Saarland: Der Rutsch der LINKEN in die Bedeutungslosigkeit

03.04.2022, Lesezeit 10 Min.
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Andere Zeiten: 2009 holte DIE LINKE noch 21 Prozent mit Spitzenkandidat Oskar Lafontaine. Foto: Itu / Wikimedia Commons

Die SPD gewinnt die Landtagswahlen im Saarland. Während die „extreme Mitte“ gestärkt hervorgeht, erlebt die Linkspartei einen historischen Einbruch.

Die Sozialdemokratie gewann die saarländische Landtagswahl deutlich und kann sogar allein regieren. Laut der Auswertung der ersten Analysen lässt sich feststellen, dass die SPD es geschafft hat, Wähler:innen aus allen anderen Parteien anzuziehen, allen voran aus der CDU und der Linkspartei. Dabei ist aber auch wichtig zu betonen, dass die „Nichtwählerpartei“ – also jener Sektor, der sich in keiner Partei repräsentiert sieht – ebenfalls kräftig anwuchs: Die Wahlbeteiligung nahm von 69,7 Prozent 2017 auf jetzt noch 61,4 Prozent ab.

Für den Wahlsieg der SPD hat die Altersgruppe ab 60 den Ausschlag gegeben, bei der die zum Neoliberalismus konvertierte „Alte Dame“ die Hälfte der Stimmen für sich beanspruchen konnte. Interessanterweise setzte hingegen lediglich jede dritte 18- bis 24-Jährige ein Kreuz bei den Sozialdemokrat:innen. Bei den unteren Rängen des Proletariats, die in der bürgerlichen Presse oft als „Menschen mit einfacher Bildung“ benannt werden, erreichte die SPD sogar einen Stimmanteil von 53 Prozent.

Lieber Eine nicht-lokale Lektüre des Wahlausgangs

Der Wahlausgang im Saarland ist auf der einen Seite Ausdruck der Erschöpfung der extremen Mitte. Die gegenwärtige Herrschafts- und Wirtschaftsordnung stützt sich auf politische Parteien, die sich im Wesentlichen einig sind, wobei die Hauptsache darin besteht, den Kapitalismus und die Oligarchie, zu befriedigen. Die zehn Jahre im Saarland regierende Große Koalition, die von der CDU angeführte extreme Mitte zieht nicht mehr. Die Saarländer und Saarländerinnen haben für die sympathischste Erscheinung gestimmt, da sich politisch-programmatisch SPD und CDU nur geringfügig unterscheiden. Es war eine Art saarländisches Farbenspiel, rot zog diesmal mehr als schwarz-rot. Dennoch, die extreme Mitte ist in den Augen vieler Wähler:innen die Einzige, der eine gewisse soziale Kompetenz zugemessen wird. Die historischen Kompromisse dieser Vermittlungsinstanzen mit subalternen Sektoren wie Frauen, Arbeiter:innen, Bäuer:innen etc. wiegen nach wie vor schwer.

Den Ausschlag haben die Wahlkampfthemen der SPD gegeben: der Wandel in der Autoindustrie und die Entwicklung hin zu klimaneutralerem Stahl, dies sind Schlüsselsektoren in der saarländischen Wirtschaft. Die Wähler:innen sehnen sich nach Sicherheit, nach einem schützendem Staat, sie sind müde von den neoliberalen Experimenten und durch den Mangel an Alternativen setzen sie ihre Kreuze mal bei der CDU, mal bei der SPD. Diesmal war es Anke Rehlinger, mit ihrer bodenständigen und emphatischen Art, die hiervon profitierte.

Auf der anderen Seite ist der Ausgang der Saarlandwahl indirekter Ausdruck der Erschöpfung des klassischen neoliberalen Diskurses, die der Sozialdemokratie zur Zeit einen bedeutenden elektoralen Aufwind gibt: Nach mindestens zwei Jahrzehnten des Konservativismus – flankiert von der Sozialdemokratie – dreht sich der Wind.

Weltwirtschaftskrise, Coronakrise, Krieg in Europa usw haben zu einem Paradigmenwechsel geführt. Selbst eingefleischte Neoliberale rufen nun nach dem starken Staat. Staatlicher Interventionismus ist plötzlich wieder en vogue, selbst in den USA, der Wiege des Neoliberalismus. „Ein starker Staat wird nicht mehr als Bedrohung, sondern als Verheißung empfunden. Das stärkt die sozialdemokratischen Kräfte, die sich nach ihren eigenen marktliberalen Abenteuern in den Nullerjahren nun wieder auf ihren sozialprogrammatischen Kern besinnen: Schutz, Sicherheit, Ausgleich“, schreibt die konservative FAZ dazu. Soziale Fragen gewinnen für die Wähler:innen an Bedeutung: Wachsende Unsicherheit sowie die sich verschärfende Kluft zwischen Arm und Reich, die obszöne Ausmaße erreicht hat, sorgen für Aufwind von verteilungspolitischen Fragen, da die Gefahr von sozialen Explosionen steigt.

