Schrumpfen ohne Plan

15.03.2015, Lesezeit 9 Min.
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Die „Degrowth“-Bewegung tritt gegen die ökologische Krise des Planeten und gegen das grenzenlose Wirtschaftswachstum an – und scheitert an den Grenzen der bürgerlichen Ökonomie.

Vom 2. bis 6. September 2014 fand in Leipzig die IV. internationale Degrowth-Konferenz mit über 3.000 Teinehmer*innen statt – mehr als je zuvor. Naomi Klein, kapitalismuskritische Autorin und Journalistin, und Alberto Acosta, ehemaliger Energieminister Ecuadors, sorgten für die Prominenz. Nichts weniger als ein radikaler Wandel all unserer Wirtschafts- und Lebensverhältnisse für konsumbefreites Glück, aber vor allem für die Abwendung des globalen ökologischen Kollapses müsse her. Aber wie?

Neben einer neu entstandenen sozialen Bewegung, die in Frankreich unter dem Namen “décroissance” ihren bisher sichtbarsten Ausdruck findet, ist “degrowth” (Schrumpfung, Wachstumsrücknahme) vor allem eine junge Strömung der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften. Sie fordert die Hegemonie des „Wachstumswahns“ in ihrer Disziplin heraus. Obwohl sie, wie der Rest der bürgerlichen Ökonomie, den Ursprung dieses unbegrenzten Wachstumsdrangs nicht plausibel erklären kann, wirft sie damit wichtige Widersprüche in ihr auf. Diese sind für die marxistische Kritik der politischen Ökonomie aber längst nichts Neues. Immerwährender Akkumulationszwang ist in der kapitalistischen Produktionsweise selbst begründet. Was steckt also hinter „degrowth“?

Kulturwandel gegen den Überfluss

Einem breiten Publikum wurden „die Grenzen des Wachstums“ zum ersten Mal durch den gleichnamigen Bericht des Club of Rome aus dem Jahre 1972 erschreckend deutlich. Ein Jahr zuvor veröffentlichte einer der wichtigsten Vordenker dieser Strömung, der ungarische Mathematiker und Ökonom Nicolas Georgescu-Roegen, sein bekanntestes Werk „Das Gesetz der Entropie und der wirtschaftliche Prozess”. Sein Verdienst stellt die Einführung der Thermodynamik und damit auch der Entropie in die Ökonomie dar. Nutzbare Energie wird endgültig in nicht mehr nutzbare Energie umgewandelt – logischerweise auch in der Wirtschaft, die damit hochgradig an die Verfügbarkeit von Energie gekoppelt ist.

Der Kern der “Postwachstumsökonomie”, wie sich der deutsche Degrowth-Ableger nennt, besteht in der Kritik des Paradigmas des unbegrenzten Wirtschaftswachstums. Angesichts der stofflichen Begrenztheit des Planeten seien auch „grünes“ Wachstum oder die „Entkoppelung“ von Wachstum und Ressourcenverbrauch nicht möglich. Stattdessen werden alternative Wohlstandsmodelle propagiert, deren Leitbild die Nachhaltigkeit sein soll und die zum Beispiel mit einer Strategie der Suffizienz erreicht werden sollen.

Anstelle des quantitativen Wachstums trete ein qualitatives und lediglich selektives Wachstum, das heißt eine Umstellung auf umweltfreundliche Produktion langlebiger Güter bei der Schrumpfung des Gesamtvolumens der Produktion, während nachhaltiges Wirtschaftswachstum in ärmeren Ländern durchaus legitim sei. Gleichzeitig umfasst es eine Ideologiekritik des „Turbokapitalismus“ und antwortet mit der Betonung alternativer Lebensstile. So wird beispielsweise unter Berufung auf die Glücksforschung auf bewusste Entschleunigung unseres Lebens gesetzt.

In Deutschland wird die Degrowth-Bewegung am prominentesten vom Volkswirtschaftler Niko Paech vertreten. Er fordert die Stärkung lokaler Selbstversorgungsmuster – Lebensstil-Avantgardist*innen, die bescheidene Lebensformen praktizieren und Gemeinschaften, die dem Rest als „viele kleine Rettungsboote“ dienen, wenn uns der ökologische und wirtschaftliche Kollaps einholt.

