Salzburg-Wahl: Was ist dran am KPÖ-Hype?

25.04.2023, Lesezeit 15 Min.
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Bild: KPÖ Bundespartei

Sensation bei der Landtagswahl, die Kommunistische Partei Österreichs zieht zum ersten Mal seit 1945 in den Landtag ein. In der Stadt Salzburg wäre sie beinahe stärkste Kraft geworden. Wie gelang dieser Erfolg und was bedeutet es, wenn Linke von der KPÖ lernen wollen?

Die KPÖ verzeichnete insbesondere in den letzten Jahren in der Steiermark große Erfolge, in der Landeshauptstadt Graz wurde sie stärkste Kraft und stellt mit Elke Kahr in der zweitgrößten Stadt Österreichs die Bürgermeisterin. Nun folgt das beste Ergebnis bei einer Landtagswahl in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg. Viele fragen sich, wie es der KPÖ gelingt, in einem so konservativen und sozialpartnerschaftlich geprägten Land wie Österreich ein so großes Wachstum zu erreichen. Das starke Ergebnis hat eine Strahlkraft im gesamten deutschsprachigen Raum, die KPÖ wird als positives Gegenbeispiel zur Partei DIE LINKE gesehen, die eine Wahlniederlage nach der anderen einfährt. Doch was ist dran an dem KPÖ-Hype?

Die Wahl in Salzburg

Noch bei den Landtagswahlen im Bundesland Salzburg im Jahr 2018 hatte die KPÖ keine Rolle gespielt. 1.014 Stimmen waren damals für sie abgegeben worden. Nun waren es 31.383 – von 0,4 auf 11,7 Prozent sprang die Partei. Damit landete sie noch vor den Grünen auf dem vierten Platz. In der Stadt Salzburg wurde sie mit 21,5 Prozent sogar zweitstärkste Kraft.

Die bisherige Regierungskoalition aus den Konservativen der ÖVP, den Grünen und den marktradikalen Neos wurde hingegen abgestraft. Die Neos landeten sogar unter fünf Prozent und verpassen damit den Einzug ins Landesparlament. Stärkste Kraft bleibt dennoch die ÖVP mit 30,4 Prozent (minus 7,4), gefolgt von den Rechtsaußen der FPÖ mit 25,7 Prozent (plus 6,9) und den Sozialdemokrat:innen der SPÖ, die auf 17,9 Prozent kamen (minus 2,2).

Der SORA-Wählerstromanalyse im Auftrag des öffentlich-rechtlichen Senders ORF zufolge kamen die Wähler:innen aus allen Lagern zur KPÖ. Jeweils 8.000 Stimmen kamen von SPÖ und Grünen, 5.000 Wähler:innen der KPÖ hatten 2018 ihre Stimme nicht abgegeben. Jeweils 3.000 Stimmen gewannen die Linken von ÖVP, FPÖ und Neos. Das Ergebnis verdeutlicht, wie sich die „etablierten“ Parteien mit Ausnahme der FPÖ allesamt in einer Krise befinden und auch, dass es der KPÖ gelang, Menschen, die vorher nicht gewählt haben, für sich zu gewinnen.

Die Situation in Österreich

Um den Erfolg der KPÖ zu verstehen, sollte man zunächst die nationale Lage in Österreich betrachten. Wie überall in Europa steigen die Lebenshaltungskosten, die Inflation ist noch höher als in anderen Ländern der Eurozone. Die Armut stieg zuletzt stark an. Der Anteil von Menschen in absoluter Armut stieg 2022 von 1,8 auf 2,3 Prozent der Bevölkerung. Mehr als 17 Prozent der Menschen in Österreich gelten als „armuts- oder ausgrenzungsgefährdet“. Besonders prekär sind die Löhne und Arbeitsbedingungen in Sektoren wie der Logistik und der Pflege, wo vor allem Migrant:innen arbeiten. Stundenlöhne von drei Euro sind dort nicht unbekannt. Amnesty International kritisierte in seinem letzten Jahresbericht die Menschenrechtssituation im Land. Die NGO verwies dabei vor allem auf die Unterbringung von Asylsuchenden, aber auch die Behinderung von Journalist:innen und mangelnde Verfolgung von Polizeigewalt. In den letzten Jahren machte ein österreichischer Spitzenpolitiker nach dem anderen mit Korruptionsaffären auf sich aufmerksam.

In Salzburg (aber auch in Graz) ist seit Langem der akute Wohnungsmangel ein großes Thema. Während in Salzburg 10.000 Wohnungen leer stehen, wird es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Verantwortlich dafür ist die „Lobby und Beton“-Politik der ÖVP-Regierung, die unter anderem für die Zweckentfremdung von 1,2 Milliarden Euro an Wohnbauförderungsmitteln verantwortlich ist.

