Reise von Raúl Godoy durch Europa
Mehr als zwei Wochen war Raúl Godoy in Europa unterwegs. Er ist eine führende Figur des Kampfes in Zanon, einer Fabrik, die seit mehr als 10 Jahren unter ArbeiterInnenkontrolle produziert und Abgeordneter im Provinzparlament Neuquén der Front der Linken und ArbeiterInnen (FIT). Als internationalistischer Arbeiter besuchte er Fabriken im Spanischen Staat, in Frankreich und Griechenland und teilte so mit AktivistInnen im Epizentrum der weltweiten kapitalistischen Krise wichtige Erfahrungen. Die letzte Veranstaltung seiner Reise fand in Berlin statt, wo er vor mehr als 120 Leuten über die ArbeiterInnenkontrolle als notwendige Antwort auf die Krise, welche von der imperialistischen Merkel-Regierung auf die Schultern der ArbeiterInnen und Jugend abgewälzt wird, sprach. (Verweis auf den Bericht)
Paris – Treffen mit den Streikenden von PSA-Aulnay
Sein erster Halt war Paris, eine Stadt, die die historische Tradition der ArbeiterInnenbewegung, von der Pariser Commune von 1871 bis zum Mai 1968, in sich trägt.
Dort besuchte er die Fabrik von PSA in Aulnay, die sich zu diesem Zeitpunkt 4 Monate im Streik befand. (Wenige Tage nach Godoys Besuch wurde ein Ergebnis ausgehandelt und der Streik unterbrochen) Dieser Streik gegen die Schließung einer Fabrik, an der eine gesamte Region hängt, war einer der bedeutendsten Streiks in Frankreich in den letzten Jahren. Die ArbeiterInnen berichteten Raúl Godoy von ihrem Streik, ihren Erfahrungen mit der Gewalt der Bosse, den Arbeitsythmen und der Möglichkeit, die Produktion in die eigenen Hände zu nehmen. Als alle Streikenden (ca. 200) angekommen waren, wurde eine Vollversammlung abgehalten – die Methode, mit der die Streikenden seit Beginn des Streiks die ArbeiterInnendemokratie leben. Zum Schluss bekam Godoy das Wort. In wenigen Minuten übermittelte er die komplette Solidarität der KeramikarbeiterInnen von Zanon. Er berichtete von dem Kampf in 2002, als der Chef die ArbeiterInnen rausschmeißen wollte, und sie ihn rausgeschmissen haben. Er betonte, dass die verschiedenen Kämpfe Teil eines großen Krieges sind, bei dem es darum geht, dass die KapitalistInnen, die Verursacher der Krise, diejenigen sind, die zahlen.
Nach der Vollversammlung berichtete Raúl von den Kämpfen um die Wiedergewinnung der Keramikgewerkschaft SOECN in die Hände der ArbeiterInnen, der sich in den 1990’ern abspielte.
Barcelona – Öffentliche Veranstaltung und Austausch mit kämpferischen ArbeiterInnen
Danach besuchte er die katalanische Metropole Barcelona, um auch dort die Lehren der ArbeiterInnenkontrolle mit ArbeiterInnen, die gegen die Folgen der Krise kämpfen, zu teilen. So besuchte er eine Fabrik von SEAT und redete vor den Toren, nachdem die Betriebsleitung ihm verbot, einzutreten. Dort, genauso wie in der Eisenproduktionsfabrik FUNOSA, wo er eine Tour durch die Fabrik unternahm, in Igualada wurde er sehr gut empfangen.
Am 14. Mai fand eine große öffentliche Veranstaltung mit Raúl Godoy über die Erfahrung von Zanon statt, mit mehr als 200 TeilnehmerInnen, die den Saal füllten. Neben Santiago Lupe von Clase contra Clase und Àngel Busquets, Generalsekretär der CGT Katalonien, zeichnete er die wichtigsten Momente im Kampf von Zanon nach, von dem Beginn, an dem sie sich geheim zu organisieren begannen, wie sie gegen die Entlassungen kämpften und das Vertrauen in die eigene Stärke wiedergewannen.
Danach sprach er mit einigen Medien, der CGT und vielen Referenten der gewerkschaftlichen Linken, unter ihnen Delegierte aus dem öffentlichen Dienst der „Zwischengewerkschaftlichen Alternative in Katalonien“, dem Telefonunternehmen COBAS, der CGT bei den Busbeschäftigten von TMB, der CGT Telepizza in Zaragoza und vielen anderen.
