Revolutionärer Wahlkampf
// Der Wahlkampf der Front der Linken und ArbeiterInnen (FIT) in Argentinien //
In der radikalen Linken gibt es immer wieder scharfe Diskussionen über den Umgang mit bürgerlichen Wahlen: Sollte man überhaupt teilnehmen? In welcher Situation? Welche Taktik ist dafür angebracht? In den letzten Jahren sind überall in Europa Parteien, Parteienbündnisse oder Wahlfronten entstanden, die ein mehr oder weniger revolutionäres Selbstverständnis mit einer Teilnahme an Wahlen zu bürgerlichen Parlamenten verbinden wollten, wie beispielsweise das Bündnis RESPECT in Großbritannien oder die Partei NPA in Frankreich (ganz zu schweigen von offen reformistischen Projekten wie Rifondazione Comunista in Italien oder der Linkspartei hierzulande). Gleichzeitig gibt es aus den Reihen eines prinzipienfesten Marxismus, zu dem wir uns hinzuzählen, scharfe Kritik an dieser Art von Projekten, die wesentliche Punkte eines revolutionären Programms über Bord geworfen haben, um zu einem größeren WählerInnenpublikum Zugang zu bekommen, die also letztlich eine Absage an eine revolutionäre Strategie zugunsten elektoralistischer Taktiken tätigen[1]. Im deutschen Kontext gibt es solche Bündnisse zwar nicht, aber kleine Parteien der radikalen Linken wie die DKP oder die PSG stellen sich wie selbstverständlich bei Wahlen auf, während die autonome Szene Wahlboykott propagiert.
Wir wollen einen Beitrag zur Debatte um das Ob und Wie einer Beteiligung von RevolutionärInnen an Wahlen leisten und beispielhaft aufzeigen, wie eine revolutionäre Wahlkampagne aussehen kann und was man von einem marxistischen Standpunkt aus mit gewonnen Mandaten in bürgerlichen Parlamenten anfangen kann. In diesem Sinne wollen wir das erfolgreiche Beispiel der Arbeit unserer argentinischen Schwesterorganisation in der Trotzkistischen Fraktion, der Partei Sozialistischer ArbeiterInnen (PTS), vorstellen, die zusammen mit anderen Kräften des revolutionären Marxismus in Argentinien eine Wahlfront gegründet hat, um bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Oktober 2011 eine revolutionäre antikapitalistische Option zu präsentieren, nämlich die Front der Linken und der ArbeiterInnen (FIT).
Warum nehmen RevolutionärInnen an Wahlen teil?
Der Zweite Weltkongress der Kommunistischen Internationale, der 1920 stattfand, legte die Grundlage für eine marxistische Einschätzung des Parlamentarismus – im Gegensatz zur parlamentarischen Arbeit der sozialdemokratischen Parteien, die durch die Trennung der parlamentarischen Arbeit vom Kampf der Massen im Wesentlichen einer Strategie von parlamentarischen Reformen zur Transformation des Kapitalismus in den Sozialismus folgten, und dadurch zu Feinden der proletarischen Revolution degenerierten.
Der Kongress unterstrich nachhaltig, dass das bürgerliche Parlament, das in der ersten Periode der kapitalistischen Entwicklung eine gewisse progressive Rolle spielte, in der Epoche des Imperialismus alle fortschrittlichen Merkmale verloren hat, sich in ein Instrument der Täuschung und Gewalt verwandelt hat und daher keine Antwort auf die Bedürfnisse der Massen geben kann. In diesem Sinne ist es die Aufgabe von MarxistInnen weltweit, den Parlamentarismus zu zerschlagen. Dies kann jedoch nur durch den Kampf um die Macht durch das Proletariat geschehen, „der charakterisiert wird durch die Intensivierung von kleinen und Teilkämpfen zum allgemeinen Kampf für den Sturz der kapitalistischen Ordnung überhaupt. […] In diesem Massenkampf, der sich zum Bürgerkrieg entwickelt, muss die führende Partei des Proletariats in der Regel alle legalen Stellungen festigen, indem sie sie zu Hilfsstützpunkten ihrer revolutionären Tätigkeit macht und diese Stellungen dem Plan des Hauptfeldzuges, der Kampagne des Massenkampfes, unterordnet.“[1] Unter bestimmten Umständen kann das bürgerliche Parlament von den RevolutionärInnen als solcher „Hilfsstützpunkt“ verwendet werden, um von dort aus „den Massen zu helfen, die Staatsmaschine und das Parlament selbst durch die Aktion zu sprengen.“ Die zentrale Aufgabe in diesem Sinne ist die revolutionäre Agitation aus dem Parlament zur Demaskierung der Bourgeoisie vor den ArbeiterInnen, die noch Vertrauen in die bürgerlichen Institutionen haben.