Neu hingegen ist seit vergangenem Jahr eine ungekannte Streikdynamik. Während in den meisten Jahren in Österreich nicht eine Minute lang gestreikt wird, kam es 2022 zu überdurchschnittlich vielen Arbeitsniederlegungen, unter anderem bei der Bahn, im Braugewerbe und in den Krankenhäusern. Trotz einiger Zuwächse bleiben die Löhne insgesamt jedoch deutlich hinter der Inflation zurück.

Traditionell war es die SPÖ, die eng mit den Gewerkschaften verbunden war. Mit den jüngsten Streiks jedoch hat sie nicht viel zu tun, dafür ist der Kurs der Parteiführung um Pamela Rendi-Wagner zu neoliberal. Nach wiederholten Wahlpleiten durchlebt die Partei derzeit einen Führungskampf. Für einen linkeren Kurs steht der Bürgermeister der niederösterreichischen Kleinstadt Traiskirchen Andreas Babler. Sein Ruf als österreichischer Jeremy Corbyn führte in den vergangenen Monaten zu einer Eintrittswelle in die Partei. Dass er den Parteivorsitz tatsächlich erringen könnte, gilt jedoch als wenig wahrscheinlich.

Auch die Grünen sind noch weiter nach rechts gerückt. Als Juniorpartner der ÖVP in der Bundesregierung tragen sie so ziemlich jede Entscheidung mit, egal wie klimaschädlich, unsozial oder rassistisch. Der andauernde Rechtskurs führte schon 2017 zum Bruch mit einer ganzen Generation junger Aktivist:innen. Die Jugendorganisation der Grünen wurde aus der Partei ausgeschlossen, tat sich im Anschluss mit der KPÖ zusammen und gründete die Jugendorganisation „Junge Linke“, die seitdem gemeinsam mit der KPÖ als „KPÖ Plus“ bei Wahlen antritt. Diese Fusion verschaffte der KPÖ auch ihren Salzburger Spitzenkandidat. Früher war Kay-Michael Dankl Bundessprecher der Jungen Grünen, inzwischen ist der heute 34-Jährige das Gesicht des Wahlerfolgs.

Das vorhandene Misstrauen in die Regierung, die wachsenden sozialen Probleme und das Entstehen einiger fortschrittlicher Sektoren innerhalb der Jugend kann die Linke für sich nutzen. Die KPÖ kommt mittlerweile auch in einigen bundesweiten Umfragen über die 5-Prozent-Hürde.

Die Politik der KPÖ

Regierungskrisen und eine soziale Zuspitzung hat in den vergangenen Jahren besonders in Chile, Griechenland und Spanien den Boden für einen Aufstieg linksreformistischer Parteien bereitet. Den Erfolgen dieser Parteien gingen jedoch anders als in Österreich Massenbewegungen und Revolten voraus. Am Ende integrierten diese Regierungen tausende junge Aktivist:innen und Arbeiter:innen in den bürgerlichen Staat, konnten ihre Versprechungen aber nicht einlösen. Ein politisches Vorbild sind sie für viele Linke, auch für die KPÖ, dennoch. Bei Syriza, Podemos und der Partei DIE LINKE könne man anschauen, so die Spitzenkandidatin der KPÖ bei der letzten Europawahl, Katerina Anastasiou, „wo man die Leute direkt mit der Kapitalismuskritik erreichen kann.“ DIE LINKE jedoch stolpert von Niederlage zu Niederlage. Was also unterscheidet die beiden Parteien?

Ein zentraler Punkt hierbei ist die Integration in den Staat. Die diversen Regierungsbeteiligungen der deutschen Linkspartei haben sie tiefer als die KPÖ in das politische Regime integriert. Mit dem Gewerkschaftlichen Linksblock (GLB), einer Fraktion im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), übt die KPÖ Kritik an der sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung der sozialdemokratischen Führung. Führende Personen der Linkspartei lobten hingegen wiederholt ausdrücklich die Sozialpartnerschaft. Zwar betont DIE LINKE stets gewerkschaftssolidarisch zu sein. Doch mit Ausnahme einiger innerparteilicher Organisationen bedeutet diese Solidarität, dem Kurs der Gewerkschaftsführungen kritiklos zu folgen. Auch wenn der GLB keine antibürokratische Strömung darstellt, indem er letztlich nur eine linkere Führung vorschlägt, ohne die die Selbstorganisationen der Beschäftigten voranzutreiben, verschafft er der KPÖ doch eine gewisse Basis in Gewerkschaft und Betrieben.

