„Scheiß auf die Ausgangssperre!“: Proteste in den USA nehmen trotz landesweit verhängter Ausgangssperren zu
In dutzenden Städten in den USA wurden Ausgangssperren verhängt, um die landesweiten Anti-Polizei-Proteste einzudämmen. Damit wird der Repression gegen Demonstrant*innen und der ungezügelten Gewalt des Staates freie Bahn gegeben.
Bild: AFP / Getty Images
New York City war am Montag die jüngste Stadt, die als Reaktion auf den wachsenden Aufstand gegen die Ermordung von George Floyd durch die Polizei eine Ausgangssperrre verhängte. Nach mehreren Tagen heftiger Zusammenstöße zwischen Demonstrant*innen und Polizei führte Bürgermeister Bill de Blasio eine stadtweite Ausgangssperre ein, um „Plünderer“ abzuschrecken. Die Antwort der Protestierenden: Mobilisierung in noch größerer Zahl als je zuvor, um die undemokratische Ausgangssperre massenhaft zu brechen. Der Staat reagierte auf diese Proteste gegen die Polizeibrutalität mit noch mehr Gewalt – wir müssen mit verstärkten Kräften auf den Straßen reagieren, um dieser Repressionsmaßnahme zu trotzen.
Die Ausgangssperre in NYC war ursprünglich auf 23 Uhr festgesetzt worden, aber nach einer weiteren Nacht des Widerstands am Montag wurde die Ausgangssperre am Dienstag auf 20 Uhr vorverlegt und bis zum Ende der Woche verlängert. Darüber hinaus setzte die Stadt den Autoverkehr aus und schränkte für Demonstrant*innen den Zugverkehr ein, wobei sie ihnen weniger als eine Stunde vor Inkrafttreten der Ausgangssperre Bescheid gab. Dadurch blieben Tausende am Ende der Proteste gestrandet und hatten keine Möglichkeit, nach Hause zu gelangen. Als sie versuchten, die Proteste zu verlassen, saßen viele Demonstrant*innen Hunderte von Häuserblocks entfernt von zuhause fest, ohne Zugang zu U-Bahn, zu Mitfahrdiensten oder sogar zu Bussen – so mussten sie mehrere Blocks lang vor der Polizei flüchten, um Schutz zu finden.
Diese Ausgangssperre ist, wie andere im ganzen Land auch, ein abscheulicher Versuch, die Demonstrant*innen zu unterdrücken und die Mobilisierungen zu stoppen, ohne den Forderungen der Protestierenden nachzugeben. Doch täuschen wir uns nicht: Diese Maßnahmen haben rein gar nichts mit dem öffentlichen Wohl zu tun und sind allein dazu da, den Schutz des kapitalistischen Staates zu gewährleisten und all die Gewalt, den Rassismus und die Repression, die damit einhergehen, zu rechtfertigen. Es ist ein Versuch, die Proteste und die Unterstützung für die Proteste zwischen gesetzestreuen „friedlichen“ Demonstrant*innen und „gewalttätigen“ Demonstrant*innen auf der Straße zu spalten. Sie führen lieber einen Krieg gegen die Protestierenden, indem sie die Straßen militarisieren, als die drei anderen Polizeibeamten zu verhaften, die George Floyd vor laufender Kamera getötet haben. Sie verhaften lieber Tausende von Demonstrant*innen als eine*n einzige*n der Polizist*innen, die die Demonstrant*innen mit verdeckter Dienstmarke geschlagen haben. Sie werden Demonstrant*innen festnehmen, deren einziges Verbrechen darin besteht, um 20.15 Uhr draußen zu stehen, während sie drei Mörder frei herumlaufen lassen.
Die Polizei ihrerseits benutzt die Ausgangssperren als Vorwand, um die gewaltsame Repression gegen die Mobilisierungen zu verschärfen. Am Montag berichtete die Polizei, dass 700 Demonstrant*innen in NYC verhaftet wurden. Noch bevor die Ausgangssperre begann, konnte man beobachten, wie die Polizei die U-Bahn-Eingänge blockierte, um die Demonstrant*innen daran zu hindern, nach Hause zu kommen, und sie so zwang, die Ausgangssperre zu brechen und eine Verhaftung zu riskieren. Die Polizist*innen befahlen den Demonstrant*innen, sich zu zerstreuen, um einer Verhaftung zu entgehen, bevor sie isoliert und trotzdem verhaftet wurden. Am Dienstagabend hielt die Polizei Tausende von Demonstrant*innen über eine Stunde lang auf der Manhattan-Brücke fest und nahm Massenverhaftungen in der ganzen Stadt vor. Die Ausgangssperre wurde im Namen von „Recht und Ordnung“ verhängt, aber sie lässt der Polizei nur freie Hand, um die Proteste ungestraft zu unterdrücken.