Allerdings machte der Kongress immer wieder deutlich, dass die parlamentarische Arbeit immer „ganz und gar den Zielen und Aufgaben des Massenkampfes außerhalb des Parlaments untergeordnet sein“ muss. „Da der Schwerpunkt im außerhalb des Parlaments geführten Kampf um die Staatsmacht liegt, so versteht es sich von selbst, daß die Frage der proletarischen Diktatur und des Massenkampfes dafür mit der besonderen Frage der Ausnutzung des Parlamentarismus nicht gleichzustellen ist.“ Während KommunistInnen das Parlament für revolutionäre Agitation nutzen können, bedeutet dies nicht, dass die parlamentarische Arbeit immer und unter allen Umständen nützlich ist. Wie alle anderen Taktiken, die RevolutionärInnen verwenden, um die Richtigkeit ihres Programms aufzuzeigen, ist auch der Parlamentarismus nur eine Taktik und muss als solche den konkreten Umständen des Klassenkampfes angepasst sein:
„Andererseits folgt aus der prinzipiellen Anerkennung der parlamentarischen Tätigkeit durchaus nicht die absolute Anerkennung der Notwendigkeit konkreter Wahlen und konkreter Teilnahme an den Parlamentssitzungen unter allen Umständen. Das ist von einer ganzen Reihe spezifischer Bedingungen abhängig. Bei einer bestimmten Kombination dieser Bedingungen kann der Austritt aus dem Parlament notwendig sein. […] Je nach den Umständen kann Boykott der Wahlen und unmittelbare gewaltsame Beseitigung, wie des ganzen bürgerlichen Staatsapparats, so auch der bürgerlichen Parlamentsclique, oder aber Teilnahme an Wahlen, während das Parlament selbst boykottiert wird, usw. notwendig sein.“
Als eine Taktik muss die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen und Parlamenten immer in Hinblick darauf gesehen werden, wie sie der Strategie der Eroberung der Macht durch einen revolutionären Massenaufstand dienen kann. In diesem Sinne sind Wahlkämpfe nicht auf die maximale Anzahl von Stimmen ausgerichtet, sondern auf die revolutionäre Mobilisierung der Massen mit Streiks, Demonstrationen und im allgemeinen mit Methoden, die der politischen Aktivierung der Massen dienen. Außerdem verlangte der Kongress die Kontrolle der Arbeit der Parlamentsfraktion durch das Zentralkomitee der Partei, um die Korruption der gewählten GenossInnen zu verhindern. Diese sind somit an die Beschlüsse der Partei gebunden und müssen ihre parlamentarische Arbeit der allgemeineren Aufgabe des Aufbaus der Partei und der Mobilisierung der Massen unterordnen. Oder in anderen Worten: der revolutionären Arbeit außerhalb des Parlaments.
Die grundlegenden Schlussfolgerungen, die durch den Zweiten Kongress der Komintern gezogen wurden, sind heute noch gültig, auch wenn sie mehr als 90 Jahre alt sind. Denn wir leben immer noch in der Epoche des Imperialismus und der Dekadenz des Kapitalismus. Während in diesem Sinn die Frage des Parlamentarismus – wie jede andere taktische und programmatische Frage – den heutigen Umständen angepasst werden muss, können insbesondere die Schlussfolgerungen, die die Nutzung von Wahlkämpfen zur Politisierung der Massen betreffen, auf die heutige Situation angewendet werden. Das ist die tatsächliche Grundlage der Beteiligung der PTS an der Front der Linken und ArbeiterInnen.
