Rundreise über ArbeiterInnenkontrolle in Venezuela
Als 300 Beschäftigte der insolventen Drogerie-Kette Schlecker letzte Woche vor dem Roten Rathaus in Berlin demonstrierten, bekamen sie viel Unterstützung. Frank Bsirske von der Gewerkschaft ver.di, Gesine Lötzsch von der Partei Die Linke und Björn Böhning von der Berliner Senatskanzlei sprachen sich alle für eine Transfergesellschaft für entlassene Schlecker-Mitarbeiterinnen aus. Doch unerwartet kamen auch zwei junge Männer ans Mikrofon, die den Demonstrierenden Mut zusprachen – auf Spanisch mit Übersetzung. Felix Martinez und Paulo Cumana, zwei Arbeiter aus Venezuela, die gerade auf einer Rundreise durch die BRD sind, sprachen von ihren Erfahrungen mit Streiks und Besetzungen: „Wir haben gelernt, dass die ArbeiterInnenklasse, wenn sie zusammenhält, stärker als jeder multinationale Konzern ist.“
Martinez und Cumana sind Gewerkschafter, die harte Kämpfe bei Autofabriken in der venezolanischen Stadt Barcelona hinter sich haben. Cumana arbeitet beim Scheibenhersteller Vivex, wo die Gründung einer neuen, kämpferischen Gewerkschaft im Jahr 2003 zu Entlassungen führte, die mit einem Streik und einer Besetzung beantwortet wurden. Weitere Konflikte im Jahr 2008 um nicht ausgezahlte Löhne führten zu einer erneuten Besetzung von Vivex. Das Gleiche ging in einer benachbarten Fabrik des multinationalen Konzerns Mitsubishi vor sich, wo bei einem Räumungsversuch zwei Arbeiter von der Polizei erschossen wurden.
Während bei Mitsubishi der Kampf mit der Entlassung der Gewerkschaftsführung und sogar strafrechtlichen Prozessen gegen diese zu Ende ging, konnten die Arbeiter von Vivex mittels einer Genossenschaft die Produktion in Eigenregie fortsetzen und Druck auf die Regierung ausüben, damit diese im Jahr 2011 die Fabrik verstaatlichte. „Doch es gibt weiterhin viele Widersprüche“, erklärt Martinez, da die Verwaltung nicht allein bei den ArbeiterInnen liegt sondern mit der staatlichen Bürokratie geteilt wird.
Jetzt sprechen die beiden Arbeiter auf Veranstaltungen, organisiert von den „Interbrigadas“, einem Verein junger Menschen, die seit Jahren Solidaritätsreisen nach Venezuela und in andere lateinamerikanische Länder organisieren. Unterstützung kommt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, dem Internetportal Labournet und der Deutschen Kommunistischen Partei. Ziel des Vereins ist es, Ideen über den „Aufbau einer soldarischen und demokratisch gestalteten Wirtschaftsordnung“ auszutauschen, wie es in einer Selbstdarstellung heißt.
Gerade bei der Kundgebung der Schlecker-Beschäftigten wurde die Bedeutung dieser Erfahrungen mit Besetzungen und ArbeiterInnenkontrolle deutlich. Die Beschäftigten kritisierten zu Recht, dass Milliarden für die Rettung von Autokonzernen und Banken – und damit auch zur Rettung von vielen Jobs von Männern – zur Verfügung gestellt wurden, während die Schlecker-Belegschaft, die zu 90% aus Frauen besteht, allein gelassen wird. Doch gerade die venezolanischen Kollegen machten deutlich, dass man angesichts von Betriebsschliessungen nicht auf „höhere Wesen“ wie die Bundesregierung oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau, sondern nur auf die eigene Kampfkraft setzen kann.
Nächste Veranstaltungen: 27.3.: Mannheim, 28.3.: Darmstadt; 29.3.: Frankfurt a.M., 4.4.: Berlin.
Mehr Infos: http://www.interbrigadas.org