Rezession: Zutat für neue Ampel-Streits
Die deutsche Wirtschaft schrumpft im zweiten Quartal in Folge. Während Olaf Scholz die Aussichten als „sehr gut“ bezeichnet, ruft Christian Linder zu einer wirtschaftspolitischen „Zeitenwende“ auf.
In den ersten drei Monaten des Jahres ging das Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent zurück, nachdem es bereits im letzten Quartal 2022 um 0,5 Prozent geschrumpft war. Damit befindet sich die deutsche Wirtschaft erstmals seit den anfänglichen Lockdowns der Corona-Krise wieder in einer sogenannten technischen Rezession. Den Hauptgrund hierfür sehen Ökonom:innen in der Zurückhaltung beim Konsum, der infolge der gestiegenen Preise durch den Ukraine-Krieg, besonders bei Energie und Nahrungsmitteln, um 1,2 Prozent nachließ. Die Preise für Energie haben sich zwar wieder eingefangen, liegen aber immer noch etwa doppelt so hoch wie vor Kriegsbeginn.
Die Menschen sparten nicht nur bei größeren Anschaffungen, sondern auch bei Alltäglichem wie Lebensmitteln oder Kleidung. Im letzten Jahr sanken die realen Löhne im Schnitt um 4 Prozent. Die großen Tarifrunden für mehrere Millionen Beschäftigte brachten Vereinbarungen über prozentuale Lohnerhöhungen erst für Mai 2023 (Metallindustrie) und Februar 2024 (Öffentlicher Dienst), davor nur Einmalzahlungen. Sie bleiben jedoch unter der nach wie vor hohen Inflationsrate von 7,2 Prozent. Zu einem Rückgang des Konsums trugen auch der Wegfall von staatlichen Aufträgen im Zuge von Corona-Maßnahmen und die reduzierten Kaufprämien von E-Autos bei.
Bau- und Exportwirtschaft in der Krise
Um der Inflation entgegenzuwirken, haben Notenbanken weltweit ihre Leitzinsen erhöht. In der Eurozone liegt er aktuell bei 3,75 Prozent. Dies führt dazu, dass die Aufnahme von Krediten teurer ist, was sowohl den individuellen Konsum, als auch unternehmerische Investitionen belastet. Die Folge ist eine gewisse Marktbereinigung zu Gunsten größerer Player, während kleinere Unternehmen pleite gehen, die sich bisher durch günstige Kredite und Fördergelder über Wasser halten konnten. So gab es im Januar bereits 20 Prozent mehr Firmenpleiten als im Vorjahresmonat, im Februar und März stieg die Zahl der Insolvenzen weiter an. Wir haben es jedoch nicht mit massenhaften Pleiten oder einem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu tun.
Besonders schwer trifft die Situation das Baugewerbe, wo allein im Januar 246 Unternehmen ihre Zahlungsunfähigkeit bekannt gaben. Aktuell ist die Branche noch damit beschäftigt, bestehende Aufträge abzuarbeiten, doch im Februar verzeichnete sie einen Rückgang an Aufträgen im Wohnungsbau von 37 Prozent. Infolge der gestiegenen Preise für Grundstoffe sowie der Zinserhöhungen seien Neubauten kaum noch erschwinglich. Branchenvertreter:innen warnen vor der „Gefahr eines bauwirtschaftlichen, systemischen Produktivitätskollapses“. Schon jetzt findet ein erheblicher Personalabbau statt.
Der Exportwirtschaft geht es noch etwas besser, sie hat die Schwäche des Konsums aufgefangen mit einem preisbereinigten Wachstum von 1,8 Prozent. Doch gerade das Zugpferd der deutschen Wirtschaft, die Autoindustrie, blickt in eine unklare Zukunft. Vorerst konnte sie davon profitieren, dass sich die Situation mit unterbrochenen Lieferketten, mit Pandemie und Krieg sowie einem Mangel von Halbleitern etwas entspannt hat. Doch besonders auf dem chinesischen Markt stehen die deutschen Hersteller unter Druck. BMW und Mercedes verkaufen ein Drittel ihrer Neuwagen in der Volksrepublik, bei VW sind es sogar 40 Prozent. Zunehmend werden sie aber von chinesischen E-Auto-Marken zurückgedrängt. Der Umsatz von VW brach in China im ersten Quartal um 21,8 Prozent ein.
Die Industrie konnte die gestiegenen Preise an Material und Energie zwar teils auf ihre Produkte umlegen und damit Gewinne erzielen. Doch ihre schwierige Lage zeigt sich vor allem in nicht genutzten Kapazitäten: Gegenüber dem Niveau vor Corona (2019) ging die Produktion in der Autoindustrie um 14 Prozent, der chemischen Industrie um 17,5 Prozent und dem Maschinenbau um 4 Prozent zurück. Besonders die Chemieindustrie verlagert derzeit einen Großteil ihrer Investitionen in die USA, da sie dort langfristig mit geringeren Energiepreisen rechnet. Auch die großen Autokonzerne und Zulieferer investieren in den USA, wo sie von den Subventionen des 430-Milliarden US-Dollar schweren „Inflation Reduction Act“ profitieren wollen.