Fußnoten
[1] Leitsätze über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus. In: Protokoll des II. Kongresses der Kommunistischen Internationale. S.471ff.
Die Bildung der FIT
Die Front der Linken und ArbeiterInnen besteht aus der PTS, der ArbeiterInnenpartei (PO), der Sozialistischen Linken (IS) und einer Reihe von kleineren marxistischen Gruppen, wobei der politische Haupteinfluss auf die FIT bei der PO und der PTS liegt. Es war für viele überraschend, dass die PO, die es in der Vergangenheit stets abgelehnt hat, irgendeine Front mit der PTS auf nationaler Ebene zu bilden, zustimmte, eine gemeinsame Wahlfront mit der PTS zu bilden. Sie ist die größte Organisation der trotzkistischen Linken und hat immer eine Position der Überlegenheit über jede andere Kraft der Linken, und vor allem gegenüber der PTS, eingenommen. Während die PTS bei früheren Wahlen Fronten mit anderen trotzkistischen Organisationen gebildet hatte, stellte die PO immer ihre eigenen KandidatInnen auf. Nun hat sich dies geändert.
Dies liegt im Wesentlichen an der Wahlrechtsreform, die 2010 vom argentinischen Parlament verabschiedet wurde, welche obligatorische Vorwahlen einführt. Dies bedeutet, dass eine Partei (oder ein Wahlbündnis), um KandidatInnen bei den Präsidentschaftswahlen aufstellen zu können, Testwahlen abhalten muss, in denen mindestens 1,5% der Bevölkerung für ihre KandidatInnen stimmen (konkret werden rund 400.000 Stimmen benötigt). Während die revolutionäre Linke Argentiniens in der Vergangenheit insgesamt bis zu 4% der Stimmen bekam, konnten weder die PO noch die PTS (oder die Wahl-Fronten, die die PTS vorher gebildet hat) sicher sein, diese Hürde allein zu überwinden. Dieses Gesetz ist im Grunde ein Verbotsversuch der Linken und die FIT wurde als Verteidigungsmaßnahme dagegen gebildet.
Die FIT ist auch defensiv im Hinblick auf die Ausdehnung des politischen Einflusses der Regierung von Cristina Kirchner nach dem Tod des ehemaligen Präsidenten Néstor Kirchner im letzten Jahr, der eine Welle der Unterstützung für die Regierung ausgelöst hat. Allerdings ist die Regierung seitdem deutlich nach rechts gedriftet, verstärkte ihre Attacken gegen die ArbeiterInnenbewegung und ging mit der Polizei gegen Demonstrationen vor, wie sie es vor ein paar Jahren noch nicht gewagt hat. Die Regierung hat zum Beispiel seit Oktober letzten Jahres über ein Dutzend Tote bei sozialen Protesten zu verantworten. Aus all diesen Gründen wurde eine temporäre „Vereinigung“ der radikalen Linken notwendig, auf der Grundlage eines festen Programms. Die FIT ist also keineswegs ein Projekt zur langfristigen Vereinigung von PO und PTS, sondern aus der konkreten Notwendigkeit einer ArbeiterInneneinheitsfront gegen bürgerliche Repression entstanden.
