Solid Berlin: Revolutionäre Fraktion wirbt bei Landesvoll­versammlung für Bruch mit der Linkspartei

26.10.2022, Lesezeit 15 Min.
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Solid-Fahne in Berlin bei der "No War but Class War"-Demo am 9. April. Foto: Dustin Hirschfeld

Am vergangenen Wochenende fand die 32. Landesvollversammlung der Linksjugend Solid Berlin im IG-Metall-Haus statt. Während die Mehrheit ein linkes Korrektiv der Partei DIE LINKE sein will, schlug eine Minderheit einen revolutionären Bruch mit dem Reformismus und der Linkspartei vor.

Die 32. Landesvollversammlung (LVV) der Linksjugend Solid Berlin versprach kontroverser zu werden als die vorigen. Denn es bahnte sich ein Schlagabtausch zwischen der Mehrheit des Berliner Verbandes und einer Minderheit an, die sich nicht länger mit der Politik der reformistischen Linkspartei und Solid begnügen und stattdessen einen revolutionären Bruch mit diesen staatstragenden Apparaten vollziehen will. Bereits im Vorfeld der LVV hatten einige Mitglieder der Solid eine solche Fraktion innerhalb der Linksjugend und Linkspartei gegründet. In Berlin wurde diese Fraktion von Personen aus der Basisgruppe Nord-Berlin mit Unterstützung von Klasse Gegen Klasse sowie von Doppelmitgliedern von Solid und der kommunistischen Jugendgruppe REVOLUTION getragen.

Ziel der Fraktion für einen revolutionären Bruch bei der Landesvollversammlung war es, eine Abrechnung nicht nur mit dem Versagen der Linksjugend und Linkspartei zu Fragen wie Feminismus und #LinkeMeToo sowie den fehlenden Interventionen in die Proteste zum „heißen Herbst“ zu machen, sondern auch eine Abrechnung mit der grundsätzlichen Strategie der Regierungsbeteiligung und der reformistischen Integration der Linkspartei in den bürgerlichen Staat zu leisten. Eine entsprechende Erklärung, die dieser reformistischen Strategie Ansätze für eine klassenkämpferische, antiimperialistische und revolutionär-sozialistische Perspektive entgegensetzt, wurde im Vorfeld der LVV veröffentlicht und auf der LVV als Antrag eingebracht. Er sollte dazu dienen, unter den anwesenden Mitgliedern und Sympathisant:innen der Linksjugend Solid diejenigen zu sammeln, die sich angesichts der tiefen Krise, in der wir mit Inflation, Krieg, Aufrüstung, Klimakatastrophe und dem Wachstum der Rechten stecken, nicht länger der Sackgasse des Reformismus hingeben wollen.

Denn für uns liegt das Versagen der Linkspartei und Linksjugend nicht darin begründet, dass die falschen Leute die Führung dort haben. Stattdessen geht es uns darum, wie sich die Linkspartei und die Solid vorstellen, Veränderungen zu erwirken. Die Linkspartei war von Anfang an ein Projekt, das darauf ausgerichtet war, Regierungsbeteiligungen übernehmen zu können und den bürgerlichen Staat nur zu verwalten, anstatt ihn zu stürzen und durch einen Arbeiter:innenstaat zu ersetzen. Dabei ist es der bürgerliche Staat – auch mit einer vermeintlich linkeren Regierung wie der Ampelkoalition –, der die Interessen und Profite der Kapitalist:innen verteidigt und die Kosten von Krieg und Krise auf die große Mehrheit der Bevölkerung abwälzt. Wir wollen stattdessen gegen den bürgerlichen Staat kämpfen und an den Orten, an denen wir unser Leben verbringen, Bastionen im Kampf für den Sozialismus aufbauen, weshalb wir auch für den dafür nötigen Bruch mit dem Reformismus auf der Landesvollversammlung gekämpft haben.

