Solidarität gegen Pessimismus: Der Weg aus der Hoffnungslosigkeit geht über gemeinsame Organisierung
Während in Deutschland die Jugend in der Aussichtslosigkeit versinkt, breitet sich an US-Universitäten eine hoffnungsvolle Stimmung der Solidarität aus, die mit 1968 verglichen wird. Was ist zu tun?
„Von New York bis nach Texas, die Angst ist verflogen. Ein unglaublich schöner Anblick. Hat sich Vietnam etwa so angefühlt? Das hat ein Alt-68er zu mir gesagt.“ Mit diesen glühenden Worten kommentierte eine Beobachterin die US-amerikanischen Studierendenproteste gegen den Genozid in Gaza auf X. Während in Gaza die Zahl der Todesopfer mittlerweile 34.000 übersteigt, die Überlebenden weiter hungern und Israel eine potentiell desaströse Bodenoffensive in Rafah vorbereitet, sind in den USA die letzten Tage geprägt von massiver Repression und Polizeigewalt – aber auch von breit angelegter Solidarität mit den Studierendenprotesten.
Nachdem die Universitätsleitung der Columbia University in New York letzte Woche ein friedliches Protestcamp durch Polizeigewalt hatte räumen lassen, wurden mehr als 100 Studierende festgenommen. Das Protestcamp wurde ursprünglich durch die politische Exmatrikulation von 15 Studierenden angestoßen, die als propalästinensische Aktivist:innen ausgemacht worden waren. Die zentrale Forderung ist und bleibt: Ceasefire Now – Waffenstillstand jetzt! Doch die Studierendenbewegung hat sich auch ein Ende der universitären Zusammenarbeit mit Waffenproduzenten und israelischen Unternehmen sowie Straffreiheit für alle Protestierenden zum Ziel gesetzt.
Als Reaktion auf die Repression entstanden landesweit über ein Dutzend Protestcamps an Universitäten, darunter auch an der prestigeträchtigen Yale Universität in New Haven und an der New York University (NYU). An den beiden zuletzt genannten Unis alleine wurden nochmal etwa 150 Studierende festgenommen, während republikanische Abgeordnete auf den Einsatz von Bundespolizei und Nationalgarde gegen die Studierenden pochen. In einem offenen Brief haben die Dozierenden der NYU die Haltlosigkeit der Antisemitismusvorwürfe gegen die Protestierenden dargelegt , und das Vorgehen der Universitätsleitung als „willkürlich, unangemessen und unbegründet“ kritisiert – insbesondere da die Repression zu einem großen Teil Schwarze und Studierende of color traf, die mit der New Yorker Polizei eine lange Geschichte der Unterdrückung und Misshandlung verbindet.
Zuversichtlich stimmt inmitten der massenhaften Repression und Polizeigewalt jedoch nicht nur die Solidarität der Dozierenden an der NYU. Auch an zahlreichen anderen Universitäten haben sich Studierende und Beschäftigte mit den Protestierenden solidarisiert. An der Columbia Universität haben Dozierende diesen Montag ihre Arbeit niedergelegt, um gegen den brutalen Polizeieinsatz zu protestieren. Ein Dozent beschrieb diesen als „komplett ungerechtfertigt. Es handelte sich in jedem Fall um einen gewaltfreien Protest.“ Eine Gruppe gewerkschaftlich organisierter Beschäftigter an der Columbia University hat sich koordiniert für drei Tage krank gemeldet, um Druck auf die Universitätsleitung aufzubauen. Wie Olivia Wood in Left Voice betont, stellen solche Formen des Streiks und Protests von Dozierenden und Beschäftigten einen bedeutenden Schritt dar. Denn dass diese sich in einem solchen Ausmaß mobilisieren und dabei für politische Forderungen einsetzen, das hat man seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen.
All diese Beispiele zeigen, wie die Verbindung von Studierenden- und Arbeiter:innenbewegung die gemeinsame Kampfkraft stärkt. Längerfristige Perspektive muss dabei die gemeinsame Koordinierung von Streiks sein, denn nur auf diesem Weg können sie genügend Druck ausüben, um der Macht des Kapitals und des bürgerlichen Staates etwas entgegenzusetzen. Bedingung dafür ist auch, dass Gewerkschaften sich über unmittelbare Lohnforderungen hinausgehend positionieren und politische Streiks zur Durchsetzung dieser Forderungen ausrufen. In den USA haben sich bereits die Automobilgewerkschaft UAW, die Lehrkräftevereinigung AFT und der größte Gewerkschaftsbund des Landes, die AFL-CIO, in Resolutionen für einen Waffenstillstand in Gaza ausgesprochen. Im Fall der UAW haben die Kämpfe an den Universitäten entscheidenden Druck auf die Gewerkschaftsführung ausgeübt, die sich zunächst einer solchen Positionierung widersetzte. Deutschland hinkt derweil noch hinterher: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Einzelgewerkschaften lassen mit einer Positionierung gegen die deutsche Staatsräson noch auf sich warten, doch auch hier wird entschieden Druck von der Basis aufgebaut.
