Richterin findet Urteil „nicht politisch“: Verurteilung wegen Palästinasolidarität
Unser:e Genoss:in Ari Aalto wurde heute vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen einer Hörsaalbesetzung an der FU Berlin im Juli verurteilt. Ein:e weitere:r Genoss:in wurde bei der Prozessbegleitung festgenommen — wegen Macklemore.
Es war der erste Prozess wegen der palästinasolidarischen Hörsaalbesetzung an der FU Berlin im vergangenen Juli, der heute am Amtsgericht Tiergarten stattgefunden hat. Ari Aalto, Mitglied von Waffen der Kritik und Redakteur:in von Klasse Gegen Klasse, wurde vom Präsidium der FU wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Das Gericht verurteilte them zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 20 Euro.
Unser:e Genoss:in hat sich zu der vorgeworfenen Tat bekannt: „Ja, ich habe am 9. Juli an der Hörsaalbesetzung an der Freien Universität Berlin – meiner eigenen Universität, an der ich Philosophie studiere – teilgenommen, um gegen die Komplizenschaft des deutschen Staates und der Universitätsleitung mit dem laufenden Genozid an der palästinensischen Bevölkerung und der fortdauernden illegalen Besatzung der palästinensischen Gebiete durch Israel zu protestieren“, erklärte Ari der Richterin und den zur solidarischen Prozessbegleitung versammelten Studierenden.
„Ich könnte es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, tatenlos zuzusehen, wie solche Verbrechen von der deutschen Regierung mit massiven Waffenlieferungen und diplomatischer Unterstützung erst ermöglicht werden, nur weil es den Interessen der Berufspolitiker:innen und Bosse nützt. Deshalb habe ich aus meiner moralisch-politischen Überzeugung gehandelt und an der Aktion teilgenommen“, hieß es in der Einlassung weiter.
Der FU-Präsident Günter Ziegler, der die Anzeige stellte, hat sich indes nicht zur Verhandlung gertraut – vielleicht aus gutem Kalkül, denn Strafverteidiger Alexander Gorski legte eine eindrückliche Argumentation für die Legitimität von Aris Protest dar. Mit Bezug auf renommierte Forscher:innen und Institutionen des internationalen Rechts verwies er auf den andauernden Genozid in Gaza und die illegale Besatzung im Westjordanland. Nach internationalem Völkerrecht, das auch für den deutschen Staat und seine Institutionen bindend ist, dürfe nicht nur keine Beihilfe zu den genannten Verbrechen geleistet werden, sondern müsse diesen aktiv entgegengewirkt werden.
Stattdessen unterhalte die FU Berlin enge Kooperation mit der Tel Aviv University, die beispielsweise an der Waffenentwicklung des israelischen Rüstungskonzerns Elbit Systems und an der ideologischen Entwicklung der israelischen Sicherheitsdoktrin beteiligt sei. Außerdem führt die FU eine strategische Partnerschaft mit der Hebrew University of Jerusalem, deren Mount Scopus Campus auf völkerrechtswidrig besetzten Land angesiedelt ist und die mit dem sogenannten „Havatzalot Program“ ein Eliteprogramm für israelischen Streitkräfte zur Ausbildung hochqualifizierter Nachrichtenoffizier:innen anbietet. Aris Protest ist also durchaus an die richtige Stelle adressiert. Dennoch lehnte das Gericht die Anträge der Verteidigung ab.
Wie bei früheren Prozessen gegen palästinasolidarische Studierende versammelten sich etwa 30 Kommiliton:innen und andere Unterstützer:innen schon ab 8:30 Uhr zu einer Kundgebung und zur solidarischen Prozessbegleitung vor dem Gericht. Mobilisiert hatte das Bündnis Hands Off Student Rights und Waffen der Kritik. In Reden wurde ein Ende der Repression und das Fallenlassen aller Anzeigen seitens der Universität gefordert.
Während der Kundgebung vor dem Gericht ging die Polizei gegen unsere:n Genoss:in Maxi Schulz vor, der:die die Kundgebung moderierte. Der Grund: Es wurde der Macklemore-Song „Hind’s Hall 2“ gespielt, in dem unter anderem die Parole „From the river to the sea” gesungen wird. Diese demokratische Parole ist seit Monaten in Berlin verboten, auch wenn die Rechtsgrundlage dafür mehr als wackelig ist. Dass unser:e Genoss:in deswegen zwischenzeitlich in Gewahrsam genommen wurde, ist nichts als Schikane.