Reformistische Nebelkerzen

Die Versammlung startete mit einem Grußwort von Franziska Brychy, Teil des Bezirksvorstandes Steglitz-Zehlendorf der Linkspartei, sowie Mitglied des Abgeordnetenhauses. Sie bekundete eine Offenheit dafür, über den Austritt der Linkspartei aus der Berliner Landesregierung zu diskutieren, sollte DWE verschleppt werden. Man beachte, dass sie hier den Konjunktiv verwendete, anstatt den längst bestehenden Verrat der Linkspartei am Volksentscheid festzustellen. Sie ging auf die Energiekrise und den Schulplätze- und Lehrkräftemangel in Berlin ein und forderte eine harte Auseinandersetzung der Linkspartei mit Grünen und SPD, sowie eine Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets, die Aufhebung der Schuldenbremse für Berlin sowie Wahlrecht für alle. Dass man dabei in einem „fundamentalen Widerspruch“ mit den Grünen und der SPD sei, war für sie jedoch noch längst kein Grund, die Koalition aufzukündigen. Sie betonte außerdem die Vorreiterrolle der Linkspartei in der Geflüchtetenpolitik. Dass die Berliner Landesregierung im bundesweiten Vergleich zu den drei Landesregierungen mit den meisten Abschiebungen 2021 zählt, verschwieg sie. Wie zu erwarten, schätzt Brychy die Linkspartei also als eine starke politische Kraft ein, die nur etwas zurechtgerückt werden müsste. Die Solid Berlin forderte sie auf, für den Landesvorstand zu kandidieren, damit „junge Leute“ in den „konstruktiven“ Austausch mit der Partei treten und den Kurs nach links verschieben könnten. Wie man bei der Beibehaltung derselben Strategie eine in der Praxis linkere Politik erwirken kann, bleibt unklar.

Der erste inhaltliche Antrag, der vorgestellt wurde, war ein Leitantrag, der vom Landessprecher:innenrat (LSPR) eingereicht wurde und davor auf berlinweiten Solid-Treffen andiskutiert wurde. Er griff ein paar wenige politische Punkte auf, wie den Ukrainekrieg, wo er zwar eine in die richtige Richtung gehende „weder Russland, noch NATO“ Politik forderte, dabei aber vollständig abstrakt geblieben ist. Wichtige Forderungen, wie das Ende von Sanktionen und Waffenlieferungen, fehlten komplett. Noch mehr: Es wurde zwar an mehreren Stellen vollmundig verkündet, insbesondere bezogen auf die vom Krieg verschärfte Inflation, Widerstand leisten und sich zur Wehr setzen zu wollen – wie genau das geschehen soll, fehlte aber komplett. Außerdem befindet sich eine fatale, sich gegen frühere Beschlüsse wendende Analyse zu „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ im Antrag. Anstatt zu fordern, dass die Linkspartei unverzüglich aus der Regierung austritt, wird suggeriert, dass aus der Expert:innenkommission heraus noch eine Umsetzung des Volksentscheides passieren könnte. Erst wenn die Expert:innenkommission zu Ende getagt hat, soll die Linkspartei bei einem schlechten Ergebnis aus der Regierung austreten. Dies soll die Antwort auf die in der Vorbemerkung gestellten Frage „Wie können wir dazu beitragen, die objektiven Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution herbeizuführen?“ sein – ein Armutszeugnis.

