Skandal in Treptow-Köpenick: LINKEN-Politikerin stellt sich auf die Seite der Bosse
Inés Heider erfährt nach ihrer Kündigung nicht nur Solidarität, sondern auch Kritik. Linke Mitarbeiter:innen ihres ehemaligen Trägers zweifeln öffentlich die Kampagne gegen die Kündigung an. Wie kann das sein?
Über die fristlose und politisch motivierte Kündigung der Schulsozialarbeiterin und KGK-Redakteurin Inés Heider, die auch bei den letzten Betriebsratswahlen ihres Trägers im Wahlvorstand war, zeigten sich viele Menschen empört. Über 2.000 solidarische Menschen, unter anderem Gewerkschafter:innen, Linke und Organisationen unterschrieben die Petition der jungen GEW Berlin für eine Rücknahme der Kündigung und die Wiedereinstellung von Inés. Darunter sind auch bekannte Gesichter der Linkspartei wie Ferat Koçak, Bernd Riexinger, Ulla Jelpke und Sevim Dağdelen. Doch ein Mitglied der Linkspartei zweifelt öffentlich die Legitimität der Kampagne gegen die Kündigung an und behauptet sogar, die Kündigung sei nicht gewerkschaftsfeindlich motiviert. Wie kann das sein?
Karin Kant, Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick und dort jugendpolitische Sprecherin der Linkspartei (nach eigenen Angaben seit über 25 Jahren), wurde in einigen Artikeln über Inés’ Kündigung zitiert. Kant arbeitet für die Technische Jugendfreizeit- und Bildungsgesellschaft gGmbH (tjfbg) – das ist der Träger, bei dem auch Inés bis vor kurzem angestellt war.
“Ich habe den Träger anders kennengelernt und bin entsetzt, dass er jetzt als gewerkschaftsfeindlich hingestellt wird”, so Kant gegenüber der taz.
Kant ist keine einfache Angestellte, sondern die Leiterin des Stadtteilzentrums Campus Kiezspindel, dem unter anderem ein Familienzentrum, eine Jugendfreizeiteinrichtung und eine Kita angehören. Der Campus Kiezspindel ist außerdem für einen Teil der Schulsozialarbeit des Trägers verantwortlich. Kant hat also eine machtvolle Position inne, aus der heraus sie den Träger von einer ganz anderen Seite kennenlernt, als einfache Arbeiter:innen des Betriebs. Ihre Interpretation der Ereignisse entspringen ebenfalls dieser Position. Als Mitglied der Linkspartei kann diese Haltung jedoch nicht akzeptabel sein. Es drängt sich die Frage auf, warum man als Mitglied einer linken Partei überhaupt leitende Angestellte wird, und ob hier nicht eigentlich ein Interessenkonflikt vorliegt.
Wie will man die Entscheidung des Trägers, Informationen über eine Kundgebung gegen die Kürzungspolitik des Amt für Soziales in Neukölln zu teilen, sowie auf die Möglichkeit des Beitritts zur GEW und der Gründung einer Betriebsgruppe hinzuweisen, mit einer fristlosen und außerordentlichen Kündigung zu quittieren, anders deuten, als politisch und gewerkschaftsfeindlich motiviert? Der Träger sendet hiermit keineswegs das Signal, dass er aktive Gewerkschafter:innen und gesellschaftskritische Pädagog:innen unterstützen würde, ganz im Gegenteil.
Gehört die tjfbg doch zu “den Guten”?
Die linke Tageszeitung junge Welt befragte Kant ebenfalls zu der Kündigung: “Der Träger setze sich ‘unermüdlich für eine sachgerechte Ausstattung der Projekte und Einrichtungen ein’ und würde Kinder und Jugendliche dabei unterstützen, sich auf demokratische Weise für ihre Rechte einzusetzen”, wird die Kommunalpolitikerin zitiert. Zugleich bestätigte Kant gegenüber der jungen Welt, dass die Kündigung in einem Zusammenhang mit Inés’ Mail stünde. Dies legt auch eine Mail nahe, die über den dienstlichen Verteiler der tjfbg gesendet wurde und die Mitarbeitenden mahnte, die “dienstlichen Kommunikationsmittel” nur für dienstliche Angelegenheiten zu nutzen, wie die junge Welt berichtete.