In Berlin werden Studierende verfolgt, weil sie in ihren eigenen Hörsälen protestieren. Andere werden verhaftet, weil sie Lieder von Macklemore spielen. Die Repression gegen die studentische Palästinasolidarität nimmt immer absurdere Züge an. Darauf spielt auch Verteidiger Gorski im Gerichtssaal an, als er hinterfragt, warum das FU-Präsidium an den Strafanzeigen gegen dutzende Studierende wegen einer „maximal kurzen” Besetzung festhält und warum die Staatsanwaltschaft diese so konsequent verfolgt. Das sei aus dem Sachverhalt nicht zu erklären, die Motivation sei politischer Natur. Die Besetzung habe “nicht im luftleeren Raum” stattgefunden, so Gorski. Jeder Tag Genozid fordere Menschenleben.
Die Universität selbst ist eine Institution politischer Meinungsbildung und ein Ort politischen Protests. Die Entscheidung, am Tag der Besetzung binnen kürzester Zeit die polizeiliche Räumung zu beantragen, war eine politische. Denn ausschlaggebend war nicht der Aufenthalt von Studierenden in den Hallen ihrer eigenen Uni während ihrer Öffnungszeiten, sondern der Grund für ihren Aufenthalt, den das Präsidium nicht akzeptieren wollte. Das Stellen der Strafanzeigen ist eine gleichermaßen politische Entscheidung.
Doch auch für die Richterin, die Ari letztlich schuldig sprach, ist das Urteil „nicht politisch”. Obwohl sie die Situation in Gaza „schwierig” finde, seien ihr in puncto Hausfriedensbruch die Hände gebunden. Und doch fällt sie eine politische Entscheidung: Das Mittel der Demonstration, das Ari gewählt hat, sei für sie nicht gerechtfertigt, da es keine Erfolgsaussichten in der Sache selbst habe. Die Logik ist also: Weil man die Bundesregierung eh nicht dazu bewegen könne, ihren völkerrechtswidrigen Kurs zu ändern, ist auch der Protest dagegen juristisch abzulehnen – ein richterlicher Freifahrtschein für eine autoritäre Regierung?
Von der Aktion bis zum Schuldspruch, der ganze Vorgang ist politisch.
Gleichzeitig steigt aber der Unmut der Studierenden gegenüber den Machenschaften des Uni-Präsidiums weiter. Das zeigte sich zuletzt am Dienstag bei der Studentischen Vollversammlung gegen Rechts an der FU, bei der eine große Mehrheit der über 1500 Anwesenden das Fallenlassen aller Anzeigen seitens der Uni forderte.
Es ist allerhöchste Zeit, dass das Präsidium dieser Forderung nachkommt. Dazu wird es aber nicht reichen, sie bloß darum zu bitten. Die Studierendenbewegung gegen Rechts, die sich an unseren Unis formiert, muss diese Forderungen in allen Aktionen und Kämpfen aufstellen. Dass tagtäglich Polizei auf unserem Campus ist und unsere Kommiliton:innen wegen legitimem Protest vor Gericht stehen, ist auch ein Teil des Rechtsrucks. Es braucht außerdem die Solidarität der Uni-Beschäftigten — wissenschaftlich und nicht-wissenschaftlich — um wirklich Druck auf das Präsidium auszuüben. Wenn sie ihre Arbeit niederlegen, können sie zusammen mit den Studierenden die ganze Universität lahmlegen, bis unsere Forderungen erfüllt sind.
Schlussendlich zeigt die Repression auch: Die Universität ist eine undemokratische Institution, die aktiv gegen die Interessen ihrer Mitglieder kämpft. Die Präsidien folgen den Weisungen des Berliner Senats und der Bundesministerien und lassen seit Monaten immer wieder Polizist:innen auf ihre Studierenden los. Das muss sich ändern und dafür brauchen wir kein Präsidium. So plädierte auch Ari in einem Schlusswort für eine von den Studierenden und Beschäftigten kontrollierte Uni. Ein für allemal ist die Repression erst vorbei, wenn die Universitäten in den Händen der Studierenden und der Beschäftigten sind. Weg mit den Präsidien! Für eine freie Universität unter unserer Kontrolle!