Demgegenüber müsse das umweltschädigende „Fremdversorgungssystem“ drastisch eingeschränkt werden. Jedoch wird die Arbeitsteilung nicht als historisch-materieller Prozess begriffen, der die heutigen Widersprüche des Kapitalismus hervorgebracht hat und somit auch die Grundlagen seiner Überwindung. Wir dagegen sagen: Erst im Sozialismus ist eine umfassende und grundlegende Neuorganisierung der Arbeitsteilung und somit auch der Produktion möglich.

Eine der konkretesten Forderungen ist die der drastischen Arbeitszeitverkürzung. Sie leitet sich als Konsequenz aus der angestrebten Schrumpfung der Wirtschaftsleistung ab und macht somit die Umverteilung der Arbeit zur wirtschaftlichen Notwendigkeit. Doch auch dieses bleibt wie die meisten Ziele abstrakt im Raum stehen. Welches politische Subjekt genau dieses Ziel erkämpfen soll, bleibt völlig unklar. Für die Arbeiter*innenbewegung ist die Arbeitszeitverkürzung eine Forderung der ersten Stunde – die Befreiung von der Arbeit ist für uns Kommunist*innen auch heute noch zentrale Motivation. Diese völlig richtige Forderung ist für uns daher lediglich ein Ausgangspunkt, um über den Rand des Systems hinaus zu gelangen.

Durch die gesamte Degrowth-Literatur zieht sich ein hochgradig idealistisches Denken. Die „neuen sozialen Modelle“ streben in der Mehrheit individuelle Lösungen oder Insellösungen an. Würden alle bloß enthaltsamer leben, dann könnten wir den Planeten retten – der Wunsch ist also Vater des Gedanken. Diese Art der „Problemlösung“ ist die Ideologie des Kapitalismus: Gesellschaftliche Probleme seien von allen auf individueller Ebene zu lösen. Der kulturelle Wandel hin zu nachhaltigen Lebensstilen ist tatsächlich unerlässlich – jedoch müssen wir uns dafür kollektiv organisieren und all das zählt nichts ohne einen Weg zur Überwindung des Kapitalismus.

Denn das Schicksal der Erde wird im Klassenkampf entschieden. Wenn die Arbeiter*innenklasse nicht selbst die Kontrolle über die Produktionsmittel übernimmt, bleibt es wie bisher: Wir haben keine Macht anders zu entscheiden, als es das anarchische Gesetz des Marktes will. Im Kapitalismus können wir, so sehr wir es uns auch wünschen, nicht darüber entscheiden, alle AKWs und Kohlekraftwerke stillzulegen, die PKW-Produktion immens zu drosseln und den Verkehr kollektiv zu organisieren, alle Patente und Technologien frei auszutauschen, usw.

Angesichts der aktuellen und sich künftig immer weiter zuspitzenden ökologischen Krise ist die bürgerliche Ökonomie gezwungen, Antworten zu liefern. Als Spielart eben dieser betreibt die Postwachstumsökonomie wenig mehr als Symptombeschreibung und Augenwischerei. Statt die wahren Ursachen des ungebremsten Wachstums darzulegen, ist sie eine Lebenserhaltungsmaßname für den todgeweihten Kapitalismus.

Triebfedern des Wachstums

“Akkumuliert, Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!”. Fortwährende Akkumulation ist das Wesen des Kapitalismus. Der Ursprung des Wertes ist die von allen Lohnabhängigen geleistete Arbeit, aus der der Mehrwert abgepresst wird. Mit dem Verkauf einer Ware wird beim Durchlaufen der Warenzirkulation aus dem Mehrwert das Kapital.

Es ist ein sich selbst verwertender Wert, dient also dem Zweck seiner immer weiteren Vermehrung, eben der Akkumulation. Und diesem Prozess kann sich auch kein Einzelkapital entziehen, ohne den Preis des Untergangs zu zahlen. Bei der Betrachtung der Ware, Elementarform der Marktwirtschaft, offenbart sich die immanente Logik, durch die kapitalistische Ökonomien Naturzerstörung bedingen. Verkürzt ausgedrückt ist die naturgebundene Stofflichkeit der Ware über den Wert an die unendliche Akkumulation gebunden.

Dem Marxismus wird dennoch häufig, meist aufgrund des „Beweises“ der verfehlten Planwirtschaft im „real existierenden Sozialismus“, große Gleichgültigkeit gegenüber Umweltproblemen attestiert. Wurde in den krisengeschüttelten 1920er Jahren die anarchische Marktwirtschaft noch von allen Seiten in Grund und Boden kritisiert, gilt sie heute vielen trotz ihrer offenkundigen Widersprüche als unangefochtene und alternativlose Wirtschaftsform. Marx und Engels haben dem Problem der Ökologie jedoch mehr Aufmerksamkeit und Besorgnis gewidmet als vielfach bekannt, zunehmend auch in ihren späten Schriften.

