Revolutionäres Sommercamp: „Lasst uns die Generation sein, die den Kapitalist:innen die Welt aus den Händen reißt“

06.09.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Simon Zamora Martín

Mit über 160 Teilnehmer:innen zeigte das Sommercamp von Klasse Gegen Klasse, dass der Aufbau einer revolutionären Alternative zur Ampel, den Rechten und einer sich spaltenden LINKEN möglich ist.

Vergangenes Wochenende luden wir von der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) mit unserer Zeitung Klasse Gegen Klasse (KGK) zum Sommercamp nach Regensburg ein. Davor schrieben wir: „Der Aufbau einer revolutionären Kraft in Deutschland ist möglich!“ Der Umstand, dass sich über 160 Arbeiter:innen, Jugendliche und internationale Gäste an dem Camp beteiligten, bestätigt diese Aussage. Dies lässt sich nicht nur an den positiven Zahlen festmachen: Unser Camp ist im Vergleich zum letzten Jahr um fast die Hälfte gewachsen und war eines der größten in der revolutionären Linken, größer auch als das Camp der Linksjugend mit 100 Teilnehmenden. Insbesondere aber zeigte das Sommercamp von KGK, dass es eine wachsende Generation an Jugendlichen und Arbeiter:innen gibt, die sich angesichts des Debakels der Linkspartei für die Ideen des revolutionären Marxismus interessieren, auf der Suche nach Antworten gegen Krieg, Klimakrise und den Aufstieg der Rechten.

Während die AfD immer neue Umfragerekorde bricht und der stellvertretende Ministerpräsident von Bayern, Hubert Aiwanger trotz antisemitischer Flugblätter nicht zurücktreten muss, ist die Ampelregierung im Bund unbeliebt wie nie zuvor. Doch die Partei DIE LINKE bietet keine ernsthafte Opposition dagegen. Einige Teile wollen sich noch stärker der Regierung und der NATO anpassen oder zumindest weitermachen wie bisher. Beispielhaft dafür steht der Pessimismus eines Mario Candeias, der der gesellschaftlichen Linken zehn Jahre Defensive verordnen will. Ein anderer Teil um Wagenknecht will mit chauvinistischer Rhetorik ihr nationalistisches Projekt vorantreiben und sich damit der AfD anbiedern. Angesichts der anstehenden Spaltung der LINKEN ist es also dringend notwendig, eine revolutionäre Alternative aufzubauen.

Um die Frage, wie dort hinzukommen ist, drehte sich die Podiumsdiskussion am Freitagabend unter dem Titel „Der Aufstieg der AfD und die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären Partei“. Nach einer Einführung in die aktuelle politische und Situation berichtete Lennart Schlüter von RIO, früheres Mitglied des Netzwerks Marx 21, das in der LINKEN arbeitet, von seinem Bruch mit der Partei, auf der Suche nach einer unabhängigen Alternative. Insbesondere wandte er sich gegen den hilflosen Pessimismus von Candeias und warb dafür, in den aufsteigenden Klassenkampfphänomenen international und in Deutschland ein Gegenmittel zum Aufstieg der AfD und für den Kampf gegen die Regierung zu sehen. Anstatt die Situation als „geschlossen“ für verloren zu geben, wie Candeias es tut, rief Lennart zum Kampf dafür auf, die Widersprüche zu vertiefen und die Selbstorganisation der Arbeiter:innen und der Jugend im Kampf voranzutreiben, um in die Offensive zu gehen. Beiträge der Podiumsgäste Daniel von der Revolutionären Sozialistischen Organisation (RSO) und Ramazan von der Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht betonten die Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Sozialist:innen gegen den Aufstieg der Rechten, aber auch um der Krise der Linkspartei eine Alternative im Klassenkampf entgegenzusetzen. Auf dieser Grundlage entwickelte sich im Anschluss eine Diskussion über die Möglichkeit des Aufbaus einer revolutionären Wahlfront, die wir nach dem Sommercamp vertiefen wollen. Den Abschluss des Podiums machte Tabea von RIO, die auch die marxistische Hochschulgruppe Waffen der Kritik aufbaut. Sie kam auf die Notwendigkeit zurück, den Aufstieg der Rechten und die antisoziale und militaristische Politik der Regierung zu bekämpfen. In diesem Rahmen zog sie eine Bilanz der internationalen Erfahrungen mit dem Neoreformismus und dem Linkspopulismus, die nur zum Aufstieg der Rechten beigetragen haben. Angesichts der bevorstehenden Spaltung der Linkspartei kann es keine Lösung sein, die falsche Wahl zwischen den beiden Spaltprodukten zu treffen. Anstatt angesichts des Aufstiegs der Rechten auf eine Volksfront „aller demokratischen Parteien“ einerseits oder eine reine „Rückkehr zum Sozialen“, wie es autonome Strömungen vorleben, zu setzen, betonte Tabea die Möglichkeit des Aufbaus einer revolutionären Alternative der Arbeiter:innen und der Jugend. Nur eine solche Kraft wird in der Lage sein, die traditionellen Führungen der Klasse und der Bewegungen mit der Taktik der Einheitsfront und dem Aufbau revolutionärer Fraktionen ihn ihnen zu bekämpfen.

