Revolutionärer Wind aus dem Arabischen Frühling

08.03.2011, Lesezeit 10 Min.
1

Es sollte uns nicht wundern, dass die Frauen in den nordafrikanischen Ländern und der arabischen Halbinsel unter den Demonstrierenden eine wichtige Rolle gespielt haben. Gemeinsam mit Millionen anderen haben sie die Straßen eingenommen, um gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise und die diktatorischen und pro-imperialistischen Regime zu kämpfen. So haben es in der Geschichte diese Frauen „aus Tausendundeiner Nacht“ immer wieder getan, denn sie haben auch tausendundeinen Grund gehabt, sich zu wehren; auf den Straßen, in den Fabriken, in ihren Familien… Die Geschichte der arabischen, muslimischen und afrikanischen Frauen hat gezeigt, dass sie das beschränkte Bild der „Harems-Frauen“ überschritten haben, indem sie den Charakter ihrer Unterdrückung und die Notwendigkeit von Strategien zur Sprengung ihrer doppelten Ketten erkannt haben. So haben ihre Befreiungsstrategien nicht nur die geschlechterspezifische Unterdrückung umfasst, sondern auch die soziale und politische Marginalisierung, die Ausbeutung ihrer Arbeit und das Erbe des Kolonialismus.

Heute staunt die imperialistisch-westliche Welt über diese Frauen, womit ihre lange Geschichte von politischer Arbeit ignoriert wird und auch verkannt wird, dass ihr Widerstand schon früher oft mit den Kämpfen um nationale Unabhängigkeit und Antiimperialismus verbunden war, vor allem während und nach den Entkolonialisierungsprozessen.

Hinter dem Diskurs der Verteidigung der Frauenrechte wird verschleiert, dass in der Realität in diesen Ländern die Unterdrückung durch die einheimischen Mächtigen historisch immer mit der durch die kolonialen und imperialistischen Mächte Hand in Hand gegangen ist. Wenn die Unterdrückung der Frauen als Frau und Arbeiterin doppelt wirkt, so ist in kolonialen und halbkolonialen Ländern die Klassenunterdrückung nochmals verstärkt. Dieser Frauenrechts-Diskurs verwirklicht sich heutzutage in dem neuen Ressort der UNO, der „UN-Woman“, dessen Vorsitzende und Ex-Präsidentin Chiles Michelle Bachelet erklärte: „Die Ungleichheit zwischen Mann und Frau und die Diskriminierung verhindern Fortschritt, Entwicklung, Frieden, Sicherheit und die Einhaltung von Menschenrechten“ (El País, 25.02.2011). Nichts ist zynischer, wenn doch Tausende von Frauen die Gräueltaten brandmarken, die Blauhelme im Namen „des Friedens und der humanitären Hilfe“ in Lateinamerika, Afrika, dem Nahen Osten oder den Balkanstaaten begangen haben.

Doch jetzt gehen diese Frauen auf die Straßen und die imperialistischen Mächte staunen, wie die Massenproteste sich ausweiten und ihre alten Verbündeten schlagen (wie Ben Ali für Frankreich oder Mubarak für die USA). Der Schutz von „Menschenrechten“ ist der gleiche heuchlerische Diskurs des Imperialismus wie die „Verteidigung der Rechte der Frau“, denn diese wurden mehr als dreißig Jahre lang mit Füßen getreten, von brutalen Diktaturen, gestützt von den USA, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien und dem spanischen Staat.

