Solidarität mit Eleonora!
Die Initiative "Gegen jeden Rassismus an der Freien Universität Berlin" hat eine Solidaritätserklärung bei Change.org gestartet, die sich gegen die pro-zionistische Hetze ausspricht, von der eine marxistische Dozentin an der Freien Universität Berlin aktuell betroffen ist.
Für eine offene Diskussion: Keine Vorverurteilung der Lehrbeauftragten Eleonora Roldán Mendívil durch das Otto-Suhr-Institut!
Solidaritätserklärung mit Eleonora Roldán Mendívil, Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung und Lehrbeauftragte am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.
Seit einigen Wochen muss sich Eleonora Roldán Mendívil gegen Diffamierungsversuche wehren, die ihre Berechtigung auf ein Stipendium und ihre wissenschaftliche Arbeit in Frage stellen. Ihr wird vorgeworfen, antisemitische Positionen zu vertreten. Solche Vorwürfe sind keine Bagatelle, sie gefährden die derzeitige Existenzgrundlage und berufliche Perspektive einer jungen Wissenschaftlerin.
Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall. In den letzten Monaten wurden unserer Kenntnis nach verstärkt regelrechte Kampagnen gegen Personen und Organisationen geführt, die für die Rechte von Palästinenser*innen eintreten oder im öffentlichen Diskurs Kritik an der Politik der rechtskonservativen Regierung Netanjahus üben[1]. Die Diffamierungsversuche berufen sich auf ein Antisemitismus-Verständnis, das als wissenschaftlich und nicht hinterfragbar dargestellt wird. In Wirklichkeit ist keineswegs allgemein anerkannt, was als antisemitisch gilt und was nicht[2]. Unabhängig davon, welche Position man in diesem Spannungsfeld vertritt, die Methoden, mit denen gegen Eleonora Roldán Mendívil und zahlreiche andere Personen vorgegangen wird, sind für uns nicht akzeptabel. Diskussionen zum Nahostkonflikt und zu Definitionen von Antisemitismus müssen möglich sein, ohne Angst vor Diffamierungskampagnen, bei denen ein höchst komplexes Thema mittels vermeintlich einfacher Antisemitismusbeweise bearbeitet wird.
Eleonora Roldán Mendívil ist seit vielen Jahren politische Jugendbildnerin zu Themen um Rassismus, Sexismus und Kapitalismuskritik. Derzeit schreibt sie ihre Masterarbeit im Bereich Internationale Politische Theorie an der Universität Hamburg und hat seit dem Wintersemester 2016/17 einen Lehrauftrag am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, wo sie 2014 ihr Bachelor-Studium in Politikwissenschaft abgeschlossen hat. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen im Bereich der Geschlechterforschung, Postkolonialer Theorie, Critical Race Studies, der Migrationsforschung sowie Marxistischer Theorie. Das von ihr angebotene Seminar hat „Rassismus im Kapitalismus“ zum Thema. Sie ist Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung, aktiv in den stipendiatischen Selbstverwaltungsstrukturen und Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.
Im Fall Eleonora Roldán Mendívils hat ein diffamierender Blogbeitrag und ein nicht veröffentlichtes Schreiben einer Hochschulgruppe mit dem Namen „Gegen jeden Antisemitismus“ dazu geführt, dass die Geschäftsführung des Otto-Suhr-Instituts öffentlich verkündet, die Vorwürfe prüfen zu lassen und vorerst keine Lehraufträge an Eleonora Roldán Mendívil zu vergeben[3]. Die Geschäftsführung bezieht sich in ihrer Stellungnahme auf einen Artikel von Timo Koch in der ‚Jüdischen Rundschau'[4]. Dieser Artikel war wortgleich zuerst anonym auf einem Blog veröffentlicht worden[5], dessen Autor, Andreas Boas, u.a. Tweets des rechten niederländischen Politikers Geert Wilders sowie von Donald Trump verbreitet. Ein dritter Artikel erschien inzwischen auf einer Seite Namens ‚MENA Watch'[6] und bezieht sich auf genau die gleichen vom Original-Artikel abgeleiteten Begründungen. Keiner der Artikel versucht, die Vorwürfe anhand von Inhalten oder Aussagen der Dozentin im Seminar nachzuweisen, sondern alle beziehen sich auf Aussagen Roldán Mendívils, die sie in Posts aus 2014 und 2015 auf ihrem persönlichen Blog[8] veröffentlicht hat, auf ihre Unterzeichnung eines Offenen Briefs Kulturschaffender in Deutschland zum Krieg in Gaza 2014[9] sowie ihr Mitwirken in einem Musikvideo. Die Zitate sind aus dem Kontext gerissen. Der Vorwurf, das Musikvideo enthalte „übelste Hetze gegen Israel“, wird nicht begründet. Ebenso wenig wird erläutert, wie eine Kritik an der Regierung Israels mit Antisemitismus gleichgesetzt werden kann. Tatsächlich gibt es im Video eine klare Kampfansage gegen Antisemit*innen[10]. Die Begründung, der Offene Brief Kulturschaffender in Deutschland zum Krieg in Gaza 2014 bediene einen „Klassiker des Antisemitismus von vor 1945“ beruht darauf, den Autor*innen zu unterstellen, sie nutzten Israel als Metapher für den „kollektiven Juden“, was an keiner Stelle nachgewiesen wird. In Reaktion auf die Stellungnahme des Instituts veröffentlichte die Jerusalem Post einen Artikel von Benjamin Weinthal mit dem mindestens irreführenden Titel „German University suspends Pro-BDS Professor“[11].
