Silvio Meier: Für einen Kampf in Kiez und Betrieb
Der Todestag des Antifaschisten Silvio Meier jährte sich gestern zum 32. Mal. Welche Lehre ziehen Antifaschist:innen aus den Baseballschlägerjahren und was bedeutet der antifaschistische Kampf heute?
Über 30 Jahre ist die Ermordung des Antifaschisten Silvio Meier her. Sein Gedenken ist seit jeher ein wichtiger Bezugspunkt für Linke in Berlin. Der Mord an dem jungen Aktivisten, der sowohl in der Hausbesetzer:innenszene als auch in der autonomen Antifabewegung der 1980er und 90er politisch aktiv war, geschah in keinem luftleeren Raum. Die kapitalistische Restauration der DDR und deren undemokratische Eingliederung in die Bundesrepublik ging mit einem massiven nationalistischen Taumel einher. Während die deutsche Einheit vorbereitet wurde, wurde die ostdeutsche Wirtschaft durch den Westen privatisiert und zerschlagen, rund 3 Millionen Menschen wurden in kürzester Zeit arbeitslos. Das war ein Klima, in dem rechtsextreme Gruppen und ihr Gedankengut auf fruchtbaren Boden trafen. In der deutschen Erinnerung erscheinen Ortsnamen wie Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen und Lübeck oder die Neonazigruppierung „Thüringer Heimatschutz“ heute als düstere Mahnmale. Die Zeit war geprägt von einer Vielzahl rechter Morde an rassifizierten und linken Menschen, wie beispielsweise Amadeu Antonio 1990. Während rechtsextreme Kameradschaften ihre Kader in die „neuen Bundesländer“ entsandten, entwickelte sich die autonome Antifabewegung als Reaktion auf die massive Mobilisierung von Rechts.
Seit Silvios Tod gedenken Antifaschist:innen jährlich seiner Ermordung. So fand auch am gestrigen Donnerstag eine Gedenkkundgebung mit etwa 100 Teilnehmenden in Berlin statt. Die Demo richtete sich auch gegen die Neonazigruppierung „Dritter Weg“. Unter dem Slogan „Fight Back” zeigen die Beteiligten seit Jahren, dass Erinnerung Kampf bedeutet.
Der Kampf gegen Rechts heute
In der Gegenwart erleben wir einen neuen, globalen Rechtsruck: Trump, die AfD, Milei, die FPÖ und andere. Die neue Stärke der Rechten steht im Kontext einer weltweiten kapitalistischen Krise, in der sie mit antiglobalistischer Rhetorik von den aktuellen Tendenzen zur wirtschaftlichen Abschottung profitieren. Die „America First“ Politik des kommenden US-Präsidenten Donald Trump, der durch massive Importzölle einen neuen Isolationskurs der USA einläutet, steht stellvertretend für diese Entwicklung. Auch die deutsche Wirtschaft sieht ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit bedroht und fordert Lösungen auf Regierungsebene. Wenn auch wirtschaftlich erfolglos, setzt Bundeskanzler Scholz indes auf „konsequente Abschiebungen“ und erfährt dabei die Unterstützung aller etablierten Parteien.
Der Rechtsruck zeigt sich auch auf der Straße. Im Sommer griffen Vertreter vom „Dritten Weg“ eine Gruppe von Antifaschist:innen am Berliner Ostkreuz an. Weiterhin sehen wir Angriffe und Mobilisierungen von Neonazis gegen CSDs und queere Demonstrationen, wie zum Beispiel den CSD Bautzen dieses Jahres. Imbisse von Migrant:innen werden angegriffen und im Netz findet verstärkt antifeministische Hetze statt.
Gleichzeitig konnten wir beobachten, wie auch die Mobilisierung gegen die AfD und den Rechtsruck in den letzten Monaten zunahm. Anfang des Jahres gab es riesige Demonstrationen in ganz Deutschland, die mit einer sogenannten „Brandmauer“ gegen Rechts der AfD entgegentreten wollten. Ironischerweise nahmen an manchen dieser Demos auch Kanzler Scholz und Außenministerin Baerbock teil, während sie sich selbst rassistischer Narrative bedienen, um Abschiebungen zu veranlassen und Legitimation für Waffenlieferungen nach Israel zu schaffen. Außerdem wurde aus ganz Deutschland zu großen Protesten und Blockadeaktionen gegen den AfD-Parteitag in Essen mobilisiert. So setzten die Demonstrierenden dem Parteitag, der nur mit weniger Teilnehmer:innen und später als ursprünglich geplant starten konnte, einen kleinen Strich durch die Rechnung. Aber trotz der großen Mobilisierungen hat die AfD nicht an Stärke verloren.