Die Frauen auf den Straßen

In den letzten Wochen konnten wir Bilder von Hunderten Frauen, die auf dem Tahrir-Platz in Kairo zelteten, sehen. Wir konnten sehen, wie sie sich gegen Angriffe der Polizei wehrten, wie sie in Libyen oder Marokko Demonstrationen mitorganisierten, wie sie sich mobilisierten und den Protest mit anführten. Laut verschiedenen feministischen Gruppen in Ägypten lag „der Frauenanteil an Demonstration normalerweise bei 10%, diesmal waren es jedoch 40 bis 50% Frauen in den Demonstrationen vor Mubaraks Abdanken“ [1]. In einem Land, wo es 2010 mehr als 300 Streiks gab, sind es gerade auch die Frauen, die es satt haben die Last der meisten sozialen Probleme, die Familien betreffen, auf ihrem Rücken zu tragen, wie beispielsweise die Preissteigerungen der Grundnahrungsmittel: „sie müssen einen Spagat zwischen dem Haushalt und dem Arbeitsmarkt hinlegen. Wenn sie dies nebenbei gesagt auch unter schlechteren ökonomischen Bedingungen tun, so unterscheiden sie sich hierbei jedoch nicht von ihren Schwestern des Westens“. Ein weiteres Thema ist die häusliche Gewalt und sexuelle Belästigung unter der die Frauen auf der ganzen Welt leiden und die in diesen Ländern besonders alarmierende Ausmaße annehmen: „Im Jemen wurden bis zu 90% der Frauen schon einmal belästigt. In Ägypten sind es nach Studien des ECWR (Egyptian Center for Woman´s Rights) 83% der Ägypterinnen und 98% der Migrantinnen und alle 30 Minuten gibt es laut des nationalen Kriminalamts einen Vorfall von sexueller Belästigung oder Vergewaltigung von also jährlich 20.000 Opfern. (…) Daher ist es leicht zu verstehen, warum sich die Straßen Ägyptens und Tunesiens mit revolutionären Frauen füllten.“ [2] In Ägypten riefen die Frauen aktiv mit Transparenten und Megafonen zum Protesttag am 25 Januar auf. Reem Jalifa, Kolumnistin von der Alwast-Zeitung im Bahrein berichtete: „Die Mütter vieler, die in den ersten Tagen des Protestes gestorben sind, weigerten sich Beileidsbekundungen anzunehmen oder Zeremonien zu feiern bis die Revolution ihr Hauptziel erreicht habe: Dem Mubarak-Regime ein Ende zu setzten. [3] Auch in der Hauptstadt des Jemen organisierten Frauen am 24. Februar eine Kundgebung vor der Sanaa-Universität um den Rücktritt des Präsidenten Ali Abdullah Saleh zu fordern.

Der Kampf in den Fabriken

Der Kampf der Arbeiterinnen zeigt, wie weit die Entwicklungen reichen: „Die Hoffnung auf einen Wandel erreicht die lohnabhängigen Frauen in den marokkanischen Fabriken. Die arbeitslosen Männer haben Zeit um zu protestieren, doch die Frauen haben weder Zeit noch eine Gewerkschaft. Die Textilfabriken stehen unter Druck, um schnell und zu geringen Kosten zu liefern. Die Arbeiterinnen teilen mit den Arbeitslosen den Verdruss wegen der Korruption.“ (Spanische Tageszeitung La Vanguardia, 08.02.2011) In derselben Zeitung wird berichtet, wie Zehntausende Frauen die Ausbeutung in den Fabriken zu spüren bekommen und wie sie beispielsweise in Marokko als erstes Bindeglied der Bekleidungsindustrie von Modemarken wie Zara, Mango oder Corte Inglés mit Niedriglöhnen und harten Arbeitsbedingungen in Tanger, Casablanca oder Rabat zu kämpfen haben. Frauen wie Sanaa Ibrahim, ursprünglich aus einem Dorf im Norden Marokkos, die als Büglerin in einer Textilfabrik der Peripherie von Tanger arbeitet, berichtet: „Ich verdiene 10,30 Dirhams die Stunde [ca. 0,90 Euro], zehn Stunden am Tag, sechs Tage die Woche“. Von den 30.000 Beschäftigten in der Textilindustrie in Tanger sind 70% Frauen und arbeiten mit miserablen Löhnen und höllischen Schichten: „Ich muss 60 Kinderkleidungstücke in der Stunde bügeln, eins pro Minute“, erzählt Fatima, die 24 Jahre alt ist und in einem Dorf 40 km entfernt von Rabat lebt. Sie lebt in einer Wohnung, die sie mit anderen Arbeiterinnen teilt. Sie zahlen 1.400 Dirhams Miete im Monat [ca.120 Euro], wobei auch Fatima 10,30 Dirhams pro Stunde, also etwa 200 Euro im Monat verdient. Eine andere 26 jährige Frau, die sich auch Fatima nennen lässt, und als Näherin arbeitet verdient 11 Dirhams.“ In anderen Industriezweigen des Maghrebs gibt es weiterhin kaum Frauen. Nur 27% Frauen haben sich in Marokko in die erwerbstätige Bevölkerung eingegliedert, in Tunesien sind es 25% und in Algerien nur 14%. Doch diese Frauen von Tanger verbinden sich mit den jungen arbeitslosen Männern im Verdruss gegenüber ihren Regierungen, die durch die EU und den IWF beraten werden. Der Dominoeffekt dieser Entwicklungen hat tiefe Spuren in der gesamten Gesellschaft hinterlassen: „Was in Tunesien passiert ist, hat uns allen sehr viel Mut gemacht – erzählt eine der Arbeiterinnen. Wir spüren einen Wandel in den Fabriken.“ Denn die Arbeiterinnen und Arbeiter haben in den revolutionären Prozessen ihre Macht gezeigt (wenn dies auch von den meisten Medien ausgeblendet wird), wie zum Beispiel in den Streiks gegen Mubarak in Ägypten, wo am 10. Februar 25.000 Textilarbeiter der größten Textilfabrik Ägyptens, der Egyptian Spinning & Weaving Company in El-Mahalla, streikten.