Raúl Godoy lernte auch die geschichtsträchtigen Stätten des Spanischen BürgerInnenkrieges in Barcelona kennen. So wurde er durch die Innenstadt geführt, wo Schilder an den von StalinistInnen ermordeten historischen Führer der POUM, Andreu Nin, erinnern oder das Gebäude des Unternehmens Telefónica am Plaça Catalunya, welches im Juni 1936 unter ArbeiterInnenkontrolle gestellt wurde. In Anbetracht der Tatsache, dass es noch heute der Sitz des Telefonieunternehmens ist, sagte Godoy: „Es wird wieder unseres sein, das der ArbeiterInnen“.
Wieder in Frankreich – Treffen mit Goodyear und öffentlicher Akt
Wieder im kälteren Frankreich angelangt, nahm er an einem Protest der ArbeiterInnen von Goodyear teil, die seit sechs Jahren einen Kampf gegen die Entlassungen führen, anstatt für Abfindungen zu kämpfen. Sie forderten an diesem Tag die Offenlegungen der Pläne der Produktionsverlagerung von Seiten der KapitalistInnen. Am gleichen Tag wurde bekannt, dass das Unternehmen Autoreifen aus der Türkei und Israel importiert, obwohl es dies immer wieder geleugnet hatte. Godoy wurde sehr positiv empfangen und erhielt von vielen Streikenden T-Shirts, die mit Sprüchen gegen Schließungen und Entlassungen versehen waren.
Am 16. Mai fand auch in Paris eine öffentliche Veranstaltung statt, bei der der Saal der „Librairie Résistances“ zu klein war für die mehr als 170 TeilnehmerInnen, die gekommen waren, um von dem Kampf in Argentinien zu lernen. Das Publikum war gemischt, neben SchülerInnen waren ArbeiterInnen aus PSA Aulnay, die Godoy am Montag besucht hatte. Dem Fakt, dass die ArbeiterInnen von Zanon die Forderungen anderer unterdrückter Sektoren, der Arbeitslosenbewegung (Piqueteros), der indigenen Bevölkerung (Mapuche), der StudentInnenbewegung und anderer kämpfender Fabriken aufnahm, und so der Slogan „Zanon gehört der Bevölkerung“ echten Inhalt bekam, ist es zu verdanken, dass der Kampf gegen die Schließung und für die Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle erfolgreich war.
Zum Abschluss seines Besuches in der französischen Hauptstadt besuchte er das alljährliche Fest der trotzkistischen Organisation Lutte Ouvrierre (Arbeiterkampf) um auch dort mit AktivistInnen und ArbeiterInnen die Erfahrungen von Zanon und die Notwendigkeit der Solidarität zu verbreiten. Auch hier versammelten sich mehr als 100 Interessierte an einem regnerischen Tag unter dem Zelt der Cité Romane.
Griechenland – Höhepunkt der Reise
In der letzten Woche, die Raúl Godoy in Europa verbrachte, besuchte er Griechenland. In dem Land, welches bisher am härtesten von der Krise getroffen wurde, spielen sich wichtige Erfahrungen der ArbeiterInnenkontrolle als Antwort auf diese Krise ab, darunter die Baustofffabrik Vio.Me, mit denen die ArbeiterInnen von Zanon schon länger in Kontakt stehen. Auf drei großen öffentlichen Veranstaltungen, zusammen mit verschiedenen Sektoren der griechischen Linken, konnte Godoy die Erfahrungen aus der sozialen und ökonomischen Krise, die sich 2001 in Argentinien abspielte, mit dem Publikum teilen und eine Perspektive aufzeigen. Neben der ökonomischen Antwort in Form von der Besetzung der Fabrik steht dabei auch die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse im Fokus. Raúl Godoy selbst ist Abgeordneter der Front der Linken und ArbeiterInnen im Provinzparlament von Neúquen und versucht, diese als Tribüne zu nehmen, um die Regierung zu denunzieren und Kämpfe und Aktionen zu verstärken. So lautet eine wichtige Kampagne in Unterstützung mit dem Streik der LehrerInnen: „Funktionäre und Abgeordnete sollen nur soviel verdienen wie eine Lehrerin“. Damit macht er auf die Privilegien der PolitikerInnenkaste aufmerksam und greift damit eine historische Parole der ArbeiterInnenbewegung auf.