Und obwohl die Ausgangssperre auf Demonstrant*innen abzielt und die Mobilisierungen auflösen soll, wird sie auch dazu benutzt, Arbeiter*innen, insbesondere Nicht-Weiße, die nach 20 Uhr auf der Straße sind, zu verhaften und zu schikanieren. Ganz zu schweigen von dem Risiko, das die Ausgangssperre für die Hunderttausenden Obdachlosen auf der Straße darstellt, die nirgendwo hingehen können, um dieser Anordnung nachzukommen. Dies ist ein verwerflicher autoritärer Schritt, der das Leben der Arbeiter*innenklasse gefährdet und die Bewegung gegen die Polizeibrutalität zerschlagen soll.
Aber vergessen wir nicht, wer diese Ausgangssperren angeordnet hat. Sie wurden von der Polizei nicht angeordnet, obwohl sie sie unterstützt hat. Sie wurden nicht von Trump angeordnet, obwohl er seine Tyrannenkanzel benutzt hat, um sie zu ermutigen. Vielmehr wurden sie in vielen Städten von den Bürgermeistern und Gouverneuren der Demokratischen Partei verhängt, die die Repression beaufsichtigen. Die Ausgangssperre in NYC wurde von Andrew Cuomo, dem Goldjungen der Demokraten, angeordnet und von Bill de Blasio, dem ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten (und Unterstützer von Bernie Sanders), ausgeführt. Dies steht im Widerspruch zu ihrer Rhetorik des Verständnisses und der Unterstützung der Protestierenden und zeigt, dass sie trotz all ihrer Reden genauso bereit sind, zu unterdrücken, zu verhaften, zu beschränken und zu töten wie alle anderen bürgerlichen Politiker*innen. Inmitten dieser Krise sind die Demokraten und die Republikaner gegen die Proteste vereint. Trotz all ihrer bombastischen Reden, sich angeblich um das Leben der Schwarzen zu kümmern und den Demonstrant*innen „zuzuhören“, sind de Blasio und Cuomo diejenigen, die die Polizei schicken, um die Bewegung zu zerschlagen und die Demonstrant*innen zum Schweigen zu bringen. Dafür nutzen sie eine Strategie der Spaltung der Proteste in „friedliche Demonstrant*innen“ und „Agitator*innen von außen“, die angeblich die Plünderungen und Sachbeschädigungen vornehmen. Sie sprechen mit doppelter Zunge und unterdrücken die Proteste.
Aber trotz der Ausgangssperren sind Menschen in großer Zahl zusammengekommen, um sich diesen Anordnungen zu widersetzen, und haben dabei Repression und Verhaftung riskiert. In New York City waren die Proteste am Dienstag trotz der frühen Ausgangssperre die bisher größten. Über 10.000 Menschen zogen durch Manhattan und Brooklyn. Mindestens 5.000 Menschen marschierten vom berühmten Stonewall Inn zur Manhattan Bridge und riefen „Scheiß auf die Ausgangssperre!“, als sie auf die Reihen der Polizei zugingen, die darauf wartete, sie zu verhaften, als die Uhrzeiger sich 20 Uhr näherten.
Wir müssen die Institution der Ausgangssperre bekämpfen, indem wir sie gemeinsam zu Tausenden brechen. Die Demonstrant*innen müssen weiterhin die Straßen halten, auch wenn die Ausgangssperre in Kraft tritt. Darüber hinaus müssen wir fordern, dass alle Personen, die wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre verhaftet wurden, unverzüglich freigelassen und alle Anklagen gegen sie fallen gelassen werden.
Die Menschen auf den Straßen haben schnell gelernt, dass die Ausgangssperre nur existiert, um die verstärkte Repression gegen die Demonstrant*innen zu rechtfertigen. Aber die Protestierenden bleiben unerschrocken, trotz des Versprechens von Verhaftungen und Tränengas, trotz der Blockade der U-Bahn-Eingänge durch die Polizei noch vor der Ausgangssperre, damit die Protestierenden gestrandet bleiben. Die Taktik des Staates, auf die Proteste mit mehr Repression zu reagieren, schreckt diese Menschen nicht ab, sondern gibt ihnen Energie und lehrt sie, dass der Staat sie nicht schützt. Die Polizei und die gewählten Vertreter*innen dieser Städte werden die Repression in den kommenden Tagen wahrscheinlich noch verstärken. Sie könnten die Ausgangssperre noch weiter vorverlegen, die Zahl der Verhaftungen erhöhen oder mit härteren Repressionsmethoden beginnen. Aber wenn die letzten Tage als Anzeichen dienen, werden diese Versuche nicht funktionieren. An jedem Tag war die Mobilisierung größer als die letzte, und morgen wird sie noch größer sein. Morgen wird sie noch größer sein. Wir müssen die Entschlossenheit der Demonstrant*innen und ihre Weigerung unterstützen, im Kampf gegen den weißen rassistischen Polizeistaat zum Schweigen gebracht zu werden.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch bei unserer Schwesterseite in den USA, Left Voice.