Gleichzeitig sind in Deutschland Jugendliche zwischen 14 und 29 Jahren gemäß einer neu erschienenen Studie pessimistischer gestimmt denn je. Psychische Belastungen wie Stress (51% der Befragten), Erschöpfung (36%), Antriebslosigkeit (33%) und Hilflosigkeit (17%) sind alle angestiegen. Studienautor Simon Schnetzer sieht darin „eine tiefsitzende mentale Verunsicherung mit Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen.“ Und das nicht ohne Grund. Die aktuelle Weltlage liefert genügend Anlass für Gefühle von Pessimismus und Ohnmacht. So machten sich unter anderem 65% der Befragten Sorgen um die Inflation, 60% um Krieg in Europa und Nahost, 54% um teuren und knappen Wohnraum, 49% um den Klimawandel und 44% um das Erstarken von rechtsextremen Parteien.
Das andauernde Versagen der Ampel-Regierung, auch nur eines dieser Probleme in den Griff zu bekommen, zeigt sich an vielen Fronten. Während sie versucht, sich als vermeintliche Alternative zu rechter Politik zu inszenieren, rückt sie selber immer weiter in deren Nähe. Die massiven Haushaltskürzungen unter der Ampel-Regierung schlugen sich insbesondere in der Bildung und im Sozialwesen nieder – Bereiche also, in denen besonders Jugendliche darunter leiden – während das eingesparte Geld in die Militarisierung und den Ausbau der Polizei gepumpt wird. In Berlin wurden diese Kürzungen sowie der Ausbau der Polizei auch von der Partei DIE LINKE mitgetragen, als diese noch Teil der Regierung war. Die Repression des bis an die Zähne bewaffneten Polizeiapparats bekommt nun die palästinasolidarische Bewegung mit voller Wucht zu spüren, die sich seit Beginn des Genozids in Gaza einer beispiellosen Kriminalisierung ausgesetzt sieht. Auch zentrale Repräsentant:innen der Linkspartei haben seitdem versäumt, klare Haltung gegen die Ermordung der Palästinenser:innen zu beziehen. Die in diesem Kontext angekündigte Wiedereinführung der politischen Exmatrikulation durch den schwarz-roten Berliner Senat wird das Repressionsniveau an den Hochschulen der Hauptstadt indes an US-amerikanische Standards anpassen. Gleichzeitig versucht die bayerische Landesregierung eine Militärforschungspflicht für ihre Unis durchzusetzen.
Verständlich also, dass für viele Jugendliche keine Alternative links der Regierungsparteien und der Partei DIE LINKE vorstell- oder wahrnehmbar ist. Die AfD, die sich als vermeintliche Alternative zur aktuellen Politik inszeniert, füllt diese Lücke und triumphiert mit aktuell 22 Prozent der Wählergunst unter Jugendlichen. Eine echte Alternative zum aktuellen Kurs, der so viele pessimistisch in die Zukunft blicken lässt, kann jedoch nur auf Grundlage der materiellen Gegenmacht der Arbeiter:innen und Unterdrückten aufgebaut werden. Den Weg aus der Ausweglosigkeit können nur wir selbst uns bahnen. Nicht im Alleingang und im Rückzug ins Privatleben, sondern indem wir uns kollektiv organisieren, auf der Arbeit und in den Unis. Die Zuversicht, die die gemeinsamen Kämpfe der Studierenden und Arbeiter:innen in den USA gerade ausstrahlen, gibt uns dabei Hoffnung.
Als marxistische Hochschulgruppe Waffen der Kritik kämpfen wir für eine Zeitenwende in unserem Sinne gegen die Kapitalist:innen und ihre Regierungen. Anhand der marxistischen Theorie und den Erfahrungen der Arbeiter:innenklasse wollen wir als Studierende einen Beitrag im Klassenkampf leisten. Wir haben eine Welt zu gewinnen – ohne Klassen und Staat, eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung. Wir sind aktiv in Berlin, Bremen, Kassel, Leipzig, Münster, München und haben Genoss:innen in verschiedenen weiteren Städten. Schreibe uns, wenn du dich in Waffen der Kritik organisieren willst, per Mail oder auf Instagram. Hier kannst du mehr über uns erfahren.