Revolutionäre Jurist*innen
An der Universität von Buenos Aires bilden Mitglieder der Partei Sozialistischer Arbeiter*innen (PTS) und unabhängige Studierende eine revolutionäre Gruppierung an der Jurafakultät. Ein Interview mit M., die im zweiten Jahr Jura studiert.
Welche Aufgaben kann ein*e revolutionäre*r Jurist*in im bürgerlichen Staat wahrnehmen?
Ein*e Anwalt*Anwältin im Sinne der Revolution kann eine riesige Rolle spielen. Sie können die verdrehten Argumente entlarven, die Richter*innen und Anwält*innen nutzen, um den status quo aufrechtzuerhalten, bei dem die Arbeiter*innenklasse die härtesten Strafen bekommt. Sie können eine sehr wertvolle Hilfe für den Klassenkampf leisten, in dem sie die Menschen juristisch absichern, die für eine Welt ohne Ausbeutung kämpfen.
Ist die Justiz im Sinne der Arbeitenden überhaupt reformierbar?
Die Unabhängigkeit der Justiz ist eine Fiktion, genauso wie die Gleichheit vor dem Gesetz. Diese Justiz garantiert die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Die Praxis der Justiz hat im Laufe der Geschichte gezeigt, dass sie ein Instrument im Dienste der herrschenden Klassen darstellt. An eine Unvoreingenommenheit der Justiz zu glauben bedeutet, auf der Seite der Unterdrücker*innen zu stehen. Ich versuche weder die Justiz, noch das kapitalistische System zu reformieren – ich setze mich jeden Tag dafür ein, dass die Arbeiter*innenklasse die Fallen der Justiz meiden und für neue Errungenschaften kämpfen kann.
Da geht es um die Rache für das Blut, welches das System vergießt, wie das unserer Aktivist*innen wie Mariano Ferreira und Carlos Fuentealba, die bei Arbeitskämpfen ermordet wurden. Es geht um unsere 30.000 Geschwister, die die letzte Militärdiktatur „verschwinden“ ließ. Es geht um die Straflosigkeit, die die Justiz für Mörder*innen in Uniform gewähren lässt. Es geht um die Rechte der Frauen auf legale, sichere und kostenfreie Abtreibungen, und auf die Rechte der Immigrant*innen auf ein Leben in Würde. Mit meiner Tätigkeit als Juristin trete ich für eine revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft, nicht für Reformen ein.
Kannst du uns ein Beispiel für solche Tätigkeit geben?
Immer wieder müssen wir Arbeiter*innen vor den Angriffen der Kapitalist*innen und ihres Staates schützen. Heute haben wir einen Fall von sechs Ölarbeiter*innen aus Las Heras, die bei einem Prozess voller Unregelmäßigkeiten zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie angeblich einen Polizisten ermordet hatten. Dabei hatten die Arbeiter*innen protestiert und waren selbst Opfer von Polizeirepression. Alle unsere Kräfte werden für die Freilassung dieser Genoss*innen eingesetzt.
Wie arbeiten revolutionäre Jurist*innen an der Universität?
Unsere Gruppierung nimmt an Wahlen in der Fakultät teil und führt Solidaritätskampagnen für Arbeitskämpfe durch. Wir begleiten auch die Arbeit von Genoss*innen, die schon Anwält*innen sind, zum Beispiel wenn jemand angeklagt wird, weil er*sie eine Straße blockiert hat. Dabei unterstützen wir die Entscheidungen, die die Arbeiter*innen selbst mittels der proletarischen Demokratie in Versammlungen treffen. Die Herausforderung dabei ist, die Gesetze und die Rechtsprechung im Sinne der Arbeiter*innen zu interpretieren, z.B. bei Klagen gegen politisch motivierte Entlassungen.
Im Falle der Keramikfabrik Zanon haben die Arbeiter*innen angesichts der Schließungspläne des Unternehmens im Jahr 2001 die Fabrik besetzt und die Produktion unter Arbeiter*innenkontrolle wieder aufgenommen. Nach mehr als zehn Jahren des Kampfes haben sie die Enteignung der Fabrik durchgesetzt. Dabei haben revolutionäre Anwält*innen eine wichtige Unterstützung geleistet.
Seit 15 Jahren organisieren wir das „Zentrum der Akademiker*innen für die Menschenrechte“ (CeProDh), das konsequent auf der Seite der Arbeiter*innen steht. Dabei wurden auch unsere Anwält*innen eingesperrt oder mit dem Entzug ihrer Zulassung gedroht.
Interview: Bastian Schmidt, Universität Potsdam, Jura