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Schwarz-Gelb-Grün: die neue Koalition des Grauens

26.10.2017, Lesezeit 8 Min.
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Während die ultrarechte AfD nun im Bundestag sitzt und schon am ersten Sitzungstag viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, üben Union, FDP und Grüne schonmal das gemeinsame Regieren. Die Koalitionsverhandlungen verheißen nichts Gutes für die arbeitende Bevölkerung.

Die Koalitionsverhandlungen werden „so schwierig wie noch nie“, befand Angela Merkel am vergangenen Freitag vor Beginn der ersten gemeinsamen Sondierungsgespräche von allen Parteien der künftigen schwarz-gelb-grünen (oder „Jamaika“-) Koalition. Ähnliche Aussagen gab es seit der Wahl auch von führenden Figuren der anderen Koalitionspartner. Doch das ist nur Schall und Rauch: Union, FDP und Grüne haben sich schon längst auf das gemeinsame Regieren eingestellt.

Das zeigte sich in kleiner Form schon bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages am Dienstag. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte:

Noch bevor eine Jamaika-Koalition auch nur in Reichweite ist, lehnt Jamaika alle Änderungsvorschläge der Opposition ab. Union, Grüne und FDP sitzen ab sofort nicht nur noch enger zusammen; sie stimmen auch schon ab, als würden sie längst zusammengehören. Immer und immer wieder sagt Solms, der Antrag sei „mit den Stimmen von Union, FDP und Grünen abgelehnt worden“. Der Satz könnte in den nächsten vier Jahren noch oft fallen.

Dabei handelt es sich nicht nur um unwichtige Gefälligkeiten oder Geschäftsordnungsgeplänkel, wie es in der Sitzung hätte scheinen können. Es geht um eine Botschaft: Ein neuer „bürgerlicher Block“ entsteht im Parlament – wenn auch vorerst noch ohne AfD. Georg Fülberth, Kolumnist der Wochenzeitung „Der Freitag“, analysierte treffend: „Jamaika ist kein erzwungenes Bündnis. Es wächst vielmehr zusammen, was zusammengehört.“

Denn was hier zusammenwächst, ist letztlich nur Ausdruck davon, dass die mittlere Bourgeoisie eine breitere Vertretung für ihre Interessen braucht, wie Fülberth weiter ausführt:

Das hat nichts mit Selbstverleugnung der Partner, Machtstreben und Machterhalt allein zu tun, sondern mit dem weiteren Wandel des Bürgerlichen und der Sozialstruktur Deutschlands […] Das, was man nach wie vor Bürgertum nennen darf, hatte sich mittlerweile durch neues Personal angereichert, welches politisch mit FDP und CDU/CSU nicht mehr ausreichend repräsentiert ist. Nicht nur das Proletariat hat sich verändert, auch die untere und mittlere Ebene der Bourgeoisie: es ist eine Millionen zählende Massenschicht der Intelligenz entstanden, gespeist aus Aufsteigern, die schon in den 1960ern die SPD transformierten und sich bis heute in deren Politik spiegeln, die sich aber zudem längst eine eigene Partei geschaffen haben: die Grünen.

Dieser „Bürger*innen-Block“, auf den sich die Grünen schon lange vorbereiten, ist natürlich in verschiedenen Fragen nicht homogen – vom Umweltschutz bis hin zur Haltung zu Russland –, doch das sind nur Peanuts im Vergleich zur großen Vision, die die Kräfte der aufstrebenden und der alteingesessenen Bourgeoisie nun zur Vereinigung treiben: ein Bekenntnis zu genau der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die Deutschland zum „Exportweltmeister“ und zum Anführer des europäischen Kapitals gemacht hat.

Jede Partei der neuen Regierung wird versuchen, dieser Koalition mit ihren Themen einen gewissen Anstrich zu geben, doch der darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Kern der künftigen Regierung ein stramm neoliberaler sein wird.

Was hat Schwarz-Gelb-Grün vor?

Das heißt natürlich nicht, dass von jetzt auf gleich harte Angriffe auf die Kernschichten der Arbeiter*innenklasse beginnen werden – das werden erst die kommenden Monate zeigen. Doch die ersten Sondierungsgespräche zum Thema Steuern und Finanzen verheißen nichts Gutes:

Die Unterhändler von CDU, CSU, FDP und Grünen haben sich beim Versuch, eine Koalition zu schmieden, darauf verständigt, auch künftig keine neuen Schulden machen zu wollen und den Solidaritätszuschlag abzubauen. Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt. „Die Gesprächspartner sind sich darüber einig, dass die Schuldenbremse des Grundgesetzes eingehalten werden muss“, heißt es in einem gemeinsamen Papier, das den Sondierungsstand festhält.

Im Klartext heißt das: Trotz der sich verschärfenden sozialen und infrastrukturellen Probleme in Deutschland, denken die Koalitionsparteien nicht im Traum daran, Geld in die Hand zu nehmen, um Reformen in Rente, Pflege, Bildung oder ähnlichem in Gang zu bringen, und setzen stattdessen auf eine „Schwarze Null“. Der ultraneoliberale FDP-Parteichef Christian Lindner freute sich schon über eine mögliche „finanzpolitische Kehrtwende“:

Diese finanzpolitischen Weichenstellungen strafen Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt in Rekordtempo Lügen, die noch vergangene Woche behauptet hatte, „die soziale Frage muss für diese Koalition im Mittelpunkt stehen“.

