#SolidarischerHerbst und #GenugIstGenug: Mit oder gegen die Regierung?

25.10.2022, Lesezeit 6 Min.
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Klasse Gegen Klasse und die Vernetzung für Kämpferische Gewerkschaften bei der Demonstration zum "Solidarischen Herbst" am 22. Oktober in Berlin. Foto: Joseph Koch

Gewerkschaften und NGOs haben am vergangenen Samstag zum "Solidarischen Herbst" 24.000 Menschen bundesweit und 6.000 in Berlin mobilisiert. Letzteres ist allerdings weniger, als die AfD vor Kurzem auf die Straßen der Hauptstadt brachte. Auch "Genug ist Genug" will eine linke Antwort auf die Krise geben – eine radikale Konfrontation der Regierung sieht trotzdem anders aus.

Während seit Monaten angesichts der steigenden Energiepreise sowohl von Links als auch von Rechts von einem heißen Herbst der Proteste geredet wird, war im offiziellen Aufruf von ver.di, GEW, sowie Sozial- und Umweltverbänden für den 22. Oktober die Rede vom „Solidarischen Herbst“. Anstatt also den Fokus darauf zu legen, der Regierung Feuer unterm Hintern zu machen, bis sie die Forderungen der Gewerkschaften erfüllt, traten die Organisator:innen eher als kritische Bittsteller:innen an die Regierung auf. Die Forderungen blieben dementsprechend handzahm. Im Aufruf hieß es, der Staat solle „Vermögende und Krisengewinnler zur Solidarität verpflichten und endlich angemessen belasten“. Etwas konkreter bezüglich sozialer Forderungen wird es nur in wenigen Punkten: „Mietenstopp, ein höheres Bürgergeld, eine 500-Euro-Brutto-Soforthilfe, eine bezahlbare Nachfolge für das 9-Euro-Ticket.“ Bis auf den Mietenstopp handelt es sich dabei allerdings um Forderungen, die so oder in sehr ähnlicher Form bereits von der Regierung diskutiert werden – und letztlich dazu dienen sollen, die Bewegung auf den Straßen einzudämmen. Eine ähnliche Politik fahren die Bosse in der Chemie- und Metallindustrie: Teil des neuesten Abschlusses in der Chemie sind 3.000 Euro einmalige, steuerfreie Sonderzahlung. Im Metallsektor bahnt sich etwas Vergleichbares an, um zu vermeiden, dass Millionen Beschäftigte in den Streik treten und weitaus höhere Forderungen stellen.

Wenn linke Sozialproteste sich kaum von der Politik der Ampel abgrenzen, dann ist es kein Wunder, dass sie angesichts der Schärfe der Krise viel weniger anziehend wirken als die Proteste von Rechts, die vor allem Grüne und SPD scharf angreifen. Teile dieser beiden Parteien beteiligen sich sogar selbst am Bündnis „Genug ist Genug“. Doch nicht um für eine grundsätzliche Opposition zu kämpfen, sondern ein linkes Korrektiv für die Ampel zu bilden. Wie widersprüchlich diese Politik ist, zeigte sich unter anderem an der Gaspreiskommission der Bundesregierung. In letzterer sitzen neben Konzernbossen von E.on oder RWE und Regierungsvertreter:innen auch Wissenschaftler:innen, Vertreter:innen von Wohlfahrtsorganisationen wie Caritas und Gewerkschaftsvorsitzende. Dass der dort ausgehandelte Gaspreisdeckel viel zu spät kommt und vermutlich nicht einmal die nötige Entlastung für Haushalte bringt, zeigt, wie wenig Arbeiter:innen mit solchen Kommissionen zu gewinnen haben. Zudem unterstützen sowohl SPD als auch Grüne das 100-Milliarden-Euro Aufrüstungspaket der Bundesregierung. Sogar führende Vertreter:innen der Grünen Jugend, die auch im Bundestag sitzen, haben für das 100-Mlliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr im Juni gestimmt anstatt dafür zu kämpfen, dass das Geld in die Gesundheit, in die Bildung, den Umweltschutz oder ins Soziale gesteckt wird.