Die Redebeiträge zeigten, dass es keinen Verlass darauf gibt, dass die reformistischen und bürgerlichen Parteien und Institutionen die Probleme lösen werden. Im Gegenteil: In der Erneuerung der Epoche der Krisen, Kriege und Revolutionen sind sie immer weniger willens und in der Lage, die sich zuspitzenden Widersprüche aufzulösen, und setzen stattdessen zunehmend auf Gewalt, um ein überkommenes System am Leben zu erhalten. Auf der anderen Seite stehen aber die aufsteigenden Phänomene des Klassenkampfes mit großen Streikwellen in Frankreich, Großbritannien und auch Deutschland.

Lehren aus internationalen Klassenkämpfen

Entsprechend nahmen die internationalen Klassenkampfphänomene eine prominente Rolle beim Sommercamp ein. Aus Frankreich berichteten Genoss:innen vom Netzwerk für den Generalstreik, das während der Streiks gegen die Rentenreform eine alternative Politik von unten gegen die bremsende Rolle der Gewerkschaftsbürokratie vorschlug. Zu Chile diskutierten wir die Lehren des Aufstandes von 2019, der anschließend vom Linkspopulisten Gabriel Boric an die Wahlurne umgelenkt wurde. Und zu Italien über die Erfahrung beim besetzten Autozulieferers GKN bei Florenz, wo die Arbeiter:innen für eine Umstellung der Produktion auf umweltfreundliche Erzeugnisse eintreten.

Den Auftakt des Camps bildete die Filmvorführung über eine 2014 von den Arbeiter:innen besetzte Druckerei in Argentinien, die fortan als Madygraf weiter produzieren sollte – eine Fabrik unter Kontrolle der Arbeiter:innen. Der Film zeigte, was möglich ist, wenn nicht die Bosse die Produktion nach Profiten organisieren, sondern die Arbeiter:innen selbst entscheiden: Sie schufen die Möglichkeit, sich kreativ entfalten zu können, statt sinnentleert nach dem Druck und Kommando der Chefs zu schuften. Einen Arbeitsplatz, in der Frauen und trans-Personen gleichgestellt arbeiten können. Eine Fabrik, die keine Umweltschäden verursacht, statt die Gewässer zu verschmutzen, wie es die früheren kapitalistischen Besitzer:innen taten.

Weder sie noch wir wollen aber bei einer oder mehreren besetzten Fabrik stehen bleiben. Die materiellen Kräfte und die Erfahrungen, die unsere Genoss:innen bei Madygraf sammelten, sollen uns vielmehr eine Stellung sein, die uns hilft, die Ideen des Marxismus weltweit wieder bekannt zu machen. In einem Land wie Deutschland, dessen revolutionäre Tradition durch den Faschismus und den Stalinismus weitgehend zerstört wurde, ist es umso notwendiger, die Erfahrungen des internationalen Klassenkampfes zu studieren, um eine revolutionäre Partei wieder aufzubauen. Unser Ziel ist der Wiederaufbau der IV. Internationale, die 1938 von Leo Trotzki und weiteren Revolutionär:innen gegründet wurde, in Opposition zum Stalinismus.

Deshalb haben wir uns bei unserem Sommercamp in vielen gut besuchten Workshops mit den strategischen Lehren der langen Geschichte der Arbeiter:innenbewegung auseinandergesetzt: mit der Russischen Revolution und ihrer späteren Degeneration durch den Stalinismus, mit der Position von Marxist:innen über den imperialistischen Krieg, mit Workshops über die Theorie der Permanenten Revolution oder mit sozialistischer Strategie und MIlitärkunst. Ebenso debattierten wir drängende aktuelle Fragen wie Strategien des Antifaschismus, eine Antwort auf den angeblichen „Feminismus“ der Ampelregierung, der imperialistischen Militarismus legitimiert, oder eine marxistische Antwort auf die Klimakatastrophe, neben vielen anderen. Im Laufe der kommenden Wochen werden wir alle Workshops als Audio-Podcast zur Verfügung stellen, die Podiumsdiskussionen werden wir als Videos hochladen.