Das Programm der FIT
Das Programm der FIT[2] ist das Ergebnis eines langen Kampfes mit der PO, die eigentlich kein klares marxistisches Programm für die Front wünschte, nachdem sie schon 14 „Notfallmaßnahmen“ gegen die Krise am Tag der öffentlichen Ankündigung der FIT präsentiert hatte. Diese enthielten weder das Recht auf Abtreibung, welches in Argentinien noch nicht existiert, noch die Verurteilung der Wahlrechtsreform. Sie argumentierte, dass die 14 Punkte ausreichen würden, obwohl sie eindeutig ein „Notprogramm“ waren und nicht die Gesamtheit der komplexen Wirklichkeit des Klassenkampfes heute in Argentinien und weltweit mit einschloss. Am Ende wurde ein Programm geschrieben und beschlossen, das die Struktur eines Übergangsprogramms besitzt, welches also versucht, die konkreten Forderungen der Massen mit dem Ziel der sozialistischen Revolution zu verbinden, und auf die Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse auf Grundlage der Klassenunabhängigkeit ausgerichtet ist.
Das Programm beginnt mit einer kurzen Analyse der Weltlage sowie der anwachsenden Kämpfe gegen die weltweite Krise und analysiert auf dieser Basis die aktuelle Situation in Argentinien, verurteilt die Wahlrechtsreform, denunziert die „halbherzigen Maßnahmen“ gegen die Krise und schlägt eine Kampagne vor „zur Mobilisierung von ArbeiterInnen und AktivistInnen und für einen unabhängigen politischen Pol mit einem klaren Programm, der sich von den kapitalistischen Parteien, auch denen von Mitte-Links, abgrenzt, so dass die ArbeiterInnen ein entscheidender politischer Faktor werden können und die ausgebeuteten Schichten der Nation gegen Kapitalismus und Imperialismus führen können. Der Wahlkampf der FIT versucht, die ArbeiterInnen auf den Kampf für ihre eigene Regierung vorzubereiten.“
Zu den wichtigsten Punkten des Programms zählen die Forderungen für einen höheren Mindestlohn, gegen die Inflation, für die Umverteilung der Arbeitsstunden, gegen Prekarisierung, gegen die Zahlung der Auslandsschulden, für die entschädigungslose Enteignung der Banken, der GroßgrundbesitzerInnen und der Großindustrie unter ArbeiterInnenkontrolle, gegen die Gewerkschaftsbürokratie, und für ein Abgeordnetengehalt in Höhe eines durchschnittlichen ArbeiterInnenlohns sowie für die Möglichkeit der Abberufung von gewählten VertreterInnen. Dazu kommen mehrere Forderungen, die den Internationalismus ausdrücken (Nein zur kapitalistischen Restauration in Kuba und Unterstützung für die arabische Revolution etc.), und die Forderung nach einer Regierung der ArbeiterInnen und Unterdrückten.
Das Einzige, was dem Programm fehlt, ist ein klarer Weg zur sozialistischen Revolution, also eine konkrete Strategie für den Aufbau einer revolutionären Partei. In der Tat wird nicht einmal die Notwendigkeit einer revolutionären Partei erwähnt. Diese Diskrepanz zwischen einem Übergangsprogramm und dem Nichtvorhandensein einer klaren revolutionären Strategie kann nur durch die großen Unterschiede zwischen den Kräften der Front erklärt werden, vor allem zwischen PO und der PTS, was den Parteiaufbau und die Rolle der Selbstorganisierung der Massen betrifft, die auch in der unterschiedlichen Teilnahme beider Kräfte an der Wahlkampagne sehr deutlich zu sehen sind.
Unterschiede zwischen PO und PTS
Der Wahlkampf der FIT fußte auf einer Verbindung von Agitation und Propaganda, also dem Versuch, die Massen mit konkreten, einfachen Forderungen zu erreichen, und dem Versuch, erfahrenere AktivistInnen mit komplexeren, revolutionären Ideen anzusprechen. Aber in der Art, einen solchen Wahlkampf zu führen, wurden zwischen der PO und der PTS strategische Unterschiede deutlich sichtbar. Während für die PO die Kampagne ganz darauf basiert, die 1,5% Hürde zu nehmen (und möglichst viele Stimmen zu gewinnen), versucht die PTS zusätzlich, ihre programmatische und theoretische Arbeit zu vertiefen.
