„Rückzug ist genau das, was Repression bewirken soll und das müssen wir verhindern“

13.07.2021, Lesezeit 10 Min.
1
Foto: Solikreis Findus

Der Antifaschist und Aktivist Findus wurde zu zweieinhalb Jahren Knast ohne Bewährung verurteilt. In wenigen Tagen muss er seine Haftstrafe antreten. Wir haben mit ihm und dem Solikreis über Gefängnis, Repression und Klassenjustiz gesprochen. Für Findus ist klar: Der Kampf muss weitergehen.

Während Rechte ungehindert demonstrieren können, Abschiebungen und Zwangsräumungen stattfinden und Polizei und Bundeswehr von Nazis durchzogen sind, muss Findus jetzt in Haft. Was ist passiert?

Der Antifaschist und Redskin Findus wurde im September 2020 vor dem Stuttgarter Amtsgericht angeklagt. Vorgeworfen wurden ihm insgesamt 10 Anklagepunkte in Zusammenhang mit antifaschistischen Demonstrationen – z.B. gegen einen Aufmarsch der Faschist:innen von „Die Rechte“ in Pforzheim, aber auch Hausfriedensbruch im Zuge einer Hausbesetzung. Im Großen und Ganzen wurde Findus nicht nur wegen seines konsequenten Vorgehens gegen Nazis angeklagt, sondern auch, um ein Signal in Richtung der antifaschistischen Bewegung zu senden: Wer gegen die herrschenden Verhältnisse aktiv ist, wird früher oder später im Fokus der Repressionsbehörden landen!

Die vorsitzende Amtsrichterin Böckeler, die das Verfahren vor dem Stuttgarter Amtsgericht leitete, ist in Stuttgart als rechte Hardlinerin bekannt und machte von Beginn des Verfahrens an keinen Hehl daraus, dass sie Findus im Knast sehen möchte. Findus und sein Anwalt führten den Prozess politisch, ebenso wurde der Prozess von einem eingerichteten Soli-Kreis unterstützt. Im Oktober wurde Findus dann zu 2,5 Jahren Knast ohne Bewährung verurteilt. Für Findus war klar, dass er das Urteil nicht akzeptiert und in Berufung geht. Nachdem sich alle Beteiligten auf eine noch intensivere Berufungsverhandlung mit der Chance auf eine Bewährungsstrafe eingestellt hatten, änderte sich die Situation: Weitere sechs Verfahren gegen den Genossen lagen bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart, darunter auch welche nach dem “Bullenschubsparagraphen“ §114 StGB, der eine Haftstrafe vorsieht. Die neue Einschätzung: Eine Haftstrafe ist in der Summe der Verfahren, auch nach juristischer Einschätzung der noch offenen Verfahren, nicht mehr abzuwenden. Die Staatsanwaltschaft trat an den Anwalt des Genossen heran: mit der Rücknahme der Berufung und dem Antritt der Haftstrafe würden alle weiteren Verfahren eingestellt. Daraufhin gab es ausführliche Gespräche zwischen Findus, seinem Anwalt, der Roten Hilfe Stuttgart und dem Solikreis. Im Wissen, dass eine Haftstrafe unausweichlich ist und in weiteren Verfahren sich diese wahrscheinlich erhöhen würde, entschied sich Findus dazu, die Berufung zurückzuziehen und die Haftstrafe anzunehmen.

Wie war euer Kontakt zu Justiz und Polizei? Glaubt ihr, ihr wurdet anders behandelt, weil ihr als Linke wahrgenommen wurdet?

Wir als Solikreis und Findus würden ganz klar sagen: „Ja!“. Linke und fortschrittliche Kräfte werden in der BRD und weltweit inhaftiert und verfolgt. Wenn wir uns mal genauer anschauen, was verfolgt wird und was nicht, zeichnet sich eine klare Systematik in der BRD ab. Alles, was diesen kapitalistischen Staat konsequent in Frage stellt, wird kriminalisiert. Das nennen wir Klassenjustiz. In Zeiten eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks nimmt auch die Repression gegen Linke zu. Ganz deutlich zu erkennen ist die Repression und Klassenjustiz bei Großevents, wie etwa beim G20-Gipfel in Hamburg. Dort wurden im Vorhinein die Proteste delegitimiert, die Aktivist:innen vor Ort brutal angegriffen und im Nachhinein vor Gericht gezerrt und mit harten Strafen abgeurteilt. Ein anderes und ganz aktuelles Beispiel ist die medial inszenierte Festnahme und Inhaftierung der Antifaschistin Lina aus Leipzig.