Es gab mehrere Änderungsanträge, unter anderem von Unterzeichner:innen der Fraktionserklärung. Diese verlangten zum Beispiel einen Bruch mit der Linkspartei, sollte DWE weiter verschleppt werden. Auch wurde auf Arbeitskämpfe eingegangen und die Rolle von Jugendlichen im Kampf für den Sozialismus, sowie auf Schritte, die zu einer revolutionären Situation führen könnten. Diese Änderungsanträge wurden aufgrund eines entsprechenden bürokratischen Antrags allesamt nicht behandelt. In der Rede, die dafürsprach, die Änderungsanträge fallenzulassen, wurde gesagt, dass die Anträge kleinteilig und redundant seien. 24 Leute stimmten dafür, 11 dagegen, 6 enthielten sich. Die Berliner Sektion des angeblich größten sozialistischen Jugendverbandes Deutschlands zeigte damit klar und deutlich, dass sie an revolutionären Forderungen und ganzheitlichen Analysen des kapitalistischen Systems schlicht nicht interessiert war. Stattdessen will man sich lieber mit einer möglichst diffus gehaltenen Strategie begnügen, die die Linkspartei kein bisschen herausfordert, sondern sich im Gegenteil an den bisherigen Regierungskurs anschmiegt. Für den Leitantrag gab es nicht einmal eine Fürrede.

Für einen revolutionären Bruch

Bei der LVV haben wir unser Fraktionsdokument im Sinne eines grundsätzlichen Gegenentwurfs zu diesem Leitantrag und der Politik von Linkspartei und Solid eingebracht. Wir haben betont, dass es nicht nur grundsätzlich einen Bruch mit dem Reformismus und der Umlenkung von Kämpfen von der Straße in den parlamentarischen Apparat braucht, sondern dass der Zeitpunkt dringender denn je ist. Die AfD dominiert das Protestgeschehen gegen die Inflation und die Grünen beerdigen die letzten Hoffnungen, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Wir wollen dagegen eine Jugend aufbauen, die unabhängig vom Staat gegen Krieg, Klimakrise und Faschismus kämpft. Wir wollen die Arbeiter:innenklasse für einen Kampf für die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und die Umstellung auf eine ökologische Produktion unter demokratischer Kontrolle gewinnen. Die Perspektive der Verwaltung des bürgerlichen Staates, die die Linkspartei und die Mehrheit des Solid-Landesverbandes vertritt, ist dem genau entgegengesetzt.

Bezeichnend war, dass in der Gegenrede zu unserem Fraktionsdokument betont wurde, dass man ja nicht auf die Gelder der Linkspartei verzichten könne und diese benötige, um die Teilzeitstelle in der Landesgeschäftsführung zu finanzieren. Wie soll eine Organisation, die sich so offensiv in die Abhängigkeit der Gelder vom bürgerlichen Staat begibt, den Sozialismus erkämpfen?

Erwartbar stimmte die Mehrheit des Landesverbandes gegen unser Fraktionsdokument. Wir wollten aber die Bühne der LVV für den politischen Kampf nutzen und aufzeigen, warum eine revolutionäre Alternative zur Linkspartei nötig ist. Verbunden damit gab es auch einen Antrag der Solid Nord-Berlin zu einer Konferenz zu einer Bilanzierung der Linkspartei. Wir wollen eine Konferenz organisieren, die über die Linkspartei bilanziert, ihre bisherige Strategie einordnet und dort auch Strategien für die Zukunft erarbeitet. Es ist natürlich klar, dass das Ziel unserer Konferenz sein wird, Genoss:innen für den Bruch mit dem Reformismus zu gewinnen. Dennoch war der Antrag so geschrieben, dass der Landesvorstand der Solid Berlin die Möglichkeit gehabt hätte, zur Konferenz zu mobilisieren, um dort für einen Verbleib in der Solid zu kämpfen. Bei der Gegenrede wurde gesagt, dass es müßig sei, sich immer rechtfertigen zu müssen, warum man noch in Linkspartei und Solid sein wolle. Diese emotionalen Gründe stehen dem entgegen, dass die Teile, die nicht mit dem Reformismus brechen wollen, dies durchaus begründen sollten und nicht kampflos das Feld räumen, wenn sie angeblich auch Argumente haben. Es ist bezeichnend, dass man den politischen Kampf nicht führen will und ihn sogar mit moralischen Argumenten abwehrt.