Streit in der Ampel
Für Bundeskanzler Olaf Scholz scheint die Rezession kein Problem darzustellen, ein Kommentator im Handelsblatt unterstellte dem Kanzler gar, Wirtschaftswunderjahre zu versprechen – seine Einschätzung sei „meilenweit“ an der Realität vorbei. Im Hinblick auf den Ausbau von Ökostrom, Milliardeninvestitionen in neue Chip- und Batteriefabriken und die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland sei die Bundesregierung laut Scholz dabei, die Kräfte der „Wirtschaft zu entfesseln“. Tatsächlich verzeichnen Digitalwirtschaft und Elektroindustrie teils zweistellige Wachstumsraten. Doch die Modernisierung der Energiewirtschaft und Schwerindustrie gehen langsam und nicht ohne Rückschläge voran, wie neu angekündigte Milliarden-Einsparungen bei VW zeigen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck hielt sich anlässlich der Nachricht der Rezession zunächst etwas bedeckter, zumindest sei ein „herber Einbruch verhindert“ worden. Man werde sich aber aus der Rezession „herauskämpfen“. Deutlich mehr Alarm schlug da Finanzminister Christian Lindner, der eine „Zeitenwende“ in der Wirtschafts- und Finanzpolitik einforderte. Schon im vergangenen Jahr hatte er diese Forderung aufgestellt, der er nun aber mit dem Argument der Rezession mehr Nachdruck verleihen dürfte. In einem Papier seines Ministeriums aus dem Dezember wurde als zentrale Priorität die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands genannt. Die Steuern für Unternehmen seien im internationalen Vergleich mit am höchsten und müssten daher reduziert werden – was den Koalitionspartnern gar nicht gefallen dürfte.
Die jüngsten Streitigkeiten in der Ampel über die Verteilung der Gelder zeigen ihre Uneinigkeit über die Rezepte der Krisenbewältigung. Zu sehen ist dies auch am Konflikt zwischen Grünen und FDP um das Heizungsgesetz. Dieses sieht vor, dass neu eingebaute Heizungen zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssen, wofür das grüne Wirtschaftsministerium die Installation von 500.000 Wärmepumpen vorsieht. Prinzipiell hat Habeck damit die Elektroindustrie hinter sich. Die FDP fordert aber Auskünfte über die Finanzierung und mögliche alternative Technologien und blockiert das Gesetzesvorhaben. Es mag überraschen, welches Konfliktpotenzial ein solches Thema entfacht hat – tatsächlich entzündet sich hier an einem eher zufälligen Beispiel die Frage, wie der Strukturwandel hin zur wirtschaftlichen und energetischen Modernisierung Deutschlands ablaufen soll. Die Bourgeoisie sieht in dieser Erneuerung den entscheidenden Ausweg aus der strukturellen Krise ihres Akkumulationsmodells. Die 100 Milliarden Aufrüstung der Bundeswehr dient auch dazu, sich in Zukunft militärisch Zugang zu den notwendigen Rohstoffen und Absatzmärkten verschaffen zu können.
Die Koalitionspartner streiten sich über Tempo und Schwerpunktsetzung des wirtschaftlichen Umbruchs, was sich in den kommenden Jahren vertiefen kann. Schon jetzt wirft die Opposition von CDU und AfD dem Bundeskanzler anhand der Heizungsfrage vor, seine Regierung nicht im Griff zu haben. Während sich die Grünen mehr staatliche Investitionen in erneuerbare Industrien wünschen und dafür auch bereit wären, Schulden aufzunehmen, verweist die FDP strikt auf die Schuldenbremse. Ihrer Meinung nach müssten die Wettbewerbsbedingungen soweit verbessert werden, dass Privatunternehmen mehr Anreize für Investitionen haben. Die SPD will ihrerseits eine „aktive“ Einmischung des Staates in wirtschaftspolitischen Fragen, die zwar Investitionen zur Modernisierung beinhalten, aber keine „wirtschaftliche Abwicklung“ der alten Industrien, wie sie es etwa spöttisch dem Ministerium von Habeck vorwerfen. Auch außenpolitisch vertritt die SPD einen Kurs, der einen stärkeren wirtschaftlichen Ausgleich mit China sucht, während die Grünen die Notwendigkeit der Unabhängigkeit von China und eine Hinwendung zu den USA mehr betonen.
Die Rezession wird diese Konflikte innerhalb der Ampel-Regierung eher noch weiter befeuern. In einer Analyse sprach der Kreditversicherer Allianz Trade von der „wohl größten Herausforderung der Nachkriegszeit“ für die deutsche Wirtschaft. Die letzten Monate hätten einen „Dreifach-Schock“ aus höheren Energie- und Materialkosten, steigenden Löhnen und Zinssätzen gebracht. Während die Bundesregierung mit einem leichten Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent für dieses Jahr rechnet, sind die meisten anderen Beobachter pessimistischer. Sowohl die Analysten der Allianz als auch der IWF erwarten eine Stagnation bis Ende 2024. Bisher haben wir es mit einer „milden“ Rezession zu tun. Die Situation ist aber fragil und kann sich durch „externe“ Schocks, wie eine Änderung der Kriegs-Situation, Handelskonflikte, Umweltkatastrophen, oder das Platzen von Finanz- und Schuldenblasen sprunghaft verschärfen.