Habt ihr schon andere Erfahrungen mit Repression gegen Antifaschist:innen miterlebt? Wie waren eure Erfahrungen? Seht ihr ein Schema im Umgang?

Ehrlicherweise muss man sagen, dass Repression mittlerweile fester Bestandteil politischer Arbeit ist. Wer sich den bestehenden Verhältnissen widersetzt und das mit einer gewissen Konsequenz tut, geht schnell auf Tuchfühlung mit den Repressionsbehörden. Angefangen bei Strafbefehlen und Geldstrafen, bis hin zu Bewährungs- oder gar Knaststrafen: Gerade hier in Stuttgart hat der Verfolgungswille und das Ausmaß der Repression in den vergangenen Jahren nochmal deutlich zugenommen. Im vergangenen Jahr wurden unsere Genossen Jo und Dy inhaftiert. Ihnen wird vorgeworfen, an einer Auseinandersetzung mit den Nazis von „Zentrum Automobil“ beteiligt gewesen zu sein. Während Jo nach sechs Monaten U-Haft wieder rauskam, sitzt Dy immer noch im Knast. Vor einigen Jahren wurde der Stuttgarter RASH-Aktivist Smily inhaftiert. Nachdem er wieder in den Knast sollte, hat er sich der Inhaftierung entzogen und ist untergetaucht und hat dadurch die Repression des Staates ins Leere laufen lassen.

Das sind nur die prägnantesten Beispiele aus Stuttgart, aber es gibt viele mehr. Wichtig zu erwähnen wäre der §129 – Bildung bzw. Unterstützung von so genannten kriminellen oder terroristischen Gruppen – mit dem der Staat versucht linke Organisierungen zu kriminalisieren und vor allem die Schnüffelrechte, die der Paragraph mit sich bringt, auszunutzen. Aktuell laufen unter anderem 129-Verfahren gegen Genoss:innen in Frankfurt und Hamburg, und seit vielen Jahren eigentlich permanent gegen migrantische linke Strukturen.

Bei all den Beispielen zeigt sich: Wir müssen die Prozesse als politische Prozesse begreifen und diese so führen. Wir dürfen keine Angst vor politischer Prozessführung haben und auf einen fairen Prozess hoffen. Durch die Repression soll bewirkt werden, dass Linke und Antifaschist:innen eingeschüchtert und daran gehindert werden, weiterhin aktiv zu bleiben und auf die Straße zu gehen. Doch wir können die Repression ins Leere laufen lassen, wenn wir zusammenstehen, weiterhin aktiv bleiben und unseren Kampf auf der Straße weiterführen. Denn der Rückzug aus der politischen Praxis ist genau das, was Repression bewirken soll und das müssen wir verhindern!

Was war in euren Augen das Dreisteste oder Prägendste, das im Prozess passiert ist?

Es gab eine Vielzahl an schikanösen Situationen, die das Verfahren geprägt haben. Angefangen von der oben beschriebenen Richterin, die eine bemerkenswerte Motivation an den Tag legt, wenn es um die Verurteilung von Linken geht und auch während des Verfahrens keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen Findus gemacht hat. Auch die Justizbeamten haben gegenüber den solidarischen Prozessbeobachter:innen immer wieder versucht zu provozieren. Beispielsweise versuchten sie, ihnen Papier und Stifte während der Verhandlung abzunehmen und so die Prozessdokumentation zu erschweren. Während Prozessbeobachter:innen bei jedem Betreten des Gerichtssaals penibel durchsucht wurden, konnten mehrere AfD-Security ohne Kontrolle und mit mitgeführten Handys und waffenähnlichen Gegenständen dem Prozess beiwohnen. Die Krönung dieses Prozesstages war sicherlich die Tatsache, dass die Staatsanwältin das Gerichtsgebäude plauschend mit einem AfDer, der als Zeuge geladen war, verließ und davonging. Da fügt sich zusammen, was zusammen gehört…

Findus, wie gehst du damit um, bald in den Knast zu müssen? Was gibt dir gerade Halt und wie bereitest du dich auf die Zeit vor?

