Scholz im Sommerinterview: Wirtschaftskrise, Krieg & Klimakatastrophe

22.08.2023, Lesezeit 6 Min.
1
Foto: Alexandros Michailidis/Shutterstock

Im ZDF Sommerinterview gibt sich der Bundeskanzler Olaf Scholz gelassen, doch wie er die Herausforderungen unserer Zeit lösen will, kann er nicht erklären.

Die wirtschaftliche Lage Deutschlands ist zur Zeit, selbst aus der Sicht des Kapitals, reichlich schief. Im ersten Quartal dieses Jahres rutschte Deutschland in eine Rezession, weil zwei Quartale in Folge das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zurückging. Im zweiten Quartal 2023 stagnierte das deutsche BIP. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Juli immer noch bei 6,2 Prozent.

Für die arbeitende Bevölkerung hierzulande bedeutet die Krise der deutschen Volkswirtschaft vor allem einen deutlichen Verlust an Lebensqualität. Sie haben zu kämpfen mit Reallohnverlust und Sozialabbau. So beschloss die Bundesregierung einige Tage nach Scholz’ Interview Kürzungen beim Elterngeld, an der Pflege- und Rentenversicherung.

Und was sagt der Kanzler im Interview zu diesen Fragen? Kein Wort. Die Lasten der Bevölkerung bleiben unerwähnt, dafür verspricht er ein neues “Wirtschaftswunder” durch den “ökologischen” Umbau der deutschen Wirtschaft. Zu spüren ist davon bisher eher wenig.

Als ersten Schritt eines wirtschaftlichen Aufschwungs preist er die Ansiedlung von Intel in Magdeburg an: Mit 10 Milliarden Euro subventioniert die Bundesregierung dort zwei Halbleiterwerke, die insgesamt 30 Milliarden Euro kosten sollen. Scholz spricht von der größten Direktinvestition in der Geschichte Europas. Außerdem führt er die Halbleiterproduktion in Dresden als großen Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland an. Jeder Arbeitsplatz in der Dresdner Halbleiterindustrie wird allerdings mit 2,5 Millionen Euro subventioniert. Die Arbeiter:innen dort werden dennoch unter dem Niveau ihrer westdeutschen Kolleg:innen bezahlt. Selbst seinen Interviewpartner kann er nicht davon überzeugen, dass diese Zahlen für einen großen Erfolg der Bundesregierung sprechen.

Mit dem ökologischen Umbau der Wirtschaft hat die Halbleiterindustrie auch nur mittelmäßig viel zu tun. Tatsächlich sorgt sie für enorme CO2-Emissionen und giftige Abfälle und gilt zum Teil für umweltschädlicher als Sektoren wie die Automobilindustrie. Gefördert wird ihre Ansiedlung dennoch, vor allem um im Wettkampf gegen China an Konkurrenzfähigkeit zuzulegen. Dabei geht es außerdem darum, die eigene Versorgung mit den Chips auch im Falle von Eskalationen im Ostpazifik, zum Beispiel zwischen China und Taiwan, sicherzustellen.

Eine echte Lösung für die Folgen der Klimakatastrophe, die schon jetzt in Deutschland und weltweit zu spüren sind, hat der Kanzler ebenfalls nicht parat. Diese Folgen kommen nicht einmal zur Sprache. Die Klimakatastrophe ist schon als selbstverständlicher Fakt anerkannt, jetzt geht es nur noch darum, sie ökonomisch nutzbar zu machen.

Vor diesem Hintergrund ist nämlich auch jene “ökologische Wende” in der deutschen Wirtschaft zu sehen, von der Olaf Scholz sich ein neues Wirtschaftswunder verspricht. Es geht nicht einfach um Umweltschutz, davon zeugen eben die Förderung so umweltschädlicher Sektoren wie der Halbleiterindustrie vor Ort oder der Lithiumförderung in Lateinamerika. Es geht darum, dem deutschen Kapital eine bestmögliche Position auf den Rohstoff- und Technologiemärkten der Zukunft zu sichern, wie beim “grünen” Wasserstoff und den erneuerbaren Energien. Umweltschutz wird durch diesen Staat nur betrieben, sofern er diesem strategischen Ziel zugutekommt.