Dass das Programm der angestrebten Kämpfe möglichst diffus und minimal gehalten werden sollte, zeigte sich erneut bezogen auf den Antrag zur Unterstützung der Uni-Kampagne und ihrer Forderungen der Basisgruppe Solid Nord-Berlin. Dieser wurde zwar mit Änderungen angenommen. Die Forderungen zur Inflation und zum Krieg wurden von der Mehrheit jedoch gestrichen. In einer Rede hieß es, man solle besser allgemeine Forderungen aufstellen, um Studierende zu erreichen, die von zu linken Forderungen abgeschreckt seien. Lieber solle man sie erst mit Minimalforderungen gewinnen, dann könne man mit ihnen über weitergehende Punkte diskutieren. Zudem wurde die Forderung nach „eine Person, eine Stimme“ in Hochschulgremien durch die Forderung nach einer Viertelparität ersetzt. Diese sei schließlich verfassungskonform, im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag. Wie aber wollen wir auf eine Revolution hinarbeiten, wenn wir uns stets im Rahmen der bürgerlichen Gesetzgebung bewegen? Wir wollen eine Jugend aufbauen, die die Hochschulen zu ihrer Bastion macht, sich demokratische Kontrolle über sie erkämpft und sie als Schützengraben im Klassenkampf gegen Krieg, Klimakrise und Inflation nutzt.

Bürokratische Manöver gegen die Opposition

Der Modus der gesamten Veranstaltung war darauf ausgerichtet, auf bürokratische Weise eine politische Diskussion zu verhindern. Zusätzlich zur Nichtbehandlung der Änderungsanträge für den Leitantrag wurde bei dieser Landesvollversammlung das erste Mal einzeln über Sympathisant:innenstimmrecht abgestimmt. Aus der Zeit, in der Solid vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, ist die Tradition entstanden, auch nicht-offiziellen Mitgliedern Stimmrecht zu geben. Diese Praxis wurde sogar fortgesetzt, als die Bürokratie der Linkspartei vor der letzten Landesvollversammlung einen Übernahmeversuch plante und einfach eine Liste ohne vorherige Anhörung der Personen durchgestimmt hatte. Dieses Mal wurden alle Sympathisant:innen per Antrag individuell gezwungen, sich um das Stimmrecht zu bewerben, und allen, die als zu links eingestuft wurden, wurde kein Stimmrecht gewährt. Dieser pauschalen Beurteilung sind sogar Sympathisant:innen zum Opfer gefallen, die in Diskussionen vor der Versammlung ausdrücklich dem Fraktionsdokument widersprochen haben, einfach weil sie aufgrund ihrer Basisgruppenzugehörigkeit als fraktionsnah eingestuft wurden. Kommt die Bedrohung von links, werden anscheinend härtere Geschütze aufgefahren.

Nachdem schon Sympathisant:innen schikaniert und Anträge zum selbsterklärt wichtigsten Dokument der Versammlung nicht behandelt wurden, sollte auch eines der letzten Mittel des politischen Ausdrucks der Fraktion verboten werden: die persönliche Erklärung. Persönliche Erklärungen können nach jedem abgeschlossenen Block der Veranstaltung, zum Beispiel der Abstimmung eines Antrags, abgegeben werden. Der reformistischen Geschäftsordnung nach sollen diese zwar nicht politisch sein, wie auch immer dies auf einer politischen Veranstaltung gehen soll, aber laut Geschäftsordnung dürfen diese zumindest nicht verboten werden. Da wir diese aber nutzten, um der Schikane gegenüber den Sympathisant:innen etwas politisch entgegenzusetzen, sollten auch diese am zweiten Tag verboten werden. Die entsprechende Abstimmung war nur nicht erfolgreich, da eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine nachträgliche Änderung der Geschäftsordnung benötigt wird. Doch 53 Prozent der Anwesenden auf der Vollversammlung des Landesverbandes Berlin würden anscheinend am liebsten sämtliche organisierte Opposition auf ihren Versammlungen verbieten.