Dazu kommt, dass ver.di und GEW ihr Potential als Arbeiter:innenorganisationen nicht ansatzweise ausschöpfen. So hat nicht einmal der gesamte DGB zum Aktionstag am 22. Oktober aufgerufen. Für ver.di steht im Winter eine massive Tarifrunde im TVöD bevor, die GEW rief erst vor einer Woche zum Streik auf und konnte damit 3.500 Berliner Lehrer:innen auf die Straße bringen. Doch die Verbindung der Tarifrunden mit politischen Protesten gegen die Regierungspolitik fand am Samstag nur oberflächlich statt. Auch bei den Forderungen spiegelt sich das wieder: Während für die kommende Tarifrunde im Öffentlichen Dienst eine Forderung nach 500 Euro Mindesterhöhung für alle Lohngruppen aufgestellt wird, findet sich im Programm für den Solidarischen Herbst keine vergleichbare Forderung. Die Krankenhausbewegung in Berlin hat zudem offensiv gefordert, dass der Tarifvertrag bei längerer Laufzeit eine automatische Anpassung an die Inflation enthalten soll. Das ist äußerst fortschrittlich und wäre in allen Bereichen wichtig. Warum werden von ver.di und ihren Bündisorganisationen nicht die Angleichung der Löhne, Renten und anderer Sozialleistungen an die Inflation gefordert? Oder auch eine feste Deckelung der Gas- und Strompreise statt einer konzernfreundlichen „Gaspreisbremse“, wie sie aktuell vorgeschlagen wird? Ganz zu schweigen von einer Enteignung der Energiekonzerne, um demokratisch über die Nutzung der Energie zu entscheiden. Mit solchen weitreichenden Forderungen könnte tatsächlich eine Perspektive eröffnet werden, für die es sich lohnt, auf die Straße zu gehen.

In der Frage des Ukraine-Kriegs hebt sich das Bündnis aus Gewerkschaften und NGOs so gut wie gar nicht von der Ampel-Koalition ab. Es wird erklärt, dass man solidarisch mit der Ukraine sei – und meint damit konkret die Sanktionen der Bundesregierung gegen Russland. Und das, obwohl eine Mehrheit der Menschen in Deutschland mittlerweile Sanktionen ablehnt, die zu weiteren finanziellen Belastungen führen. Im Osten Deutschlands sind es gemäß derselben Umfrage vom September sogar 77 Prozent. Wer sich mit den imperialistischen Maßnahmen der Bundesregierung gemein macht, obwohl diese sowohl der russischen als auch der europäischen Arbeiter:innenklasse schaden, macht es der AfD und anderen Rattenfängern leicht, sich mit ihrer russlandfreundlichen Kurs und vermeintlicher Friedenspolitik als echte Opposition darzustellen.

Bündnisse wie „Heizung, Brot und Frieden“ oder eben auch „Genug ist Genug“ versuchen eine linke Antwort auf diese Krise zu geben. Deshalb beteiligen wir uns auch an diesen Bündnissen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns der Politik der Jusos, der Grünen Jugend oder der Linkspartei anpassen. Ganz im Gegenteil kämpfen wir dafür, für eine revolutionäre Fraktion in solchen Bündnissen, um eine klassenkämpferische und antiimperialistische Opposition in den Inflationsprotesten gegen die Politik der Regierung aufzubauen. Denn die Politik der Ampel ist nicht einfach nur „nicht ausreichend“, um Menschen in Deutschland zu entlasten. Besonders die außenpolitische Zeitenwende – verbunden mit den beispiellosen Aufrüstungsplänen der Bundeswehr – werden solche Krisen, wie wir sie heute erleben, immer wieder aufflammen lassen. Deshalb kämpfen wir dafür, dass auch die kommenden Tarifrunden nicht nur einfache (notwendige) Lohnrunden werden, sondern auch Kämpfe gegen die Aufrüstung und die imperialistischen Sanktionen. Wir wenden uns gegen die Stärkung des deutschen Imperialismus in der Welt. Denn das bedeutet für Milliarden Menschen weltweit, mehr Privatisierungen, Umweltzerstörung, Ausbeutung und Hungerkrisen. Wir wollen den deutschen Imperialismus nicht etwas grüner anstreichen, sondern grundsätzlich stürzen. Wir stehen an der Seite aller Arbeiter:innen, der Jugend und aller Unterdrückten der Welt, die unter dem deutschen Imperialismus leiden und wollen gemeinsam mit ihnen für eine internationalistische revolutionäre Partei kämpfen, die weltweit der Kriegstreiberei, der Umweltzerstörung und der Ausbeutung der imperialistischen Staaten ein Ende setzt.

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