Mit dem Baseballschläger gegen Faschismus?
Beim Kampf gegen Rechts dürfen wir uns nicht auf die Regierung oder die parlamentarische Opposition verlassen. Wir können unsere Hoffnungen nicht in die Parteien setzen, die durch Übernahme der rassistischen Narrative von AfD und Co. erst den Nährboden für die erstarkende Rechte schaffen. Der Kampf gegen Rechts muss stattdessen in den Gewerkschaften an Fahrt aufnehmen. Eine zentrale Schwierigkeit ist das Verbot des politischen Streiks. Dieses Recht müssen wir uns zurückerobern. Es braucht einen gewerkschaftlichen antifaschistischen Selbstschutz, der unabhängig vom Staat gegen Faschist:innen und rechte Angriffe vorgeht. Überlassen wir den Schutz queerer und migrantischer Personen nicht der Polizei. Als kämpferische Gewerkschafter:innen üben wir Druck auf die Gewerkschaftsführungen aus, um selbstorganisiert gegen rechte Aufmärsche zu mobilisieren und militante Selbstverteidigung zu ermöglichen.
Waren die 1990er Jahre vor allem Abwehrkämpfe gegen rechte Strukturen in den eigenen Kiezen geprägt, wird gegenwärtig umso klarer, dass der Faschismus auch nicht im Kiez allein geschlagen werden kann. Ein Kampf gegen den Faschismus, der sich nicht ausweitet, ist zur szenigen Selbstbespaßung verdammt. Ebenso birgt die Vereinzelung solcher Abwehrkämpfe die Gefahr, einzelne Figuren, wie damals Silvio Meier, stärker zu gefährden. Die Ausdehnung des Antifaschismus muss die materiellen Grundlagen einer möglichen AfD-Regierung ins Ziel nehmen. Das primäre Mittel, das uns als Beschäftigte zur Verfügung steht, ist der politische Streik. Ein Kiez kann durch Faschist:innen militärisch geschlagen werden, ein Generalstreik nicht.
Den Rechten den Boden unter den Füßen wegreißen
Es braucht eine Synthese des Kampfes auf der Straße mit einem proletarischen Antifaschismus aus den Betrieben und unseren Orten des täglichen Lebens. Dabei dürfen wir uns nicht damit zufriedengeben, unsere Kämpfe parallel laufen zu lassen. Es braucht Komitees in den Betrieben, den Unis, den Schulen und den Kiezen, die die Angriffe von Rechten abwehren. Die besten Mittel der Defensive und Offensive, auch in der physischen Konfrontation mit faschistischen Banden, sind die der organisierten Beschäftigten. Jeder Angriff muss koordiniert beantwortet werden, jeder Angriff auf eine Unterkunft für Asylsuchende, auf queere Bars, Synagogen, Moscheen oder Linke, muss mit einer überwältigenden Blockade der Faschist:innen beantwortet werden. Jeder AfD-Parteitag muss mit einem gewaltigen Streik beantwortet werden. Keine Veranstaltungshalle darf geöffnet sein, kein Zug darf fahren und keine Straße für Dienstwagen frei sein. Keine rechte Regierung, ganz gleich wie stark sie auch sein mag, kann über eine organisierte Arbeiter:innenklasse hinweg regieren.
Der Aufstieg der globalen Rechten und der gleichzeitige Rechtsruck der vermeintlich demokratischen Parteien machen einen gemeinsamen Kampf der Arbeiter:innen gegen den Faschismus notwendig. Wenn die Opfer aufseiten der Antifaschist:innen der 90er Jahre nicht vergeblich sein sollen, muss die Linke einen gemeinsame Grundlage im Kampf gegen Rechts finden. Dafür, dass wir nie wieder einem weiteren Silvio Meier gedenken müssen, sondern eine Welt ohne Faschist:innen zu feiern haben.