Was sonst noch passierte

Außer dem potenziellen Verbot des Rederechts gab es auch noch inhaltliche Anträge, über die am zweiten Tag der LVV diskutiert wurde. Besonders interessant war ein Antrag zum Kampf gegen die Inflation und Anträge zur Positionierung zu „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“.

Der Antrag von REVOLUTION/Solid-Mitgliedern zur Inflation wurde abgelehnt. Neben programmatischen Forderungen nach Preisstopps und einem Ende der Sanktionen forderte er, sich an Anti-Krisen-Bündnissen zu beteiligen. Hier wurde das „Heizung, Brot und Frieden“-Bündnis vorgeschlagen, welches in den vergangenen Wochen mehrere Demos und Kundgebungen organisierte. In der Gegenrede hieß es, dass die Präsenz von Gruppen wie „Aufstehen“ im Bündnis eine Intervention in dieses verunmöglichen würde. Wir teilen die Analyse, dass Aufstehen – ein Teil dieses Bündnisses – rassistische Positionen vertritt, sich nicht ausreichend von rechten Coronaleugner:innen abgrenzt und zudem für einen Ausbau der Polizei wirbt. Jedoch denken wir, dass linke Kräfte versuchen sollten, auch in solchen Bündnissen, wo auch andere Gruppen der radikalen Linken aktiv sind, zu intervenieren, um das Feld weder den Nazis, noch den vermeintlich linken Rassist:innen zu überlassen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns der Politik der Jusos, der Grünen Jugend oder der Linkspartei anpassen. Ganz im Gegenteil kämpfen wir für eine revolutionäre Fraktion in solchen Bündnissen, um eine klassenkämpferische und antiimperialistische Opposition in den Inflationsprotesten gegen die Politik der Regierung aufzubauen. Für das „Heizung, Brot und Frieden“ Bündnis spricht nämlich, dass dieses als einziges linkes Bündnis Positionen gegen den Krieg formuliert, was notwendig ist, um der AfD in der Sanktionsfrage nicht das Feld zu überlassen. Dass der Eintritt in dieses Bündnis abgelehnt wird, weil dort eine Strömung vertreten ist, die auch in der Linkspartei aktiv ist, während man sich so aggressiv dagegen wehrt, die Position für einen Bruch überhaupt zu Wort kommen zu lassen, ist besonders absurd.

Zusätzlich zur Positionierung im Leitantrag wurden noch zwei weitere Anträge zu „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ beschlossen. Der zentrale Knackpunkt jedoch aus dem Antrag von REVOLUTION/Solid-Mitgliedern – dass ein Bruch mit der Linkspartei notwendig ist, wenn DWE nicht umgesetzt wird – wurde zuvor aus den Anträgen gestrichen. Somit verbleibt die Linksjugend Solid Berlin weiter bei der Position, zwar die Linkspartei wegen DWE „kritisch zu begleiten“, ohne dass daraus irgendwelche Konsequenzen erwachsen.

