue Entgelttarifvertrag unterschriftsreif, der die Beschäftigten bis 2019 wieder auf das Niveau des TV-L anhebt. Ein enormer Erfolg für die prekarisierte Belegschaft. Indes blockiert die Betriebsgesellschaft auch auf der Zielgerade noch: Beim letzten Verhandlungstag am vergangenen Mittwoch verweigerte sie noch einmal die Unterschrift – der nächste Verhandlungstag ist nun erst nach den Abgeordnetenhauswahlen angesetzt. Doch die Kolleg*innen wissen glasklar, dass die Versprechen der SPD Schall und Rauch sind – so weit gekommen sind sie nur durch ihre eigene Kraft.
Angestellte Lehrer*innen
Auch die angestellten Lehrer*innen in Berlin können ein Lied von nicht erfüllten Versprechen des Berliner Senats singen. Seit 2013 kämpfen sie für „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“. Dutzende Streiktage und Verhandlungstermine später werden die Lehrer*innen immer noch vertröstet. Der Druck an der Basis der GEW stieg, und sie wollte deshalb eigentlich zum Schuljahresanfang – kurz vor den Wahlen – zu einem einwöchigen Streik aufrufen. Kurz vorher kam der Rückzieher – die SPD-Senator*innen Scheeres (Bildung) und Kollatz-Ahnen (Finanzen) hatten neue Verhandlungen versprochen und einige Zugeständnisse in Aussicht gestellt. Das Resultat: Ruhe im Wahlkampf. Nach den Wahlen kommt wieder das große Vergessen.
Charité Facility Management
Das lässt sich auch bei der vor zehn Jahren – unter dem rot-roten Senat – ausgegründeten Charité-Tochter „Charité Facility Management GmbH“ (CFM) beobachten. Obwohl sie im September 2011 kurz vor den Abgeordnetenhauswahlen in den Streik traten, um die Charité und die für sie verantwortliche rot-rote Regierung unter Druck zu setzen, endete der Streik 13 Wochen später mit einem faulen Kompromiss; bis heute haben sie keinen Tarifvertrag.
Nun traten sie letzte Woche kurz vor den diesjährigen Wahlen wieder in den Warnstreik. Auch Mitglieder der Linkspartei unterstützten den Ausstand. Doch wird die Linkspartei, falls sie erneut an die Regierung kommen sollte, sich für die Kolleg*innen einsetzen und zehn Jahre Tarifflucht beenden?
Daniel Behruzi schreibt dazu in der jungen Welt: „Für die Partei Die Linke bietet der Streik Gelegenheit, sich in der Hauptstadt als soziale Opposition zu profilieren. Allerdings müsste sie dafür mit ihrer eigenen Vergangenheit hart ins Gericht gehen. Denn beschlossen hat die Ausgliederung der CFM einst der SPD-PDS-Senat. Ob die aus der PDS hervorgegangene Linkspartei tatsächlich mit dieser schlechten alten Zeit gebrochen hat, wird sich wohl erst nach der Wahl herausstellen.“
Schade, dieses Lied kennen wir schon. Auch 2011 wurde den Kolleg*innen eine Politik nach den Wahlen versprochen. Damals gewann die Große Koalition und der Streik verhungerte. Nun sieht es bei den jetzigen Wahlen sehr stark nach einer erneuten Regierungsbeteiligung der Linkspartei aus – doch die Bilanz von Rot-Rot von 2001 bis 2011 spricht nicht dafür, dass sich dadurch etwas für die CFM-Beschäftigten ändern wird: Schließlich schickt die Linkspartei das gleiche Personal ins Rennen, dass seit Jahren die Regierungspolitik der 2000er Jahre verteidigt. Ein Umdenken sieht anders aus.
Technikmuseum
Eine ähnliche Situation findet man auch im Berliner Technikmuseum vor. Dort arbeitet eine Hälfte der fast 170 Kolleg*innen für eine Stiftung des Landes Berlin und verdient nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L). Die andere Hälfte der Belegschaft ist bei der Technik und Museum Marketing GmbH (T&MM) angestellt, einer direkten Tochterfirma des Landes Berlin. Dort verdienen sie jedoch nur etwas mehr als einen Euro über dem Mindestlohn.
Deshalb traten auch hier die Arbeiter*innen in den letzten Monaten zwei Mal in den Warnstreik. Ergebnis war eine kleine Lohnerhöhung – und eine Einmalzahlung von 10.000 Euro. Michael Müller (SPD), der sich im Wahlkampf kritisch zu den Ausgliederungen äußert, ist als Kultussenator Teil des Stiftungsrats und wehrte sich vehement gegen die Angleichung der Löhne, um die Signalwirkung eines solchen Ergebnisses zu verhindern. Dafür nahm er sogar eine solch hohe Einmalzahlung in Kauf.
#KämpfenLohntSich
Die Kolleg*innen vom Botanischen Garten und der CFM, die angestellten Lehrer*innen, und noch viele mehr können aus den Episoden der vergangenen Jahre vor allem eins lernen: Kürzungen, Privatisierungen, arbeiter*innenfeindliche Politik lassen sich nicht „abwählen“. Immer dann, wenn in den vergangenen Jahren Erfolge zu verzeichnen waren, kamen sie nicht wegen, sondern trotz SPD und Linkspartei zustande. Die einzige Waffe, die wir haben, ist nicht der Wahlzettel, sondern der Kampf: auf den Straßen und in den Betrieben. Deswegen rufen wir zur Abgabe eines ungültigen Stimmzettels auf, um diesen Protest auszudrücken.