Dies fürchtet die Bourgeoisie und handelt prophylaktisch. Die CDU, in zahlreiche Korruptionsaffären verwickelt, ist zurzeit kein guter Garant für Sicherheit und Scheintransparenz. Sie ist einfach viel zu beschäftigt mit sich selbst, auf der Suche nach einem Norden nach der Ära Merkel. Zudem sind die politischen und ökonomischen Herausforderungen, damit Deutschland eine stärkere hegemoniale Rolle über Europa hinaus spielen kann (ökonomisch und vor allem militärisch), gewaltig. Dafür wird ein nationaler Konsens vonnöten sein – und da bietet sich die SPD mittels ihrer Verbindungen zur Gewerkschaftsbürokratie als unerlässlich an.

Auftakt zum „sozialdemokratischen Jahrzehnt“?

„Wir wollen die 20er Jahre prägen“, sagt Olaf Scholz. Und „wir wollen, dass es gute Jahre werden“. Die Versprechen sind vollmündig: Anhebung des Mindestlohns, stabile Renten, Wohnungsbau, die Errichtung eines leistungsfähiges Gesundheitssystems und vieles mehr. Wie dies finanziert werden soll, steht erstmal in den Sternen.

Seltsamerweise scheint die Sozialdemokratie anders zu zählen als jeder normale Mensch, denn Deutschland hat bereits ein „sozialdemokratisches“ Jahrzehnt hinter sich. Die SPD hat bekanntlich zwölf Jahre lang zusammen mit der CDU mitregiert. Was die Beschäftigten und Armen in diesem Land davon hatten, waren mehr Unsicherheit, steigende Verelendung und Arbeitsbelastung, während es den Reichen immer besser ging. Das war die Politik der Sozialdemokratie, nicht die vollmundigen Versprechungen von heute

Das Wahldebakel der Linkspartei: Ein weiterer Meilenstein in die Bedeutungslosigkeit?

Der Werdegang der Linkspartei im Saarland ist bemerkenswert. 21 Prozent wie bei der Landtagswahl 2009, 2017 wurde sie zur größten Oppositionspartei, fünf Jahre später scheitert sie an der antidemokratischen 5-Prozent-Hürde. Der Anspruch das „soziale Korrektiv“ zu sein, ist offensichtlich zu wenig, um sich in der Landespolitik dauerhaft zu etablieren. „Sozial verlässlich“ sein zu wollen, aber dort, wo sie an die Regierung kam, asozial wie die CDU oder die SPD zu handeln, verjagt jede:n Arbeiter:in. Zudem hat der interne Streit in der LINKEN auch dazu beigetragen, dass die Wahlkampfthemen überdeckt wurden. Die Frage aus der Sicht eines Arbeiters oder einer Arbeiterin musste sein, wieso man seine Stimme für eine Truppe abgeben soll, bei der nichts außer Intrigen und Strafermittlungen erfolgt. Und zwar nicht etwa, weil hier oder dort das Gesetz zugunsten eines Streiks gebrochen wurde, sondern weil es den Führungsriegen der Linkspartei lediglich darum geht, ihre eigene Stellung im Parteiapparat zu sichern, die bei Einzug ins Parlament großzügig entlohnt wird. Der Machtkampf zwischen den alten weißen Herren der Linkspartei im Saarland ist jedoch nicht der Hauptgrund für das Wahldebakel im Saarland. Der Sturzflug der Linkspartei läuft seit einer ganzen Weile, im Saarland ist es nun lediglich zum Crash gekommen.