Diese Streiks gehen bis zu den Streikwellen vom Dezember 2006 zurück, als mehr als 3.000 Arbeiterinnen der Frauenbekleidungsbranche die Arbeit niederlegten und im Industriegebiet des Nildeltas von El-Mahalla demonstrierten. Sie forderten damals extra Wertmarken für zwei Monate, die die Regierung damals versprochen hatte. Wegen ihrer Stärke und Entscheidungskraft wurden sie zum Anstoß der kommenden Streikwelle und forderten ihre männlichen Kollegen mit einem in Fußballspielen bekannt gewordenen Lied zur Aktion heraus: „Wo sind die Männer? Wir Frauen sind schon hier!“. Sie ließen ihre Werkzeuge ruhen und die gesamte Textilindustrie trat in den Streik und besetzte trotz den Einschüchterungen durch die Polizei drei Tage lang die Fabriken. Dieser Streik endete mit einem Erfolg für die Arbeiterinnen, was dazu führte, dass sich der Streik für dieselben Lohnerhöhungen wie in Ghazl El-Mahalla auf die gesamte Textilproduktion im Nildelta ausdehnte. Die Frauen stellten die Avantgarde in diesen Protesten, die sich später auch auf Lokführer ausweiteten. Diese streikten, schliefen auf den Gleisen, blockierten alle Züge einen Tag lang und konnten all ihre Forderungen durchsetzen, genauso wie auch die Arbeiter der Zementherstellung (Hossam El-Hamalawy, 2008).

Frauen aller Länder vereinigt Euch gegen die imperialistische Heuchelei

Viele feministische Bewegungen der imperialistischen Länder verfallen Vorurteilen gegenüber „der orientalischen Frau“, stilisieren die arabischen Frauen zum Opfer, sie exotisieren sie und vermitteln so das selbst erschaffene Bild ihrer eigenen europäischen Überlegenheit, die die Widerstandskraft und die Kämpfe der arabischen Frauen verkennt. Dies kritisiert die anerkannte marokkanische Feministin Fatima Mernissi: „Wenn ich mich mit einer westlichen Feministin treffe, die davon ausgeht, ich müsse ihr für meine eigene Entwicklung innerhalb des Feminismus fast dankbar sein, sorge ich mich nicht so sehr um die Zukunft der internationalen Solidarität unter Frauen, sondern vielmehr um die Fähigkeit des westlichen Feminismus, soziale Bewegungen zu schaffen, die einen strukturellen Wandel in den Zentren der Welt ihrer eigenen Industrieimperien bewirken. Eine Frau, die sich als Feministin begreift, sollte sich, anstatt sich mit ihrer Überlegenheit gegenüber Frauen anderer Kulturen und dem Bewusstsein über deren Situation zu brüsten, lieber fragen ob sie dieses Bewusstsein mit Frauen anderer sozialer Klassen ihrer eigenen Kultur teilen kann.“[4]

Die arabischen, muslimischen und afrikanischen Frauen zeigen, dass die zentralen Fragen sich nicht um den Hidschab, also den Schleier, Kopftücher oder Bauchtanz drehen. Ihre Probleme sind dieselben, die all ihre Schwestern der Arbeiterklasse betreffen: harte Arbeitsbedingungen, unzureichend soziale und politische Rechte, Gewalt und sexuelle Belästigung. Von Lateinamerika, wie den Frauen von Oaxaca in Mexiko, bis zu den arabischen, muslimischen und afrikanischen Frauen, bereiten sie sich vor, sich von ihren doppelten Ketten zu befreien. Wie diese Frauen im Laufe ihrer Geschichte gezeigt haben, müssen sie in dem Kampf für ihre Rechte auch den Imperialismus bekämpfen. Neben dem Durchbrechen der unsichtbaren Grenzen der Ausbeutung durch lokale Kapitalisten ist es auch notwendig, sich gegen die Imperialisten zu wehren, welche weit davon entfernt sind, Garanten demokratischer Regime und der Frauenrechte zu sein, sondern vielmehr die aktuellen Regime stützen oder versuchen, die aktuellen revolutionären Prozesse in die Schranken der westlichen Demokratien umzuleiten. Oder auch direkt militärische Eingriffe einzufordern, wie es im Fall Libyens die NATO und die EU aktuell andenken.

Dieser 8.März und Internationale Frauentag sollte ein Kampftag im Sinne des revolutionären Windes, der aus dem arabischen Frühling her weht, sein, in dem die Frauen ihre Stimme erheben.

Fußnoten

[1] http://www.diagonalperiodico.net
[2] http://blogs.elpais.com/mujeres
[3] http://detintavioleta.blogspot.com
[4] http://www.pensamientocritico.org

Mehr zum Thema