Die Linkspartei hatte sich vor der letzten Bundestagswahl darauf vorbereitet, mit Grünen und SPD im Bund mitzuregieren und dafür einige zentrale linke Positionen, wie die Ablehnung der NATO, bereits im Wahlkampf aufgegeben. Die KPÖ hingegen sprach sich zumindestens in Salzburg deutlich für eine Oppositionsarbeit aus. Auch bundesweit lehnt sie einen Beitritt Österreichs zur NATO ab. Dies leitet sie jedoch aus einem bürgerlichen Verständnis von „Neutralität“ ab, nicht aus einer Ablehnung des imperialistischen Militärbündnisses. Die KPÖ positionierte sich in der Vergangenheit auch gegen Waffenlieferungen und Sanktionen. So heißt es in einer Stellungnahme der Partei: „Die Antwort auf das Elend des Krieges darf nicht eine weitere Verschärfung des Krieges sein! Waffen, Drohnen oder Munition, die an beide Kriegsparteien geliefert werden, verlängern und intensivieren den Kriegsverlauf.“

Die Ablehnung von Sanktionen argumentierte die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr allerdings lediglich damit, dass sie „nichts bringen würden“. Die KPÖ fordert eine „unabhängige europäische Sicherheits- und Friedensordnung“. Dahinter verbirgt sich die Vision einer von den USA unabhängigeren Position der europäischen Imperialismen – eine Position, die auch zu den geopolitischen Interessen Russlands vermittelt. Auch wenn die KPÖ-Vertreter:innen nicht so offen chauvinistisch auftreten wie der prominente Linksparteimann Bodo Ramelow, der Waffenlieferungen und Sanktionen fordert, ist ihr Programm zum Krieg keinesfalls antiimperialistisch. In Graz zeigt die KPÖ am offensten, dass sie sich nicht einmal auf dem Papier als antiimperialistisch versteht. Auf eine Anfrage der ÖVP bekannte sie: „Das Existenzrechts Israels ist für die KPÖ unantastbar“. Die BDS-Kampagne verglich sie auf reaktionärste Art und Weise mit der „Kauf nicht bei Juden“-Propaganda der Nazis.

Was die KPÖ auch von der Linkspartei unterscheidet, ist, dass ihre Abgeordneten nur einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn behalten und den Rest der Gelder für soziale Projekte zur Verfügung stellen. All diese Unterschiede könnten den aktuellen Erfolg der KPÖ aber nicht erklären. Entscheidend ist, dass die Lücke in der politischen Landschaft, in die die KPÖ stoßen kann, größer ist als in Deutschland. Während sich die Ampel-Regierung mit einigen Reformen im Interessen von Frauen und queeren Menschen, aber auch die Cannabislegalisierung profiliert hat, sieht die Politik in Österreich anders aus. Abtreibungen sind nicht legal und sollen es auch nicht werden. Auch Grüne und SPÖ haben, als sie in der Regierung waren, nicht versucht, das zu ändern – um nur ein Beispiel zu nennen. Salzburg und auch Graz sind Städte mit großen Universitäten, insbesondere in der Jugend gibt es den Wunsch nach einer „progressiven“ Politik. In diesen Fragen kann die KPÖ im Gegensatz zu allen anderen Parteien punkten, so sind an den Wahlkämpfen der Partei auffällig viele junge Aktivist:innen beteiligt.

Im Salzburger Wahlkampf der Partei spielte vor allem der Wohnungsmangel eine große Rolle. So forderte die Partei einen Mietendeckel und fast jeder zweite Social-Media-Post bezog sich auf das Thema Wohnen. Um Unterdrückung, etwa in Form von Rassismus, ging es im Wahlkampf so gut wie gar nicht. Obwohl die FPÖ immer stärker wird, stellt sich die Partei kaum öffentlichkeitswirksam gegen den starken Rassismus in der Gesellschaft, außer einem grundsätzlichen Verständnis von Antifaschismus findet sich im Salzburger Programm lediglich eine Forderung und vor allem keine Strategie für den Kampf gegen rassistische Unterdrückung wieder.

Was wir von der KPÖ wirklich lernen können

Auch wenn die KPÖ etwas weniger angepasst ist als die Linkspartei und mehr Spielräume zur Verfügung hat, handelt es sich bei beiden um reformistische Sammelparteien aus einer stalinistischen Tradition. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion orientierte sich die KPÖ politisch an der KPdSU, seit Anfang der 1990er Jahre geriet die Partei in eine politische und finanzielle Krise. Dass sich die Jungen Grünen nach links entwickelten, bot der KPÖ eine Möglichkeit zur Erneuerung.

