Sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche

16.01.2016, Lesezeit 6 Min.
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Es ist diesen Monat sechs Jahre her, dass in Deutschland eine öffentliche Debatte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche begann. Es wurde ein bisschen diskutiert, ein paar Versprechen gemacht – und sonst ist nicht viel passiert. Reaktionär*innen versuchen heute, sexuelle Gewalt zu einem Problem „der Anderen“ zu machen. Wie sehr sie damit falsch liegen, wird sichtbar, wenn wir uns an diese Debatte erinnern.

Nach den Ereignissen in Köln wird von Reaktionär*innen und Rassist*innen viel darüber geredet, dass Migrant*innen allein für den Sexismus in Deutschland verantwortlich wären. Das ist natürlich Quatsch. Sie tun so, als ob sexuelle Gewalt in Deutschland nicht Alltag wäre – und als ob sie nicht strukturelle und organisierte Formen annehmen würde. Wie absurd das ist, wird klar, wenn sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche betrachtet wird. Denn weder CDU und CSU, noch Pegida und seine Anhänger*innen werden behaupten können, dass die katholische Kirche nichts mit den Werten ihres so heiß geliebten Abendlandes zu tun hat.

Seit den 90er Jahren wird über Missbrauchsfälle an Kindern und Jugendlichen durch katholische Priester und Ordensmitglieder diskutiert, vor allem im Falle Irlands mit mindestens 147.000 Betroffenen. In Deutschland nimmt die Debatte vor sechs Jahren Schwung auf. Ende Januar 2010 schreibt der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs einen offenen Brief, in dem er sich für vergangenen sexuellen Missbrauch an der Jesuitenschule entschuldigt. Die Presse interessiert sich für den Fall und es beginnt eine Debatte in Deutschland. Immer mehr Fälle werden öffentlich: Nicht nur am Canisius-Kolleg, sondern auch an anderen Jesuitenschulen kam es zu sexuellem Missbrauch, auch noch vor wenigen Jahren – innerhalb eines Monats melden sich mindestens 115 Betroffene. Und auch in Schulen anderer Orden und in Einrichtungen praktisch aller Bistümer werden immer mehr Fälle bekannt. Von vielen der Fälle wussten Verantwortliche innerhalb der Kirche – die einzige Konsequenz für die Täter war meist eine Versetzung oder eine temporäre Suspendierung. Die Täter wurden also systematisch geschützt und die Opfer sich selbst überlassen oder – noch schlimmer – bedroht, damit sie schweigen.

Deutsche Bischöfe und Ordensobere bitten um Vergebung und versprechen „schonungslose Aufklärung“. Es handelt sich aber vor allem darum, auf bekanntgewordene Fälle zu reagieren. Erst Mitte 2011 beauftragt die Bischofskonferenz ein externes Team damit, die Personalakten der Priester auf Hinweise nach sexueller Gewalt hin zu überprüfen. Nach zwei Jahren gibt das Team auf. Ihre Vorwürfe: Die Kirche will die Ergebnisse zensieren; die Bistümer haben massiv Akten vernichtet. Ein neues Forschungsteam wird eingesetzt, die Ergebnisse kommen frühestens 2017. Aber auch hier ist das Problem, dass Kirchenmitarbeiter*innen darüber entscheiden dürfen, welche Akten zur Verfügung gestellt werden. Es sieht alles stark danach aus, als ob die katholische Kirche das ganze Ausmaß von sexueller Gewalt verschleiern will.

Die rechtliche Sonderstellung, die Kirchen in Deutschland immer noch haben, macht ihr das umso leichter. Kirchenangestellte dürfen nicht streiken und das Betriebsverfassungsgesetz gilt für sie nicht. Wenn sie gegen die Regeln der Kirche verstoßen, etwa sich scheiden lassen, unverheiratet zusammenleben oder abtreiben, können sie gekündigt werden. Dies macht es umso leichter, innerhalb der Institution Kirche den Täterschutz auf allen Ebenen durchzusetzen.

Es ist die reaktionäre Rolle der Kirche, Unterdrückung von Sexualität, Frauenunterdrückung und die Unterdrückung von LGBTI*-Menschen ideologisch zu untermauern. Wie sollte sie da nicht Hochburg der sexuellen Gewalt sein? Dies zeigt sich zum Beispiel daran, dass Sexualität an sich tabuisiert ist und außerehelicher Sex für Frauen und Sex von Männern mit Männern verboten wird. Junge Menschen, die in kirchlichen Einrichtungen sexuelle Gewalt erfahren, trauen sich deshalb oft nicht, darüber zu reden. Ihnen wird anerzogen, sich selbst die Schuld zu geben. Auch die Institution der Beichte eignet sich hervorragend dafür, junge Menschen unter Druck zu setzen und mit Scham zu füllen.

Die Bedeutung von Gehorsam und die männerbündische Organisation der Kirche tun das Ihrige dazu: Opfer haben gelernt, dass Priester moralische Autoritäten sind. Sie lernen, dass es nicht darum geht, was der*die einzelne denkt, sondern darum, zu glauben und einem Gott, als dessen Vertreter der Täter fungiert, gehorsam zu sein. Und auch Priester lernen, nicht mit den Opfern, sondern mit anderen Priestern und Ordensmitgliedern – auch mit Tätern – solidarisch zu sein. Das ist im Übrigen auch ihr materielles Interesse, denn ihre Existenz hängt daran, wie gut es der Kirche geht.

Daran ändert sich auch nichts, wenn der heutige Papst Gerichte einführen will, die die Vertuschung von Missbrauchsfällen ahnden sollen oder wenn kircheninterne Kritiker auf strukturelle Probleme hinweisen. Sie erreichen es nur, der katholischen Kirche ein „modernes“ Antlitz zu geben – tatsächliche, grundlegende Verbesserungen dieser Institution kann es nicht geben. Denn die Kirche dient der Festigung der Verhältnisse, die sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen möglich machen und ist deshalb nicht reformierbar.

Die Fälle von sexuellem Missbrauch müssen tatsächlich und ohne Zensur durch die Kirche aufgeklärt und die Täter bestraft werden, ebenso wie diejenigen, die Täter schützten. Es handelt sich bei den Priestern, die sexuelle Gewalt ausübten, aber nicht nur um Einzeltäter, die es besser auszusortieren gilt. Es handelt sich bei der Kirche um eine Institution, die systematische sexuelle Gewalt organisiert. Als solche muss auch für ihre Entmachtung als Ganzes gekämpft werden, um sexueller Gewalt innerhalb und außerhalb der Kirche den Boden zu entziehen. Dazu gehört es, gegen die Sonderrechte der Kirchen zu kämpfen, zum Beispiel gegen die erwähnte Einschränkung der Rechte von Kirchenangestellten und gegen die Finanzierung kirchlicher Einrichtungen wie Kitas, Schulen und Krankenhäuser durch den Staat. Denn viele der christlichen Schulen, in denen es zu sexueller Gewalt kam, waren fast vollständig staatlich finanziert.

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