Dabei zeigte die agitatorische Seite der Kampagne auch von Seiten der PTS Elemente von echter Politik für die Massen, indem hunderttausende Flyer verteilt und zehntausende Plakate geklebt wurden, Infostände und Autokorsos durch die Wohngebiete die Aufmerksamkeit der BewohnerInnen auf sich zogen und programmatische Videoclips im öffentlichen Fernsehen ausgestrahlt und mit großen Projektoren während der Hauptverkehrszeiten auf öffentlichen Plätzen und Einkaufsstraßen projiziert wurden[3].
Die PTS beschränkte sich eben im Gegensatz zur PO nicht darauf: Eine der wichtigsten Veranstaltungen der FIT war eine öffentliche Versammlung aller Jugendorganisationen der FIT, um studentische AktivistInnen für die Kampagne zu mobilisieren. Bei dieser Gelegenheit hielt der wichtigste Kandidat und Anführer der PO, Jorge Altamira, eine Rede über die Notwendigkeit, die Massen zu mobilisieren. Nicht mit einem Wort erwähnte er die Notwendigkeit, diese Massen in einer revolutionären Partei zu organisieren (oder auch über die Notwendigkeit, dass die Massen sich selbst organisieren). Der Hauptkandidat und Anführer der PTS, Christian Castillo, hielt eine ganz andere Rede:
„Krisen wie die gegenwärtige bieten große Chancen für die Entwicklung revolutionärer Organisationen, wenn wir konsequent sind in der Charakterisierung, dass die Krise, in der wir leben, immer mehr Türen zu vorrevolutionären Situationen und Kriegen verschiedener Art, also zur Fortsetzung der Politik mit gewaltsamen Mitteln, öffnen kann, gemäß der berühmten Formel von Clausewitz, die die großen marxistischen RevolutionärInnen als ihre eigene übernommen haben. Folglich muss die neue revolutionäre Generation, die hier anwesend ist, sich der Wichtigkeit bewusst sein, dass – abgesehen von der aktuellen Situation – die Reflexion über die Probleme des Aufstandes, einschließlich der militärischen Probleme, heute für jede revolutionäre Politik, die diesen Namen auch verdient, von zentraler Bedeutung ist.“[4]
Castillo sprach auch über die Wiederaneignung einer Strategie des Aufstands der Massen, angeführt durch eine revolutionäre Partei, wie sie die Bolschewiki verwendet hatten und die in Jahrzehnten stalinistischer Degeneration und zentristischer Abweichungen verloren gegangen ist. Mit anderen Worten, statt den Wahlkampf auf rein „demokratische“ Agitation gegen die Reform des Wahlsystems zu stützen, versucht die PTS, wichtige strategische Fragen unter Avantgarde-Sektoren zu verbreiten, um sie politisch und programmatisch auf kommende Aufgaben vorzubereiten.
In abstrakten Begriffen können wir sagen, dass die größten Gefahren für MarxistInnen im Wahlkampf das Abgleiten zu bloßem Parlamentarismus, die Unterordnung der konkreten Fragen des Klassenkampfes unter bedeutungslose Debatten in den bürgerlichen Institutionen und die Unterschätzung strategisch wichtiger Fragen zugunsten eines komfortablen Unterschlupfs im System sind. Oder in anderen Worten: Der Druck von der rechten Seite. Die PTS versuchte in ihrer Kampagne, dieses Problem durch die Fokussierung auf die wichtigen Lehren des revolutionären Parlamentarismus bewusst zu bekämpfen.
Erfolge des Wahlkampfs und die Sicherung einer revolutionären Perspektive
Der erste Auftritt der FIT als Wahlfront waren die Provinzwahlen in Neuquén, der Provinz des emblematischen Keramikwerks Zanón[5], im Juni diesen Jahres. Die wichtigsten Kandidaten für die FIT waren Alejandro López (parteilos) und Raúl Godoy (PTS) von der Gewerkschaft der KeramikarbeiterInnen SOECN für das Provinzparlament und Patricia Jure (PO) für den Gouverneur. Bei diesen Wahlen konnte die Front über 10.000 Stimmen einholen und gewann einen Sitz im Provinzparlament. Jetzt gilt es, die zukünftige, parlamentarische Arbeit in ihrem Charakter als reines Werkzeug der revolutionären Politik außerhalb des Parlaments zu sichern.