Im Zweifelsfall kann und wird das auch auf Kosten der Arbeiter:innen hierzulande gehen. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wenn im Interview eine Umfrage zitiert wird, wonach die Mehrheit der Deutschen Klimaschutz eher skeptisch gegenüberstehen. Der vermeintliche Klimaschutz, den dieser Staat betreibt, ist ungleich verteilt. Während die Reichen und die Konzerne in Ruhe gelassen werden, werden arme Menschen und die Arbeiter:innenklasse am stärksten belastet. Scholz ist nicht imstande, einen Klimaschutz zu betreiben, der zugunsten der Menschen und nicht des Kapitals ausgerichtet ist. Dabei wäre ein Klimaschutz, der den sozialen und ökologischen Umbau der Wirtschaft beinhaltet, absolut essentiell, um die endgültige Zerstörung der Lebensbedingungen der meisten Menschen hierzulande und in der ganzen Welt aufzuhalten.

Mehr Raum als dem Klima kommt im Gespräch mit Scholz jedoch der Sortierung in gute und schlechte Migrant:innen zu. Einerseits erkennt Olaf Scholz den Mangel qualifizierter Arbeitskräfte als eine langfristige Belastung des deutschen Wirtschaftsstandortes an. Es ist davon die Rede, dass der deutsche Arbeitsmarkt bis 2050 12 Millionen Arbeitskräfte weniger zur Verfügung haben wird als jetzt. Scholz’ Antwort ist das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz des Bundesregierung. Dabei ist sehr zu bezweifeln, dass es der Regierung so gelingen wird, den enormen zu erwartenden Mangel an Fachkräften auszugleichen.

Andererseits mit Scholz auch deutlich, dass er keineswegs alle Migrant:innen hier haben möchte. Er stellt sich explizit hinter Nancy Faesers extrem rassistischen Vorstoß für eine Verschärfung der Abschiebebedingungen in Deutschland. Damit macht der Kanzler unmissverständlich klar: Dieser Staat hält von Migrant:innen nur etwas, wenn sie für die deutsche Wirtschaft nützlich sind. Sind sie dies nicht, ist er zu brutalen Mitteln bereit, um sie sich vom Hals zu schaffen.

Zu allerlei Brutalitäten ist er aber nicht nur bei der Bekämpfung von Migrant:innen bereit, sondern auch im Kräftemessen gegen den Konkurrenten Russland. Das zeigt die Regierung mit ihrer tatkräftigen Unterstützung des ukrainischen Staates im Krieg gegen die Russische Föderation. In Hinblick auf die Lieferungen von “Taurus”-Marschflugkörpern an die Ukraine, die die Mehrheit der Deutschen ablehnt, beteuert er, man werde weiter “sehr sorgfältig überprüfen, was geht, was Sinn macht, was unser Beitrag sein kann”. Das heißt ganz einfach, dass Scholz und seine Regierung weiter genau kalkulieren werden, welche Beiträge zum Morden in der Ukraine der Bundesrepublik die größten Vorteile zu bescheren versprechen.

Die schlechte wirtschaftliche Lage Deutschlands, die widersprüchliche Klimapolitik der Regierung und die verschärfte Konfrontation mit Russland haben bisher vor allem einen Gewinner hervorgebracht: die politische Rechte. Die AfD hat die SPD in den Sonntagsumfragen längst überholt. Dabei haben weder sie noch ihre linken Nacheiferer wie Sarah Wagenknecht eine echte Lösung für die aufgezählten Probleme parat. Weder eine stärker nationalistische und repressive Regierung noch eine linke Mitverwaltung des kapitalistischen Staates werden uns aus der Krise retten. Denn die Widersprüche, die in Scholz’ Regierung zutage kommen, sind unserem kapitalistischen System und seinem Staat tief eingeschrieben.

 

Mehr zum Thema