Die Abschlussveranstaltung mit internationalen Gästen mündete im Redebeitrag von Inés Heider, die skizzierte, welche Partei wir aufbauen wollen und wofür wir kämpfen. Wir wollen uns unabhängig von den reformistischen Parteien organisieren und gegen die Bürokratien der Gewerkschaften, die unsere Kämpfe bremsen. Die Arbeiter:innenklasse hat die Macht, die gesamte Produktion nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, im Einklang mit der Natur. Wir wollen eine Partei aufbauen, um den Kapitalist:innen und ihren Regierungen die Kontrolle über unser Leben zu entreißen und es selbst zu gestalten. Wir haben keine Illusionen in einen „grünen“ Kapitalismus, sondern setzen auf eine sozialistische Planwirtschaft, um der Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur ein Ende zu setzen. Wir wollen eine Gesellschaft ohne Rassismus, Homo- und Transfeindlichkeit erkämpfen. Wir wollen „die Generation sein, die den Kapitalist:innen diese Welt aus den Händen reißt“, so Inés.

Ein beschleunigter Aufbau mit der Rückkehr des Klassenkampfes

In den kommenden Wochen werden wichtige Kämpfe stattfinden: Proteste gegen die umweltzerstörerischen Autokonzerne in München, Streiks der Lehrer:innen in Berlin zeitgleich zur der Kampagne gegen die Kündigung von Inés, bundesweite Streiks im Tarifvertrag der Länder und für Studentisch Beschäftigte. Auch der Kampf um den Erhalt des Kreißssaals am Klinikum München-Neuperlach geht weiter, inklusive der Kampf gegen die Abmahnung von Leonie. Besonders unsere Interventionen als Klasse Gegen Klasse mit unseren öffentlichen Figuren am Kreißsaal in München sowie bei den Lehrer:innenstreiks erlaubten uns, mit einer neuen Generation von kämpferischen Arbeiter:innen und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und sie zum Sommercamp einzuladen. Die Treffen unserer marxistischen Hochschulgruppierung Waffen der Kritik mit über 70 Teilnehmer:innen und unserer sozialistischen Arbeiter:innengruppierung KGK Workers mit über 60 Teilnehmer:innen vor Abschluss des Sommercamps sind davon ein gewichtiger Beweis.

Der Aufstieg des Klassenkampfs, die sich vertiefenden Krisen und eine sich spaltende LINKE geben heute revolutionären Kräften die Möglichkeit, schneller zu wachsen. Die Klassenkämpfe haben noch keinen Ausdruck gefunden in der Entstehung einer revolutionären Partei, die die überkommenen reformistischen Bürokratien in Frage stellen würde. Doch die Bedingungen dafür reifen heran. Es gilt in den kommenden Monaten Schritte zu gehen, um bei der Spaltung der LINKEN nicht am Rand zu stehen, sondern eine Alternative zu bieten, die sich auf die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse stützt mit einem sozialistischen Programm, das ihre Siege ermöglicht. Dafür wollen wir einen Beitrag leisten mit unserer Zeitung Klasse Gegen Klasse – aber zugleich auch anderen linken Organisationen anbieten, die Diskussion zum Aufbau einer revolutionären Kraft in Deutschland zu vertiefen. Wir rufen alle Interessierten und alle, die sich am Sommercamp beteiligt haben, dazu auf, sich mit unseren Gruppierungen Waffen der Kritik und KGK Workers sowie unserer Zeitung an einem solchen Aufbau zu beteiligen.

Dass das nicht nur ein politisches, sondern auch ein soziales Projekt ist, zeigte auch die Stimmung beim Sommercamp. Vielen Dank für vier Tage solidarischen Umgang miteinander, für die große Arbeit nicht nur aller beteiligten Genoss:innen, sondern besonders auch der Beschäftigten des Veranstaltungsorts, und vielen Dank für die kreativen Beiträge aller Teilnehmer:innen, die entgegen jeder Resignation die Hoffnung auf die Möglichkeit machen, eine neue Gesellschaft zu erkämpfen.

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