Angesichts der insbesondere auch durch Solid-Mitglieder eröffneten Debatte über #LinkeMeToo war bei der LVV auffällig, dass die Frage des feministischen Kampfes kaum eine Rolle spielte – vor allem nicht auf der Ebene einer politischen Strategie oder eines realen Kampfplans gegen patriarchale Verhältnisse. Der einzige politische Antrag in dem Sinne wurde von Fraktionsmitgliedern von Solid Nord-Berlin eingebracht. Dieser Antrag schlug unter anderem vor: „Ein feministisches Programm beinhaltet für uns beispielsweise sowohl die Verstaatlichung sämtlicher feminisierter Sektoren unter Arbeiter*innenkontrolle wie Krankenhäuser und das Sozial- und Erziehungswesen, die Abschaffung der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen als auch die hohen finanziellen und bürokratischen Hürden für den Wechsel des Geschlechtseintrags und hormonelle Transition abzuschaffen.“ Ansonsten wurden die Kandidat:innen für den Landessprecher:innenrat auf der offenen Liste lediglich gefragt, was sie „für FLINTA Personen tun wollen“. Die meisten Antworten bezogen sich darauf, dass man Quotierungen einhalten wolle, oder sich in kritischen Männlichkeits-Workshops reflektieren. Diese Antworten schieben das Problem des Sexismus, dessen sich angesichts von LinkeMeToo, aber auch ohnehin alle in einer sozialistischen Organisation stellen sollten, auf eine individuelle Ebene. Statt zu überlegen, wie eine wirkliche strukturelle Veränderung in einer bürokratischen und reformistischen Organisation für FLINTA-Personen passieren kann, sowie feministische Forderungen aufzustellen, wird Nabelschau betrieben. Frei nach dem Motto: wir haben ja kritische Männlichkeitsrunden und ein FLINTA-Plenum, also ist alles geklärt. Angesichts der jüngsten Anbiederung der solid-Führung an die Bundesregierung in Fragen des Feminismus, während zugleich der antifeministische Wagenknecht-Flügel der Linkspartei wieder stärker wird, ist jedoch umso notwendiger, eine strategische Debatte über einen sozialistischen Feminismus und die Notwendigkeit eines gemeinsamen, antikapitalistischen Kampfes gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu führen.

Wie weiter?

Bei der 31. LVV im April waren noch einige fortschrittliche Beschlüsse (zum Beispiel Palästinasolidarität, Widerstand gegen den Eintritt der Linkspartei in eine Koalition auf Bundesbene) verabschiedet worden. Schon damals war jedoch klar, dass die Solid-Mehrheit sie nicht umsetzen will. Die 32. LVV am vergangenen Wochenende hat nun erneut bewiesen, dass jede progressive Politik im Keim erstickt werden soll. Stattdessen wurde versucht die politische Diskussion bürokratisch zu verhindern. Auch Mitglieder, die sich selbst Revolutionär:innen nennen, welche die Anträge der 31. LVV unterstützt hatten, zeigten bei der Konfrontation mit der Forderung unserer Fraktion, diese auch umzusetzen, ihr wahres Gesicht.

Wir sind nach der LVV umso entschlossener, nicht nur in Solid Berlin, sondern bundesweit einen revolutionären Bruch mit dem Reformismus voranzutreiben. Wir laden dazu ein, mit uns in einen Diskussionsprozess zu treten und bis zum Ende des Jahres eine Konferenz zur Bilanz der Linkspartei 15 Jahre nach ihrer Gründung zu organisieren. Wir werden einen Schlussstrich ziehen und über den Aufbau einer unabhängigen revolutionären sozialistischen Kraft der Arbeiter:innen, der Jugend, der Frauen, LGBTQIA+ und Migrant:innen diskutieren.

Damit wollen wir all jene innerhalb und auch außerhalb der LINKEN und Solid ansprechen, die ebenfalls zur Schlussfolgerung kommen, dass die Partei nicht reformierbar ist, und nicht länger der Hoffnung hinterherlaufen wollen, dass sie in einer unbestimmten Zukunft eine sozialistische Partei oder ein Anziehungspunkt für die Massen sein kann.

Am Donnerstag, den 3. November um 19 Uhr, werden wir ein bundesweites Online-Treffen von all jenen veranstalten, die bisher unsere Fraktionserklärung unterschrieben haben. Lasst uns darüber sprechen, welche Orientierung wir als revolutionäre Jugendliche angesichts der Krise des Kapitalismus, aber auch der Linkspartei, brauchen – sowohl in Bezug auf das aktuelle Protestgeschehen als auch im strategischen Sinne, was für eine Organisation wir aufbauen müssen, um den Kapitalismus zu überwinden.

Schreibt uns an, wenn ihr an dem Treffen am 3. November teilnehmen wollt, um mit uns eine solche Konferenz zu organisieren.

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