Revolutionäre Obleute
Vor 100 Jahren führte ein Netzwerk aus Berliner Arbeiter*innen die Revolution. Sie könnten ein Vorbild für uns heute sein. | Unsere Klasse Nr. 3 als PDF
Vor hundert Jahren bebte die Welt. Eine Massenbewegung der Arbeiter*innen fegte die deutschen Monarchen von ihren Thronen. In ganz Deutschland übernahmen „Arbeiter- und Soldatenräte“ die Kontrolle. Ein Netzwerk aus Berliner Arbeiter*innen verschiedener Betriebe hatte die revolutionäre Massenbewegung maßgeblich vorbereitet und initiiert: Die „Revolutionären Obleute“.
Während die Gewerkschaftsführungen im Krieg einen „Burgfrieden“ geschlossen hatten, organisierten die Kolleg*innen an der Basis den zunehmenden Widerstand. Diese Betriebsaktivist*innen standen schließlich an der Spitze der kurzlebigen Räteherrschaft. Sie versuchten (vergeblich), Rätemacht und die Vergesellschaftung der Wirtschaft durchzusetzen.
Die antikapitalistischen Obleute waren die stärksten Gegenspieler*innen für die sozialpartnerschaftlichen SPD- und Gewerkschaftsbürokratien. Sie sind heute trotzdem relativ unbekannt. Die sozialdemokratische wie auch die stalinistische Erinnerungspolitik fixiert sich auf Eberts SPD und Karl Liebknechts Spartakusbund (KPD). Dabei war der Spartakusbund in Betrieben und Räten schwach. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht standen beim Rätekongress ohne Mandat vor der Tür.
Die in den Betrieben verankerten „Revolutionären Obleute“ waren demgegenüber keine richtige politische Organisation, sondern als Netzwerk von Basisgewerkschafter*innen ein politisch relativ bunter Haufen. Viele Kolleg*innen hatten fatale Illusionen in die Regierungssozialist*innen. Wegen ihrer Verankerung in den Betrieben und trotz ihrer politischen Unklarheit waren die Obleute an die Spitze der Rätebewegung. Ihre Anführer*innen versuchten zu improvisieren, um irgendwie die Arbeiter*innen-Interessen durchzusetzen.
Gegenrevolution
Der bürokratische Apparat von Ebert, Scheidemann, Noske und Legien verstand es, durch Manöver die Revolution auf halbem Weg zu stoppen. Im Hinterzimmer paktierten sie mit kaiserlichen Militärs und Industriellen. In der Öffentlichkeit erklärten sie: „Der Sozialismus marschiert!“ und sprachen von der Einheit der Linken.
Ströme von Arbeiter*innenblut waren das Taufwasser der Weimarer Republik, in der die Banken und Konzerne weiterhin den Ton angaben. Von der Räterepublik blieben nur die Betriebsräte übrig, allerdings ihrer Macht großteils beraubt. Ein ereignisreiches Jahrhundert später sollten wir die heldenhaften Kolleg*innen der Obleute vom Schleier des Vergessens befreien.
Neue Obleute
Dieser Blick in die Vergangenheit soll nicht leer sein. Die antikapitalistischen Basisaktivist*innen von damals können für uns antikapitalistische Basisaktivist*innen von heute ein echtes Vorbild sein. Aber nicht per „copy & paste“.
Auch heute müssen wir Arbeiter*innen gegen Stellvertretungslogik in Gewerkschaft und Politik ankämpfen. Es gibt nämlich auch heute in beiden Sphären ein schwerwiegendes Bürokratie-Problem: Das Sagen haben gebliche „Profis“, die einem extremen Anpassungsdruck durch die etablierten Institutionen ausgesetzt sind.
Es ist klar, dass unsere Hauptarbeit im Betrieb mit den Kolleg*innen stattfindet. Aber wir, die den zerstörerischen Kapitalismus beenden und eine wirklich demokratische Gesellschaft erreichen wollen, sollten schon jetzt beginnen, uns als antikapitalistische und antibürokratische Arbeiter*innen auch politisch zusammenzutun. Nur so können wir effektiv auch über gesellschaftliche Grundfragen reden – und die gewerkschaftliche Tagesarbeit mit deren logischer politischer Konsequenz verbinden.
Deswegen vernetzen wir uns als antikapitalistische Betriebsaktivist*innen gewerkschaftlich und politisch. Zur gemeinsamen Schulung, Organisation und Aktion. Es gibt Bedarf für neue revolutionäre antikapitalistische Obleute.