Rosenhochzeit für die eiserne Kanzlerin

28.11.2015, Lesezeit 5 Min.
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Zehn Jahre ist Angela Merkel nun schon Bundeskanzlerin. Aktuell wird sie als "Willkommenskanzlerin" inszeniert, doch das Bild täuscht: In Wirklichkeit verkörpert das "System Merkel" Angriffe auf die Rechte und Lebensbedingungen von Millionen von Menschen – Arbeiter*innen, Jugendliche und Geflüchtete – , verschleiert vom Image der "Mutti der Deutschen".

“Opportunistisch, pragmatisch, bis zur Unkenntlichkeit unideologisch“: Bürgerliche Medien attestierten Angela Merkel in den zehn Jahren ihrer Kanzlerinnenschaft häufig, keine klaren Positionen zu haben. Ihr „Politikstil“ basiere darauf, das „Schiff“ so ruhig wie möglich durch stürmische Gewässer zu manövrieren, ohne allzu viele Kontroversen auszulösen. Dennoch habe sie es geschafft, sich als Diplomatin und Lenkerin von Krisen in Europa auszuzeichnen.

“Die ideelle Gesamtdeutsche”

Eine andere Beschreibung des „Systems Merkel“ besagt: Ein Machtmensch sei sie, der es – als gute Schülerin Helmut Kohls – stets verstanden habe, politische Gegner*innen auszuschalten, vor allem in der eigenen Partei, und sich damit unentbehrlich zu machen. Stoisch, kühl, berechnend, und doch ein Pol der Stabilität. Eine „Mutti der Deutschen“ – bewundert und gefürchtet zugleich.

Doch „Angies“ Image beginnt langsam zu bröckeln: Jahrelang ist es den rechtskonservativen Kräften in der Union nicht gelungen, Merkels angeblichem „Sozialdemokratisierungskurs“ der CDU etwas entgegenzusetzen. Doch mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ hätte Merkel ihre Steuerungsfähigkeit überschätzt, und ihre Zustimmungswerte bröckeln. Auch auf europäischer Ebene wird ihre „Problemlösungskompetenz“ immer mehr angezweifelt. Doch noch gibt es niemanden, die*der Merkel ablösen könnte, auch wenn sich eine innerparteiliche Opposition formiert.

Dabei ist die „Opposition“ eine größtenteils kosmetische: Merkels Diskurs der „Willkommenskultur“ und die konkrete Politik der Regierung liegen viel weiter auseinander, als es die Kritik der rechten innerparteilichen und außerparteilichen Opposition vermuten lassen würde. Sie poltern gegen den angeblichen „Linkskurs“ der Kanzlerin, während gleichzeitig fast all ihre Forderungen getreu umgesetzt werden. Kein Wunder, dass in ihrer Amtszeit das Asylrecht mehrfach verschärft wurde. Sie zieht die Mauern höher, um weitere Einwanderungen zu verhindern. Als ob das nicht genug wäre, greift sie nun in Syrien und Mali militärisch ein.

Diese widersprüchlichen Narrative zur Regierungszeit Merkels verkennen aber den Kern dessen, was das „System Merkel“ tatsächlich ausmacht: nämlich die Verkörperung der Interessen des deutschen Kapitals.

Tatsächlich ist Merkel weit davon entfernt, ein „Fähnchen im Wind“ zu sein, die ihren Kurs rein nach der politischen Konjunktur richten würde. Ganz im Gegenteil hat sie es wie kein*e andere*r Politiker*in im letzten Jahrzehnt verstanden, das Projekt eines hegemonialen Deutschlands in Europa aufzubauen und jegliche Opposition dagegen unter dem harten Griff der Austeritätspolitik zu zerquetschen. Sie schickte dazu ihre Bluthunde vor, allen voran Wolfgang Schäuble, doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Merkel die Fäden in der Hand hält. So protestierten die griechischen Massen auf den Straßen gegen ihr Spardiktat. “Merkel raus”, “We are not Merkel´s colony”, “Merkel go home” stand auf den Schildern der Protestierenden. Ein klarer Ausdruck von der Unruhe, die ihre Politik produziert hat.

Sie hat es vermocht, die unterschiedlichen Interessen verschiedener Kapitalfraktionen durch ihre Kanzlerinnenschaft hindurch zu homogenisieren. Sie ist, in den Worten von Stephan Hebel, einem Kolumnisten der Frankfurter Rundschau, „die ideelle Gesamtdeutsche“.

Die deutsche Hegemonie schreitet unter Merkel voran

Seit Beginn der Wirtschaftskrise ist fast in Vergessenheit geraten, was Merkels größte innenpolitische und vor allem wirtschaftliche Prämisse ist: die „marktkonforme Demokratie“. Merkel trat vor zehn Jahren mit einem sozialpolitischen Kahlschlagsprogramm an, welches – neben der brutalen Durchsetzung der von der Schröder-Regierung eingefädelten Agenda-Gesetze – unter anderem die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Rente mit 67 und die Reform von Gesundheits- und Pflegegesetzen beinhaltete. Sie agierte damit als durchführender Arm der Kapitalinteressen, die den Umbau des deutschen Sozial- und Arbeitsrechts komplettierte.

Mit dem Einbruch der Wirtschaftskrise sah sich Merkel zwar gezwungen, mit „Abwrackprämie“ und Kurzarbeit von ihrem ultra-neoliberalen Modell ein Stück weit abzurücken – doch wiederum ging es hier nur darum, die Profitinteressen des deutschen Kapitals zu wahren: Die Bundesregierung startete ein massives Subventionsprogramm zur Aufrechterhaltung der Profitrate, was nur deshalb möglich war, weil der verheerende soziale Kahlschlag der vorherigen Jahre das Akkumulationsmodell der deutschen Wirtschaft wieder „konkurrenzfähig“ gemacht hatte.

Mit der Verschärfung der Eurokrise wurde die eiserne Hand der Kanzlerin wieder offensichtlicher, und Deutschland begann, seine Hegemonie in Europa mit aller Härte durchzusetzen.

Unter Merkel wurde Deutschland so zur bestimmenden imperialistischen Macht in Europa. Das ist nicht ihr alleiniger „Verdienst“, sondern basiert auf der Vorarbeit der Vorgängerregierungen. Ihr „Verdienst“ ist es, diese Politik alternativlos aussehen zu lassen.

Damit hat Angela Merkel viel mit Margaret Thatcher gemein, der anderen „eisernen“ Regierungschefin der letzten Jahrzehnte. Auch wenn ihr „Politikstil“ sich von Merkel unterscheidet, die Politik „There is no Alternative“ verbindet sie.

Die „Alternativlosigkeit“ Merkels steht nun im Kontext der „Flüchtlingskrise“ in Frage – allerdings größtenteils nicht von links, sondern von rechts. Während AfD, Pegida und Co. sich gegen die Bundesregierung mobilisieren, verteidigt die Linkspartei Merkels „Willkommenskultur“.

Noch gibt es für die aktuelle Krise keine Lösung seitens der Herrschenden, und die Spannungen in Europa verschärfen sich. Sollte das „System Merkel“ fallen, könnte sich die Krise noch mehr vertiefen. Ohne Alternative von links wird das die reaktionären Tendenzen in Europa noch weiter verstärken.

Höchste Zeit, den zehn Jahre Merkel, zehn Jahren propagierte Alternativlosigkeit, eine Alternative der Arbeiter*innen, eine proletarische und internationalistische Alternative entgegenzusetzen.

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