Es klingt vielleicht erstmal positiv, dass der tjfbg sich für eine sachgerechte Ausstattung seiner Einrichtungen einsetzt. Allerdings ist dies auch genau seine Aufgabe als Träger von einer Vielzahl von Einrichtungen, die ihm unterstehen. Die Messlatte scheint niedrig zu liegen, wenn Kant meint, gesondert hervorheben zu müssen, dass ihr Träger versucht, seine Kitas und Jugendclubs das absolute Mindestmaß zur Verfügung zu stellen. Demokratiebildung und Partizipation gehören mittlerweile (zumindest auf dem Papier) zu den Standards der Kinder- und Jugendarbeit, also wäre auch dies nicht zwingend hervorzuheben. Wenn sich der Träger wirklich darum bemüht zeigt, dass Kinder und Jugendliche herausfinden, was sie bewegt und wie sie sich dafür einsetzen können, muss es für diese jungen Menschen ein umso härterer Schlag ins Gesicht sein, zu sehen, dass ihre Sozialarbeiterin gefeuert wurde, weil sie sich für mehr Geld im Sozialetat einsetzt. Die Botschaft lautet anscheinend: “Setz dich gerne für deine Interessen ein, aber bitte so, wie wir es wollen”.
In einem Kommentar unter dem Artikel in der jungen Welt meldete sich ebenfalls eine Person namens S. Fischer zu Wort. Laut eigenen Angaben sei sie seit 15 Jahren für den Träger tätig und habe nur gute Erfahrungen gemacht. Viele Mitarbeiter:innen würden sich gesellschaftlich engagieren. Ebenso setze sich der Träger seit mehr als 30 Jahren für Kinder und Jugendliche ein. Fischer gab außerdem an, seit knapp 30 Jahren Mitglied der Gruppe Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken zu sein. Eine kurze Google-Recherche ergibt, dass es sich um Stefanie Fischer handeln könnte, die die Regionalleitung von mehreren Horten ist, die die tjfbg betreut. Diese befindet sich also beruflich ebenfalls in einer hochrangigen Position, ähnlich wie Karin Kant. Fischer merkt an, dass Inés nicht die erste Person sei, die im Bezirk das Thema der Kürzungen auf den Tisch brachte. Geradezu zynisch, sich an diesem Punkt aufzureiben angesichts der Repression, die Inés durch den Träger erfahren hat.
Linke Parteien und Organisationen müssen klare Kante gegen Union Busting zeigen
Doch wie kann das eigentlich sein? Die Linkspartei und die Falken sind beide linke Organisationen, die auf der Seite der Beschäftigten und nicht auf der Seite der Bosse stehen wollen und sollten. In ihrem Programm zur Bundestagswahl 2021 erwähnt DIE LINKE explizit das Konzept des Union Bustings und fordert in diesem Zusammenhang, Mitarbeiter:innen, die an Betriebsratswahlen beteiligt sind, besser vor Repressionen zu schützen. Außerdem stellt sie die Forderung auf, dass politische Streiks und Streiks aus Solidarität mit Mitarbeiter:innen anderer Branchen möglich sein sollten. Daraus lässt sich ableiten, dass die Linkspartei nicht nur allen Beschäftigten, sondern explizit auch den aktiven Gewerkschafter:innen und Menschen, die für ihre gewerkschaftliche Aktivität Sanktionen durch ihre Chef:innen kassieren, ihre Solidarität versichert.
Auf der Seite der Bundestagsfraktion der LINKEN gibt es ein ausführlicheres Statement zu Union Busting, welches der gewerkschaftspolitische Sprecher der Fraktion im Bundestag, Pascal Meiser, verfasst hat: „Das Verhindern von Betriebsratswahlen oder das Sabotieren von Betriebsratsarbeit sind keine Kavaliersdelikte. Wenn Arbeitgeber die betriebliche Mitbestimmung mit Füßen treten, dann sind die bestehenden Straftatbestände auch konsequent anzuwenden. Das passiert bisher erschreckend selten. (…)”.
Auch hier wird sich also ganz klar für das Recht auf Betriebsarbeit und betriebliche Mitbestimmung ausgesprochen, also genau das, was im Fall von Inés versucht wurde zu unterbinden.