Deshalb wurden trotz der Grenzen der bürgerlichen Demokratie anti-bürokratische Strukturen geschaffen: Zum Einen wird der gewonnene Parlamentssitz zwischen den verschiedenen Kräften der FIT rotieren. Desweiteren erhalten VertreterInnen der Wahlfront nur einen durchschnittlichen ArbeiterInnenlohn. Jegliche Gehaltszahlung, die darüber hinaus geht, wird in einen Streikfond eingezahlt, um den ArbeiterInnen bei ihren Mobilisierungen im ganzen Land zu helfen. Schließlich luden López und Godoy in der Nacht der Wahl zu einer offenen Diskussion darüber ein, was die FIT mit ihrem Sitz im Parlament machen soll (eine Maßnahme, die die anderen Kräfte der Front leider nicht unterstützten). Diese Strukturen demonstrieren das Konzept der ArbeiterInnendemokratie in Form eines zwar kleinen, aber real existierenden Beispiels. Das bürgerliche Parlament kann nur eine unvollständige Umsetzung der Prinzipien der ArbeiterInnendemokratie ermöglichen, aber in dem Maße, wie sie es tut, will die PTS in der FIT diese Möglichkeiten ausnutzen, um den Parlamentssitz für die Unterstützung der Kämpfe der Massen einzusetzen und ihnen eine Alternative zur undemokratischen „Demokratie“ der Bourgeoisie aufzeigen.
Als Mitte August tatsächlich die Vorwahlen stattfanden, war die FIT durch ihre von vielen AktivistInnen getragene Kampagne und die Beispiele revolutionären Massenwahlkampfs sehr gut aufgestellt. Über 500.000 ArbeiterInnen und Jugendliche haben die FIT gewählt, was einem Wahlergebnis von etwa 2,5% entspricht und somit die proskriptive Hürde von 1,5% bei weitem übertraf. Auch wenn ein Teil der Stimmen sicherlich dem „demokratischen Faktor“ geschuldet war (also der Tatsache, dass sicherlich einige WählerInnen der FIT nur ihre Stimme gegeben haben, damit sie sich im Oktober überhaupt für die Wahlen präsentieren kann), zeigt diese Zahl, dass der Wahlkampf eine große Masse mit den Forderungen der FIT erreichen konnte[6].
Wir glauben, dass diese Erfahrungen auch auf Europa übertragbar sind und rufen alle revolutionären Kräfte dazu auf, die Lehren aus diesem Wahlkampf zu ziehen und perspektivisch auf eine revolutionäre Wahlfront hinzuarbeiten.
Fußnoten
[1] Zu unserer Kritik an der NPA siehe unsere Broschüre „Frankreich brennt“. Zu unserer Kritik an dieser Art von „breiter antikapitalistischer Partei“ siehe Cinatti, Claudia: „Welche Partei für welche Strategie?“ http://www.ft-ci.org/article.php3?id_article=1544?lang=de.
[2] Programmatic declaration of the Workers’ Left Front (Englisch). http://www.ft-ci.org/article.php3?id_article=4242.
[3] Für eine Zusammenstellung aller Wahlvideos der PTS siehe http://www.tvpts.tv/FrentedeIzquierdaydelosTrabajadores.
[4] Discurso de Christian Castillo en el Acto de las Juventudes del FIT. http://www.pts.org.ar/spip.php?article17875. Eigene Übersetzung.
[5] Siehe unsere Broschüre „Zanon gehört den ArbeiterInnen“.
[6] Für die Ergebnisse und Analyse der Oktoberwahlen, die nach dem Erscheinungstermin dieser Zeitung stattfanden, siehe klassegegenklasse.org.