Sicherheitspakt: Ampel öffnet der Rechten die letzten Schleusen

01.09.2024, Lesezeit 6 Min.
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Immigrant:innen beim Grenzübergang Wegscheid 2015, Foto: Wikimedia Commons

Von nun an gibt es kein zurück mehr: Unter dem Druck von rechts räumt die Ampel ihre letzten Haltelinien. Damit bereitet sie den weiteren Aufstieg der Rechten vor.

Ein Befreiungsschlag angesichts des öffentlichen Drucks sollte wohl das „Sicherheitspaket“ der Ampel nach dem Anschlag von Solingen werden: schnellere Abschiebungen, Leistungskürzungen, Messerverbotszonen und mehr Befugnisse für die Polizei; garniert sogleich mit einer Sammelabschiebung. Als ob es der Regierung zur Eherenrettung gereiche, schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Geht doch, möchte man seufzen, nach der Nachricht vom Freitag, dass 28 afghanische Straftäter aus Deutschland in ihr Herkunftsland abgeschoben wurden.“ Eine liberale Zeitung, die erleichtert aufatmet, dass ihre Regierung in einem Akt der scheinbaren Selbstrettung in der Lage ist, sich Positionen zu eigen zu machen, die vor einigen Jahren noch bei der NPD angesiedelt waren. 

Bisher hatten sich vor allem die Grünen skeptisch gezeigt, nach Afghanistan abzuschieben. Zu riskant schien die Zusammenarbeit mit den Taliban. Oder mit dem Schlächter von Syrien, Bashar al-Assad. Nun ist also auch eine der letzten Haltelinien gefallen. Taumelnd versucht die Ampel den Schlägen der Rechten auszuweichen. Doch der „Wirkungstreffer“ durch Friedrich Merz ist bereits erzielt, wie der Münchner Merkur konstatiert. Die Pläne der Ampel seien nicht falsch, aber würden bei weitem nicht ausreichen, heißt es aus den Reihen der CDU. Zuletzt hatte Merz gar von einer „nationalen Notlage“ schwadroniert und einen generellen Aufnahmestopp von Geflüchteten aus Afghanistan und Syrien gefordert.

Eine rechte Regierung für die Zeitenwende

Solche Schritte sind laut Bundesregierung jedoch mit Grundgesetz und Europäischem Recht nicht vereinbar – zumal hinter den juristischen Hürden eine Machtfrage steht: Kann Deutschland die EU-Grenzstaaten zwingen, noch weniger Geflüchtete durchzulassen? Merz könnte es aber in den Fingerspitzeln kribbeln, solche Machtproben zu führen. Er versucht mit seinem Vorstoß nicht nur die Position der Ampel zu untergraben, womöglich gar vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Er drückt auch aus, wie er sich Regierungspolitik vorstellt. Passend schreibt der Münchner Merkur über Merz:

[D]as wohltemperierte Deutschland der Merkeljahre, in der sich Vieles aussitzen ließ, gibt‘s nicht mehr. Die sich auftürmenden Krisen unserer Zeit verlangen nach neuen Antworten – und auch einem anderen Politikstil, einen, der Probleme adressiert und angeht. Die Idee, das Land lasse sich von hinten führen, ist mit der Zeitenwende zerstoben.

Im Juli drückte sich Carsten Linnemann, Chef-Scharfmacher der CDU, bei Markus Lanz entsprechend aus, es bräuchte eine „knallharte Führung“ – einen Schritt zu einem halb-autoritären Regierungsstil, der die Gesetze bis zum Äußersten dehnt oder auch überdehnt. Scholz, der sich gerne selbst als zupackender Basta-Kanzler sähe – erinnert sei an seine Botschaft im Spiegel vor einem Jahr, man müsse „endlich im großen Stil abschieben“ – kann diese Rolle nicht ausfüllen. Vom Anspruch seiner „Fortschritts“-Koalition ist zwar nichts übrig geblieben, doch zu einer in sich kohärenten rechten Politik ist die Ampel doch unfähig. 