Bereits vor Lafontaines Rückzug lag die LINKE laut Umfragen bei circa 4 Prozent. Der schmutzige Kampf um die Führung der Partei zwischen dem Landevorstand Thomas Lutze und Lafontaine verjagte so ziemlich alle Wähler:innen. Der politische Kampf wich zugunsten der Schlammschlacht um Posten. Das ehemalige Zugpferd der LINKEN im Saarland zog sich zunächst zurück, um sie am Ende zu boykottieren. Die Stärkung der absoluten Mitte führt zur politischen Verarmung an den Rändern, oder um es mit Rosa Luxemburg zu sagen: „Mit dem Absterben der bürgerlichen Parteikämpfe schwinden auch ihre natürlichen Organe: die markanten parlamentarischen Persönlichkeiten, die großen Redner und die großen Reden.“

Das Wahldebakel der Linkspartei und die radikale Linke

Das Fiasko der Linkspartei bei der saarländischen Landtagswahl sollte bei der radikalen Linken die Alarmglocken läuten lassen. Teile von ihr führen den „Entrismus“ – eine historisch kurzfristige Taktik der Mitgliedschaft in einer größeren Partei zur Überwindung der eigenen organisatorischen Schwäche – ad absurdum, indem sie diesen in ein langfristiges und zeitloses Dogma umwandeln, in der Erwartung die Linkspartei nach links zu drücken. Es gibt verschiedene Gruppen mit einem revolutionären Anspruch, wie Marx21, SAV, oder SOL, die unerschrocken und jenseits der unbarmherzigen Wirklichkeit, sich mit der bequemen Illusion begnügen, die LINKE könnte sich trotz des ständigen Rechtsrucks der entscheidenden Instanzen der Partei in eine sozialistische Massenpartei verwandeln. Eine bequeme Illusion deshalb, weil sie die Frage des Aufbaus einer revolutionären Partei umgeht oder bestenfalls in eine unbestimmte Zukunft verschiebt. Der Aufbau einer revolutionären Partei werde sich irgendwie von selbst lösen, wenn die Massen spontan zur Linkspartei kommen. Auf diesen Moment wartend müssten Revolutionär:innen mit Reformist:innen in einer Partei zusammenarbeiten. Der Klassenkampf werde es dabei irgendwie schon richten. Elementare Fragen der Arbeiter:innenbewegung werden durch „neue“ Erkenntnisse ersetzt, die letztlich nichts anderes tun als die alten Gewissheiten über Bord zu werfen. Die Multitude tritt anstelle der Arbeiter:innenklasse, der demokratische Sozialismus anstelle der Diktatur des Proletariats, die Fixierung auf die parlamentarische Arbeit anstelle des Aufbaus in den Betrieben und Lehrstätten. Die spontane Aktion der Massen wird es irgendwie schon richtig. Aber bekanntlich fallen Meister nicht vom Himmel, und genauso wenig entstehen revolutionäre Parteien ohne vorbereitende Arbeit.

Die radikale Linke in der Linkspartei stochert also weiterhin im Nebel. Die SAV schreibt anlässlich Lafontaines Parteiaustritt: „Ihm fehle es an der nötigen Radikalität, um angemessene Antworten auf existenzielle gesellschaftliche Krisen zu finden. Der Versuch, diese ‚pragmatisch‘ und kleinschrittig im Rahmen des Bestehenden und an den vermeintlichen Schalthebeln der (Regierungs-)Macht zu lösen, führt in die Sackgasse des Reformismus: Vom Protest zur Anpassung, von Beschränktheit zur nationalen Borniertheit. DIE LINKE muss aufpassen, dass sie nicht denselben Weg geht und irgendwann selbst ‚aus der Partei austritt‘.“ Eine seltsame und widersprüchliche Aussage, denn die Bruchlinie zwischen Lafontaine und der Linkspartei-Führungsriege liegt nicht im Reformismus des einen gegenüber dem anderen, sondern im Machtkampf um die Leitung des geldträchtigen Apparats.

Wir dagegen halten es für unabdingbar die Weichen für eine revolutionäre Organisation in Deutschland jetzt aufzustellen. Der Kampf um eine erstrebenswerte Zukunft, frei von Elend, Krieg und Ausbeutung muss der strategische Horizont linker Politik sein. Jedoch können tiefgreifende Forderungen wie diese nicht im Parlament durchgesetzt werden. Der Militarismus wird nicht bekämpft, indem man Auslandseinsätze der Bundeswehr gut heißt. Dafür bedarf es der Organisierung hinter dem Banner des Kampfes im Betrieb und im Klassensaal bis hin zur Frage, wer letztlich das Land regieren soll, die Bosse oder die Arbeiter:innen. Und dieser Kampf kann nicht gemeinsam mit Reformist:innen aller Couleurs aufgestellt werden, sondern im politisch ideologischen Kampf gegen sie erfolgen.

Eine neue politische Führung in Deutschland, eine die es sich vornimmt den Himmel zu erstürmen, wird auf den Ruinen des Alten entstehen. Darauf konzentrieren wir uns!

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