Gleichwohl sind auch die Konfliktlinien in dieser bürgerlichen Regierung nicht zu unterschätzen. Doch dabei geht es nicht um den Dieselskandal oder etwaige zukünftige Euro-Rettungsschirme, die den Kern der Koalition gefährden könnten. Auch der angebliche Streit um eine „Obergrenze“ für Geflüchtete ist letztlich nur ein Wortgefecht: Nicht nur der Konflikt zwischen CDU und CSU ist mit einem Formelkompromiss beigelegt, auch Grüne und FDP finden eine Beschränkung der Zuwanderung und ein auf hochqualifizierte Fachkräfte zugeschnittenes „Einwanderungsgesetz“ absolut richtig. Der gemeinsame Nenner ist, dass Schwache und Schwächste in dieser Gesellschaft weiterhin rassistisch gegeneinander ausgespielt werden sollen.

Das zentrale Konfliktfeld, an dem sich die künftige Regierung früher oder später dennoch spalten könnte, ist die Außenpolitik. Denn das Projekt deutscher Hegemonie in Europa wird sich über kurz oder lang nicht aufrechterhalten lassen, ohne zum Einen die Konfliktherde innerhalb der EU im deutschen Interesse zu befrieden – worüber durchaus Uneinigkeit herrscht –, und zum Anderen eine eigenständige Positionierung – auch militärischer Art – gegenüber den USA und Russland aufzubauen. Hier sind es nicht einmal so sehr die Grünen, die ihren zur Schau getragenen Pazifismus in Realität schon längst über Bord geworfen haben, sondern die FDP, die in Fragen der Aufrüstung auf die Bremse treten könnte.

Und die AfD?

Wenn auch die Außenpolitik somit der zentrale Faktor einer Instabilisierung des deutschen Regimes bleibt, könnte die AfD eine schwarz-gelb-grüne Koalition weiter vor sich hertreiben und zur Instabilisierung von innen beitragen. Noch ist zwar unklar, wie stark die AfD langfristig ohne Frauke Petry bleiben wird, doch die erste Parlamentssitzung vorgestern zeigte, dass die AfD gewillt ist, den Bundestag als Bühne zu nutzen.

Zwar gerierte sich auch die SPD schon am Dienstag als Opposition, die auch gewillt ist, gegen die Regierung zu schießen (so mit der Rede von Carsten Schneider und dem Antrag, dass die Kanzlerin einmal pro Monat dem Parlament Rede und Antwort stehen müsse), doch wenn es um die AfD geht, stehen alle Parteien – von CDU bis Linkspartei – dicht zusammen. Und das kann letztlich dazu führen, dass trotz „Bürger*innen-Block“ an der Regierung dennoch eine ganz große Koalition „aller Demokrat*innen“ gegen die AfD die kommenden vier Jahre innenpolitisch dominieren wird. Oder anders gesagt: SPD und Linkspartei werden sich hinter die Koalitionsregierung stellen.

Dabei findet trotz aller Zur-Schau-Stellung der Ausgrenzung der AfD, wie bei der Ablehnung von AfD-Kandidat Albrecht Glaser als Bundestagsvizepräsident, schon eine gefährliche Normalisierung der AfD im Bundestag statt. Einhellig freuten sich im Anschluss alle bürgerlichen Zeitungen über die „neue Lebhaftigkeit“ der Debatten im Bundestag. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete die AfD sogar als „Chance für das Parlament“.

Wozu das führen kann, beschreibt wiederum Fülberth in seinem „Freitag“-Beitrag hervorragend:

Der AfD kann dies alles gefallen. Sie teilt die von Lindner forcierten und von Union und Grünen vertretenen marktradikalen Prinzipien. Zugleich ist sie Opposition auf dem Feld sogenannter weicher Themen, agitiert etwa gegen den Feminismus. Solange die Grünen in der Regierung sind und diese den bisherigen Kurs der sozialen Spaltung fortsetzt, kann die AfD auf Zulauf von kulturell Konservativen und materiell Benachteiligten hoffen. Das Reservoir ist noch nicht ausgeschöpft. Die Grünen sind zur Scharnierpartei geworden wie einst die FDP. Ob künftig die Union oder – nach einer etwaigen Erholung – die SPD eine Regierung anführt, hängt von ihnen ab. Auch das ist eine Chance für die AfD. Um sie könnte in einer ferneren Zukunft, falls etwa die Grünen nicht mehr gebraucht werden oder nicht mehr wollen sollten, der Bürgerblock nach rechts hin erweitert werden.

Deshalb muss gerade die Linkspartei den Weg gehen, die Opposition auf der Straße zu stärken. Ein kleiner Protest wie am Dienstag vor dem Reichstagsgebäude ist ein erster Schritt. Doch was nötig ist, ist eine Massenbewegung auf der Straße, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung gegen die AfD und gegen die kommenden Pläne der Regierung verteidigt.

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