Sie verwandten beispielsweise bereits die heute für die Mensch-Umwelt-Wissenschaften zentrale Kategorie des Stoffwechsels oder auch Metabolismus. Der US-amerikanische Umweltsoziologe John Bellamy Foster zeigt die tiefe Einsicht des marxistischen Denkens in die gesellschaftlichen Naturverhältnisse und führt drei notwendige Aspekte jeder modernen Theorie der Nachhaltigkeit an: a) Eine Theorie der ökologischen Krise; b) ein Konzept der Nachhaltigkeit als naturbedingte Notwendigkeit für jede menschliche Produktionsweise; und c) die Vision der Überwindung der ökologischen Krise hin zu einer Gesellschaft, in der Nachhaltigkeit ein fundamentales Prinzip darstellt. [5] Laut Foster haben Marx und Engels dies als eine der ersten geleistet und zwar anhand derjenigen Theorie, die bis heute am treffendsten die ökologischen Probleme des Kapitalismus analysiere.

In dem Degrowth-Diskurs wird häufig das Bild bemüht, dass sich der Kapitalismus, im 21. Jahrhundert angekommen, ausgewachsen habe. Nach marxistischer Auffassung sind die Produktivkräfte schon längst mehrfach an die Grenzen gestoßen, die ihnen das Privateigentum und die Nationalstaaten auferlegen. Der Kapitalismus kann nur aufgrund einer immensen Materialschlacht, aufgrund immerwährender und sich wiederholender Zerstörung der Natur und der Produktivkräfte überleben.

Das Zeitalter des Imperialismus hat die Menschheit in zwei Weltkriegen und zahlreichen weiteren imperialistischen Kriegen in unsägliches Elend gestürzt und sie fast an den Rand der Selbstzerstörung getrieben. Die nächste „Schrumpfungskur“ wird erneut mit Unmengen an Blut bezahlt werden, wenn sich die Arbeiter*innenklasse nicht dagegen erheben sollte. Solange der Kapitalismus existiert, wird es niemals ein Ende der Akkumulation geben.

Wir als revolutionäre Marxist*innen stellen daher die Frage der Strategie zur Überwindung des Kapitalismus in den Vordergrund. Eben hier liegt nun die Herausforderung, die Befreiung der Menschheit und ihren Kampf gegen die Naturzerstörung lebendig in einem revolutionären Programm zu verbinden: Wie schaffen wir es, das Thema der Ökologie schon jetzt lebhaft in die aktuellen Klassenkämpfe zu integrieren? Wie können wir die Ökologiebewegung für eine revolutionäre Perspektive gewinnen?

Im Gewand von “Degrowth“ predigt die bürgerliche Ökonomie letztendlich die Erhaltung des herrschenden Systems, das mit ein paar Reformen gebändigt werden soll. Als solches Projekt müssen wir es auch ganz eindeutig enttarnen. Die Degrowth-Bewegung aber hat sich zu Recht aufgemacht, sich gegen das anarchische Regime des von Wachstum und Krisen getriebenen Kapitalismus zu organisieren und viele ihrer Impulse können sicher hilfreich sein.

Wo Wachstumskritik in Systemkritik übergeht, wollen wir uns als Marxist*innen lebhaft in die Debatte einbringen und geduldig die Widersprüche aufzeigen. Mit all denjenigen, die gegen Ausbeutung, Krieg und Naturzerstörung kämpfen, wollen wir uns verbünden und uns für eine revolutionäre Perspektive einsetzen. Denn sie ist die einzig realistische Perspektive, um dem Elend des Kapitals und der Zerstörung der Erde ein Ende zu bereiten.

Fußnoten

1. MEW, Band 23,„Das Kapital“, Bd. I, S. 621.
2. Lilly Freytag: “Piketty: Größer als Marx?” Artikel in dieser Zeitung (S.10/11).
3. Athanasios Karathanassis (2003) “Naturzerstörung und kapitalistisches Wachstum”. S. 87.
4. Howard Parsons (1977): “Marx and Engels on Ecology”.
5. John Bellamy Foster (1997): “The Crisis of the Earth: Marx‘s Therory of Ecological Sustainability as a Nature-Imposed Necessity for Human Production”.

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