Solidarität in Zeiten von Corona
Trotz der Vereinzelung, die uns der neoliberale Kapitalismus aufzwingen will, zeigt die große Mehrheit der Bevölkerung angesichts der Corona-Pandemie Gesten des kollektiven Zusammenhalts. Das ist unsere Solidarität – nicht die Solidarität der Bosse.
In sozialen Netzwerken senden Tausende Posts und Tweets mit den Hashtags #Nachbarschaftshilfe oder #NachbarschaftsChallenge. In Hausfluren hängen Nachbar*innen Zettel auf mit dem Angebot, für Menschen in Not, in Quarantäne oder für Risikogruppen einkaufen zu gehen, Babysitting zu machen oder Ähnliches. Arbeiter*innen in Krankenhäusern sind trotz der Überlastung der vergangenen Tage weiterhin mit vollem Einsatz für die Menschen da, die Beratung oder Behandlung brauchen.
In Momenten großer Krisen sind diese Reaktionen nichts Ungewöhnliches: Trotz all der Vereinzelung, trotz all des Individualismus und der „Leistungsorientierung“, die der neoliberale Kapitalismus uns aufzwingt und die unsere sozialen Beziehungen verformen, sind diese tatsächlichen großen Gesten der Solidarität, der gegenseitigen Unterstützung, die in der Arbeiter*innenklasse und vor allem von den Frauen geleistet werden, ein Hoffnungsschimmer des kollektiven Zusammenhalts und ein Zeichen dafür, dass der Kapitalismus noch nicht alle Bereiche unseres Lebens durchdrungen hat.
Historisch ist dieser kollektive Geist die soziale Grundlage des Lebens der großen Masse der Bevölkerung. Auf ihn stützen wir uns vor allem in Zeiten der Not – des Einzelnen oder der Masse –, um gegen die Mächte des grenzenlosen Profits und gegen das Elend zu überleben. Doch dieser Geist ist auch der Keim für eine Antwort auf die tieferen Ursachen, die erst dazu geführt haben, dass Covid-19 in vielen Ländern und auch hier in Deutschland schon jetzt das Gesundheitssystem überlastet, obwohl die Fallzahlen noch längst nicht ihren Höhepunkt erreicht haben.
Ihre Solidarität und unsere
Denn unsere Solidarität, die wir mit unseren Nachbar*innen, unseren Arbeitskolleg*innen, unseren Kommilliton*innen und Mitschüler*innen üben, erinnert uns daran, dass die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung im Gegensatz zu den Interessen derjenigen stehen, die uns tagtäglich ausbeuten und unterdrücken – und dass wir ihnen unsere Solidarität entgegensetzen können, wenn wir uns organisieren.
Denn wir dürfen nicht vergessen, dass die Krise des Coronavirus nicht von einem Tag auf den anderen entstand. Jahrzehnte des Kaputtsparens des Gesundheitssystems und der öffentlichen Daseinsvorsorge, jahrzehntelange Prekarisierungspolitik, die uns ohne soziale Absicherung lässt, und eine Profitorientierung, die auch in Zeiten verschärfter Vorschriften für den öffentlichen Raum, der Schließung von Bars, Clubs, Theatern, Museen, Kinos etc. weiterhin die großen Fabriken und Unternehmen offen lässt, damit Millionen von Menschen weiterhin jeden Tag zur Arbeit gehen müssen, selbst wenn sie nicht Teil der kritischen Infrastruktur ist.
Umso empörender ist es, wenn die Regierung, die großen Kapitalist*innen und ihre medialen Handlanger wie FAZ und BILD uns jetzt für unsere Solidarität loben. Die uns auf unsere individuelle Verantwortung hinweisen, aber die Profitrate aufrecht erhalten wollen. Wie zynisch, dass das Wirtschaftsministerium unbegrenzte Kredite und weitere Subventionen für Unternehmen verspricht – aber Millionen Menschen weiterhin täglich der Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind, weil es „der Markt“ so verlangt.
Nein, unsere Solidarität ist eine ganze andere. Die Regierung und die Parteien im Parlament sind solidarisch mit den Bossen und ihren Gewinnen – selbst Linkspartei-Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte im Deutschlandfunk, „dass alles getan werden müsse, damit die Wirtschaft angesichts der Ausbreitung des Virus am laufen gehalten werde“. Wir, die lohnabhängige Masse, sind schon längst daran gewöhnt, dass im Kapitalismus unsere Leben immer dem Profit einiger weniger untergeordnet bleiben, dass in Krisen und Kriegen die Opfer vor allem in unseren Reihen zu finden sind. Die Kapitalist*innen und ihre Regierungen haben in den vergangenen Jahrzehnten alles privatisiert, was nicht niet- und nagelfest war – und wenn wir uns heute in unserem persönlichen Umfeld gegenseitig stützen, dann auch aus der schieren Notwendigkeit heraus, dass die öffentlichen Dienstleistungen, die wir benötigen, nicht mehr existieren.
Dagegen brauchen wir ein Gesundheitssystem im Interesse aller, nicht im Interesse des Profits einiger weniger. Verwandeln wir unsere Solidarität in Stärke und fordern wir gemeinsam, dass die Millionär*innen, die ihre Profite mit der Ausbeutung unserer Arbeitskraft und mit der Ausblutung des Gesundheitssystems gescheffelt haben, und die Regierungen in ihren Diensten all ihre Ressourcen zur Verfügung stellen, um diese Pandemie zu überwinden.
Dafür brauchen wir einen Notfallplan, der die Zentralisierung der Gesundheitsversorgung und ihre Kontrolle durch die Beschäftigten im Gesundheitssystem selbst beinhaltet. Dazu brauchen wir Einsicht in die Bücher aller Krankenhäuser und Gesundheitskonzerne, um ihre Profite offenzulegen und diejenigen Zweige zu vergesellschaften, die aus dieser Krise Gewinn schlagen und einem Notfallplan im Weg stehen.
Unsere Solidarität kann so ein Ausgangspunkt für mehr als ewigen Widerstand werden, sondern für den Kampf für eine Gesellschaft, in der unsere Leben wirklich mehr wert sind als ihre Profite.