Wenn politische Positionierungen gegen eine rechts-konservative israelische Regierungspolitik oder Äußerungen bezüglich kolonialer Aspekte des Zionismus und der aktuellen Siedlungspolitik automatisch als antisemitisch disqualifiziert werden, zielt dies auf einen Abbruch der Diskussion, auf eine persönliche Diffamierung der Betroffenen, auf die langfristige Schädigung der wissenschaftlichen und beruflichen Laufbahn einer jungen Dozentin und trägt in keiner Weise zu einer wissenschaftlichen und politischen Klärung bei. Mit diesem Ausschluss ist die Grenze von der Kritik zur Diffamierung überschritten, und das ist eine Verletzung der Freiheit von Forschung und Lehre, die gerade auch bei sensiblen Themen gewährleistet werden muss.
Wir begrüßen die Ankündigung des Otto-Suhr-Instituts eine Podiumsdiskussion noch im laufenden Semester zu veranstalten, um „die Grenze zwischen einer wissenschaftlich relevanten Kritik und einer Verunglimpfung Israels und seiner Politik“ zu diskutieren. Wir fordern das Otto-Suhr-Institut auf, so schnell wie möglich in einem transparenten Prozess mit der Organisation dieser Veranstaltung zu beginnen. Wir verurteilen, dass die Stellungnahme veröffentlicht wurde, ohne vorher das Gespräch mit der Betroffenen zu suchen und fordern, dass dies umgehend nachgeholt wird und Eleonora Roldán Mendívil in die Planung der kommenden Veranstaltung einbezogen wird.
Die bisherige Reaktion, „eine wissenschaftliche Untersuchung der Vorwürfe einer israelfeindlichen, oder gar antisemitischen Publikationspraxis der Lehrbeauftragten Roldán Mendevil [sic] vorzunehmen, und ihr zumindest bis zur Klärung der Vorwürfe“ am Otto-Suhr-Institut keinen weiteren Lehrauftrag zu erteilen, droht den Vorwürfen eine Legitimation zuzusprechen, die in keiner Weise angemessen ist. Roldán Mendívil leistet durch ihren Lehrauftrag einen von vielen Studierenden geschätzten, wichtigen Beitrag zur kritischen Lehre am Institut. Wir fordern das Institut auf die öffentliche Stellungnahme zurück zu nehmen und Eleonora Roldán Mendívil nicht aufgrund von diffamierenden Vorwürfen Lehraufträge vorzuenthalten.
Die Solidaritätserklärung kann hier unterschrieben werden.
Fußnoten
[1] http://www.taz.de/!5334845/; http://www.sueddeutsche.de/muenchen/schwabing-benefizkonzert-zwischen-israelkritik-und-antisemitischer hetze-1.3184940; http://www.swp.de/ulm/lokales/ulm_neu_ulm/arn-strohmeyer-ueber-anti-und-philosemitismus-11939924.html; http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0077.html;
[2] http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Analysen/Analyse_Linke-u-Nahostkonflikt.pdf
[3] http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/_elemente_startseite/4spalten_links/Material/Stellungnahme-zum-Vorwurf-Antisemitismus_09_01_17.pdf
[4] http://juedischerundschau.de/israelhetze-mit-lehrauftrag-an-der-berliner-uni-135910694/
[5] https://boasinfo.wordpress.com/2016/12/25/israelhetze-mit-lehrauftrag-an-berliner-uni/
[6] http://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/berlin-antiisraelische-aktivistin-als-politik-dozentin/
[8] https://cosasquenoserompen.noblogs.org/about/
[9] http://www.gazaopenletter.de/
[10] https://www.youtube.com/watch?v=LpWzpLepDjo (ab Minute 03:03)
[11] http://www.jpost.com/Diaspora/German-university-suspends-pro-boycott-Israel-academic-478024