Reformistisch jedoch blieb die Partei. Einer Integration in den Staat steht die KPÖ nicht kritisch gegenüber. In Graz regiert sie gemeinsam mit den Grünen und der SPÖ als mit Abstand größtes Mitglied der Regierung. Dabei setzt sie eine sozialdemokratische Regierungstradition fort. So gab die KPÖ Graz während der Regierungsverhandlungen die Forderung nach der Rekommunalisierung der Holding Graz auf. Die Holding Graz ist eine privatrechtlich geführte Firma im Eigentum der Stadt, die für diese den öffentlichen Verkehr, Wasser, Abfallwirtschaft, Energieversorgung und andere kommunale Dienstleistungen erbringt. Auch viele soziale Dienstleistungen sind privatisiert. Bei der Schul- und Nachmittagsbetreuung wird gekürzt, der öffentliche Dienst wird perspektivisch weiter heruntergewirtschaftet und privatisiert.

Die KPÖ verwaltet den Kapitalismus mit, in dieser Perspektive ist die Partei zum Scheitern verurteilt, wie wir anhand der Erfahrungen anderer breiter Linksparteien und ihren Regierungsbeteiligungen sehen können. So folgte in Berlin auf die Regierungsbeteiligung der Linkspartei ein CDU-Bürgermeister und der Verlust von zehntausenden Wähler:innen.

Trotz des offensichtlich reformistischen Charakters der Partei feiern auch Linke mit revolutionärem Anspruch das Wahlergebnis in Salzburg als großen Erfolg. So bezeichnet der Blogger Fabian Lehr in seinem „Wochenkommentar“ das „Erdbeben von Salzburg“ als „kommunistischen Triumph“. Die Massen müssten, folgt man Lehr, erst ein reformistisches Bewusstsein entwickeln, bevor sie ein revolutionäres annehmen könnten. Syriza in Griechenland, die Frente Amplio in Chile oder auch DIE LINKE in Deutschland deuten in eine andere Richtung. Auf ihr Scheitern folgte auf breiter Linie nicht etwa ein revolutionäres Bewusstsein, sondern Resignation.

Damit sich die Arbeiter:innenklasse als politisches Subjekt entwickeln kann, braucht es stattdessen eine klassenunabhängige Organisierung statt einer etwas linkeren Verwaltung der bestehenden Institutionen. Die Kraft von sozialen Protesten und der Arbeiter:innenbewegung sollte nicht dazu dienen, die führenden Figuren in das politische System zu integrieren, wo sie letztlich unter kapitalistischen Zwängen kapitalistische Politik machen. Ein Vorbild hier kann die Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) in Argentinien mit der Wahlfront der Linken (FIT) sein. Sie schafft es, im ganzen Land tausende Aktivist:innen zu organisieren, Fabriken unter Arbeiter:innenkontrolle zu stellen, die Kämpfe der Arbeiter:innen mit denen der Unterdrückten zu verbinden, die Gewerkschaften in Teilen von der Bürokratie zurückzuerobern. „Klassenpolitik ist massentauglich“, schrieb der Jacobin in seinem erstaunlich inhaltsarmen Kommentar zur Salzburgwahl. Die Politik der PTS beweist: Auch revolutionäre Ideen können massentauglich sein. 1,3 Millionen Argentinier:innen gaben der FIT bei den letzten nationalen Wahlen ihre Stimme.

Etwaige Hoffnungen, aus der Partei DIE LINKE ein deutsches Pendant zur KPÖ machen zu können, sind fehlgeleitet. Stattdessen müssen wir eine revolutionäre Partei aufbauen, die in den Betrieben, den Schulen und Universitäten verankert ist, ihr Zentrum im Klassenkampf hat und die Allianz mit den Unterdrückten sucht. Die Institutionen brauchen wir nicht zu durchlaufen, es gilt sie zu überwinden. Dennoch können die Erfolge der KPÖ für die revolutionäre Linke eine Motivation darstellen. Es ist beachtlich, wie in einem der konservativsten Länder der Welt eine linksreformistische Kleinpartei in der zweit- und viertgrößten Stadt des Landes mit einer Kampagne von unten riesige Wahlerfolge verzeichnen kann. Angesichts der sich zuspitzenden Krisen und einer „Fortschrittskoalition“, die zunehmend zu sozialen Angriffen übergeht, braucht es in Deutschland eine linke Kraft, die bei den Wahlen eine Rolle spielt. Die Linkspartei kann das nicht sein. Wir sollten darüber diskutieren, wie wir unabhängige revolutionäre Kandidaturen möglich machen können.

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