Auf der Website der Falken ist Folgendes als Teil des Selbstverständnisses der Organisation zu lesen: “Unser Verband ist Teil der Arbeiterjugendbewegung und aus der Selbstorganisation junger Arbeiterinnen und Arbeiter entstanden. (…) Unser Ziel ist eine Gesellschaft, die auf Freiheit, Gleichheit und Solidarität gründet. Der Kapitalismus hingegen beruht auf der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen”. Sich unsolidarisch zu verhalten, wenn eine Kollegin gekündigt wurde, die unter anderem darüber informierte, dass man sich gewerkschaftlich organisieren oder eine Betriebsgruppe gründen könne, will da nicht so Recht ins Bild passen.
Inés selbst sagt zu den Statements von Karin Kant und S. Fischer: “Weder Karin Kant, noch eine Person mit Nachnamen Fischer haben mit mir geredet. Ich frage mich, wie sie sich dann so sicher sein können, dass ich lüge und anscheinend überhaupt nicht in Erwägung ziehen, dass die Geschäftsführung des tjfbg Union Busting betreiben könnte“. Dass die beiden nicht einmal Inés’ Meinung einholten, bevor sie sich auf die Seite der Geschäftsführung schlugen, spricht nicht dafür, dass sie ehrlich interessiert wären herauszufinden, was vorgefallen ist, um sich ein objektives Bild der Situation zu verschaffen.
Wir müssen als Linke unsere Betriebe von unten verändern, nicht von oben
Es ist logisch, dass man als Person in einer machtvollen Position, der so viele Angestellte unterstellt sind, nicht die gleichen Interessen verfolgt, wie die einfachen Beschäftigten. Selbst der Versuch, als Chef:in besonders links und progressiv zu sein, würde scheitern, wenn die Geschäftsführung Druck ausübt und man die nächste Person ist, die abgemahnt oder gekündigt wird. Nicht zuletzt müssen Chef:innen auch die Performance ihrer Mitarbeiter:innen beurteilen und können in die Gelegenheit kommen, Urlaubsanträge abzulehnen oder Abmahnungen auszusprechen.
Deshalb müssen wir als Linke unsere Betriebe verändern, indem wir von unten Druck machen und beispielsweise Betriebsgruppen gründen. Wir dürfen uns nicht den Illusionen hingeben, dass wir viel bessere und gerechtere Chef:innen wären und auf diesem Weg Veränderungen erzielen könnten. Im Gegenteil würden wir als Chef:innen davon profitieren, dass in unserem System andere Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen und ausgebeutet werden müssen, um Lebensmittel und Miete zu bezahlen. Es wäre also nicht mehr in unserem objektiven Interesse, den Kapitalismus zu stürzen und eine gerechte, freie Welt aufzubauen, in der niemand mehr ausgebeutet wird und alle nach ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen arbeiten. Dies würde schließlich auch bedeuten, dass alle den gleichen Lebensstandard hätten und dieser wäre für die meisten leitenden Angestellten sicherlich weniger komfortabel als aktuell.
Was haben aber Menschen, die sich unsolidarisch bei gewerkschaftsfeindlich motivierten Kündigungen zeigen, in linken Parteien und Verbänden verloren? Gerade als linke Personen müssen wir unseren Kolleg:innen signalisieren, dass wir ein offenes Ohr haben, wenn die Führungsetagen sie ungerecht behandeln und dass wir an ihrer Seite stehen. Dies gilt genauso, wenn Kolleg:innen von den Vorsitzenden gerügt werden, weil ihre Arbeitsleistung nicht gut genug sei, oder in ähnlich unangenehmen Situationen. Wenn nicht einmal wir linken Menschen auf der Seite von all jenen sind, die von ihren Chef:innen unter Druck gesetzt werden, wer soll es dann sein?
Es sendet ein sehr erschreckendes und unsolidarisches Zeichen, wenn Mitglieder linker Organisationen stolz ihren Verbands- oder Parteinamen nennen, während sie gegen gekündigte Gewerkschafter:innen hetzen.
Wir denken nicht, dass es im Interesse der Falken oder der Linkspartei Treptow-Köpenick sein kann, dass ihre Mitglieder (und im Fall von Kant sogar ein Mitglied der BVV) sich öffentlich mit Inés’ Kampf gegen ihre Kündigung entsolidarisieren. Es braucht in den Strukturen mit den beiden jeweiligen Mitgliedern eine Diskussion über Union Busting, was es bedeutet, solidarisch zu sein, und warum diejenigen, die auf der Seite der Bosse und nicht der Arbeiter:innen stehen, keine Linken sein können.