Merz hingegen steht für das Versprechen, AfD-Inhalte umzusetzen und sich gleichzeitig von einer Zusammenarbeit abzugrenzen – ebenso wie sein Konterpart aus München, Markus Söder, der im Rennen um die Kanzlerschaft auf Ausrutscher von Merz lauern dürfte. Dieser sprach in der Bild bereits davon, das Grundgesetz ändern zu wollen, um das individuelle Grundrecht auf Asyl (das ohnehin bereits zur Farce verkommen ist) endgültig abzuschaffen. Ein solch radikales Vorgehen würde auf einen Schlag die Rechtfertigung schaffen, überhaupt niemanden mehr ins Land lassen zu müssen. Die Idee der Ankerzentren ist dagegen bisher kaum umsetzbar, weil aufgrund des Grundgesetzes eine geschützte Asylprüfung stattfinden muss. Eine Grundgesetzänderung würde das Grenzregime also extrem aufwerten.

Ampel am Limit

Mit ihrer Kriegspolitik hat sich die Regierung nach und nach jeden Spielraum genommen, in irgendeiner Weise noch progressive Initiativen zu Ende zu führen. Das Ergebnis ist ein unvergleichlicher Rechtsruck, der nun die AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zur stärksten Partei machen könnte – und die Ampelparteien teils sogar aus den Landtagen werfen könnte. Mit ihren panischen Reaktionen nach dem Anschlag von Solingen verkündet die Ampel endgültig, dass sie außer Rassismus und Polizeistaatlichkeit keinerlei Konzepte anzubieten hat. Weitgehend abgetaucht in der Debatte ist derweil DIE LINKE. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow wies zumindest auf Naziübergriffe auf Geflüchtete hin, zugleich aber mit der Forderung, jugendliche Gewalttäter – ob Deutsche oder Migrant:innen – schneller und härter zu bestrafen. Gegenüber ihrem unentschlossenen Ex-Genossen spielt dafür Sahra Wagenknecht umso ungenierter die rassistische Klaviatur: „Wer unkontrollierte Migration zulässt, bekommt unkontrollierte Gewalt.“

In der Debatte ist so fast nur noch die Forderung zu vernehmen, die Grenzen dicht zu machen. AfD und Nazi-Mobs können sich im Recht und mit breiter Unterstützung wähnen. Kein Wort hingegen zu den Ursachen von Solingen. Kein Wort von einem diskriminierenden Asylsystem, das erst Menschen zu reaktionären Ideen treibt. Kein Wort zum Genozid in Palästina, der mit deutschen Waffen durchgeführt wird. Kein Wort über die von Deutschland durchgeführten und unterstützten Kriege in Afghanistan, Irak oder Syrien, die dem Terror den Boden bereitet haben. Die Gewalt schlägt zurück nach Deutschland, aber zu solchen einfachen Zusammenhängen ist im verblödeten militarisierten und rassistischen Klima der Zeitenwende kein Platz. Zu tief hat sich die Ampel in ihrer Kriegstreiberei verheddert, als dass sie noch einen Ausweg finden könnte.

Das letzte Jahr ihrer Amtszeit, sofern sie es überhaupt noch schwer schnaufend durchhält, ist sie dazu verurteilt, unterwürfig vor Merz und der AfD zu kriechen. Gewiss mit manchen Zuckungen noch, aber letztlich müssen ihre Versuche des Aufbäumens hilflos bleiben. Wenn die Ampel noch etwas zusammenhält, dann vor allem Angst. Schlechte Ergebnisse bei den Landtagswahlen könnten da schon ausreichen, die Koalition zum Bruch zu bringen. Denn inhaltlich findet sie kaum noch eine gemeinsame Linie.

Für Christian Lindner könnte das Ende seiner Regierung nicht schnell genug kommen. Mit seiner FDP stehe er „zu überparteilichen Anstrengungen bereit, neuen Realismus in der Migration von Bund und Ländern konsequent durchzusetzen“. Eine offene Verneigung vor Friedrich Merz. Der letzte gemeinsame Versuch Lindners, mit dem nicht weniger unglücklichen Habeck und Olaf Scholz zusammen, einen Akzent zu setzen, endete in einem wild zusammengestöpselten Paketchen neoliberaler Maßnahmen unter dem Namen Bundeshaushalt 2025. Darin unternahm die Koalition nicht mal den Versuch, die immensen Militärausgaben für die kommenden Jahre irgendwie gegenzufinanzieren. Friedrich Merz dürfte sich schon jetzt freuen, die Kettensäge an die kommenden Haushalte ansetzen zu dürfen, mit einem auf Spannung getrimmten Sicherheitsapparat und der permanenten Drohung einer weiter erstarkenden AfD.

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