Ich setze mich seit dem Verfahren im vergangenen Jahr damit auseinander, in den Knast zu müssen. Die Auseinandersetzung führe ich gemeinsam mit der Roten Hilfe, mit dem Solikreis und mit anderen Betroffenen, die Erfahrungen damit haben. Ich versuche vor Haftantritt alles Wichtige zu klären, sowohl mit den Menschen und als auch Organisatorisches. Ich schaue, dass ich mit einem klaren Kopf an die Sache gehe. Die Zeit bis dahin nutze ich auch um Leute zu besuchen, Sachen zu machen, die mir wichtig sind, weiter politisch aktiv zu sein und mir jetzt zu überlegen, wie eine weitere politische Aktivität im Knast aussehen kann. Wichtig ist mir diese Diskussionen mit anderen Genoss:innen zu führen. Sowohl meine Freundschaften, mein politisches Umfeld, als auch eine möglichst bewusste Haltung gegenüber der Klassenjustiz geben mir Halt und lassen mich diese harte Nuss mit erhobenem Kopf angehen. Ich bin mir bewusst, dass der Knast für mich nicht verhinderbar ist, aber ich spüre auch, dass Leute hinter mir stehen und das nimmt mir die Angst.

Welche Lehren könnt ihr als Solikreis und als Aktivist:innen aus der Angelegenheit ziehen? Was würdet ihr anderen Aktivist:innen raten, was ihr vorher gern gewusst hättet?

Für uns ist die zentrale Frage eine Frage der Haltung. Bei der Auseinandersetzung, für was der Staat und seine Organe stehen und für was wir stehen, wird uns deutlich, dass es in letzter Konsequenz keine Überraschung ist, dass er gegen uns vorgeht. Denn dieser Staat ist nicht der Staat der kleinen Leute, der Staat der Ausgebeuteten und der Arbeiter:innenklasse sondern der Staat der Bonzen und Kapitalist:innen. In diesem Sinne arbeitet auch die Klassenjustiz. Das sind alles Lehren, die wir daraus ziehen können und die uns nochmal bestärkt haben in unseren Ansichten, die wir vorher aber sowieso schon geteilt hatten. Wir müssen selbst auf unsere Bewegung und unsere Klasse setzen. Ganz im Sinne des Marx Zitates: „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein.“ Des Weiteren versuchen wir alle weiteren Probleme, die Knast mit sich bringt, kollektiv aufzugreifen, um Findus damit zu entlasten. Uns ist aber auch klar, dass wir keinen Masterplan oder eine Checkliste für jeden neuen Fall machen können. Jeder Fall von Repression ist auf der individuellen Ebene anders und jede Situation eine andere. Was aber bei allen Fällen bleibt:

  1. Wir dürfen unsere Grundprinzipien nicht über Bord werfen
  2. Wir müssen die die verschiedenen Ebenen des Repressionsfalles beachten: Die Juristische, die Finanzielle, die Theoretische und die Praktische
  3. Wir müssen ganzheitlich denken: An den Betroffenen, an das direkte Umfeld, an die Familie, an die politische Bewegung

Wir freuen uns, wenn wir über unsere Erfahrungen mit anderen Genoss:innen und Solikreisen diskutieren können!

Was können wir aktiv tun, um Findus zu unterstützen? Was wünscht ihr euch von Verbündeten?

Schreibt Findus Briefe, sobald er im Knast ist. Berichtet von draußen und haltet Kontakt zu ihm. Schickt ihm Plakate, Bilder und Artikel, damit er Eindrücke davon hat, was draußen vor sich geht. Ihr könnt auch jetzt schon was machen: Geld sammeln und spenden, um die Soliarbeit zu unterstützen. Beispielsweise um Zeitungs- und Zeitschriftenabos oder Bücher mitzufinanzieren. Macht Soliaktionen für Findus, berichtet über seinen Fall und sorgt mit dafür, dass er hinter den Knastmauern nicht vergessen wird. Zweieinhalb Jahre sind eine verdammt lange Zeit, in der unser Genosse nicht bei uns sein wird und nicht wie bisher politisch aktiv sein kann. Repression hat nicht nur das Ziel, einzelne wegzuzerren, sondern auch, ein Exempel an der Bewegung zu statuieren und somit für Verängstigung und Unsicherheit zu sorgen. Dem müssen wir uns widersetzen. Deshalb heißt für uns Solidarität eben auch, uns nicht einschüchtern zulassen und den antifaschistischen Kampf weiter zu führen!

Für mehr Informationen, Statements und Möglichkeiten der Unterstützung schaut auf der Website des Solikreises vorbei. 

Mehr zum Thema