Das wichtigste Treffen war sicherlich der Besuch der Baustofffabrik Vio.me (siehe Kasten unten). Nachdem der Boss ihnen monatelang kein Gehalt zahlte, übernahmen sie die Fabrik. Genauso wie Zanon in den ersten Monaten der Besetzung haben auch die Arbeiter von Vio.me mit vielen Problemen zu kämpfen. Deshalb ist die Solidarität mit diesem wichtigen Beispiel von größter Zentralität.
Zum Abschluss seiner Reise machte er einen Abstecher nach Berlin, um im Haus der IG-Metall vor 120 Menschen zu sprechen.
Ein Treffen, gefüllt mit Zukunft: Chronik der Besichtigung von Vio.Me
von Raúl Godoy
Die ArbeiterInnen von Vio.Me entschieden sich zu bewegen und die Entlassungen nicht zu akzeptieren: Sie ließen die Fabrik unter ArbeiterInnenkontrolle weiterproduzieren! Ein Beispiel des Kampfes für alle ArbeiterInnen!
Die Ankunft bei Vio.Me war einer der emotionalisten Momente der Reise. Die Begegnung fand inmitten des mit mehr als 30 Prozent Arbeitslosigkeit so hart von der Krise getroffenen Griechenlandes statt. Vor dem Hintergrund geschlossener Läden, tausender ArbeiterInnen und Kinder, die auf der Straße allerlei Sachen verkaufen müssen, erhebt sich ein kleiner Trupp von ArbeiterInnen einer kleinen Fabrik um zu rufen: ES REICHT!
In Anbetracht der Schließung ihrer Fabrik resignierten sie nicht, sondern blieben, um den Entlassungen zu widerstehen und dem common sense zu trotzen. Der Arbeitslosigkeit zu trotzen. Diese Gruppe von ArbeiterInnen, die von einem Netz der Solidarität unterstützt werden, bilden ein enormes Beispiel für Tausende, für Millionen von ArbeiterInnen.
Als uns vor langer Zeit die Bitte von einer deutschen Freundin erreichte, eine Botschaft von Zanon an die ArbeiterInnen einer griechischen Fabrik zu senden, dachten wir: Was kann ein Stück Papier mit einigen Wörtern aus einem so weit entfernten, unbekannten Ort, mit so großen kulturellen Unterschieden, helfen? Und es war eine Überraschung aus dem Mund eines Arbeiters zu hören, welche große Bedeutung diese geschriebenen Wörter hatten, wie es sie mit Emotion und Kraft füllte, wie sich alle indentifiziert und verbrüdert fühlten, es füllte unsere Augen mit Tränen. Mit so wenig kann man zu einer Sache beitragen, wenn man direkt spricht!
Die Begrüßung am Einlass war, als kannten wir uns schon unser gesamtes Leben. Man kann in jedem Gesicht, in jeder Geste, in den Worten des Zweifels, der Angst, der Beklemmung, des Ärgers und der Entscheidung, die Gesichter, die Gesten und die Gefühle jedes Arbeiters von Zanon wieder erkennen. Während ich ihnen zuhörte, schien es mir, als würde ich meine Genossen 11 Jahre zuvor reden hören. Man hätte jedem Arbeiter von Vio.Me den gleichen Namen von den ArbeiterInnen von Zanon geben können. Ich fühlte mich sofort als Teil dieses Kampfes. Ich nahm nicht wahr, wann ich Teil von ihnen geworden war. Wir sagen es immer, schrieben es sogar in die Statuten unserer Keramikgewerkschaft, dass die ArbeiterInnenklasse keine Grenzen kennt. Dies jedoch am eigenen Fleisch mitzubekommen, mit ArbeiterInnen in politischer Aufruhr, ist eine enorme Erfahrung.
Die gleichen Besorgnisse zu sehen, in der gleichen Sprache vom Kampf gegen den Besitzer zu sprechen, dabei die gesamte politische Macht, die den Chef schützt: MinisterInnen, die „Rechtssprechung“, FunktionärInnen, Regierungen; all das vereint uns auf tiefe Weise. Wir sprachen mehr als 4 Stunden miteinander. Danach traten wir vor ein mit ZuhörerInnen gefülltes Publikum.
Wir sagten ganz klar: Wir können alle unsere Meinung über Vio.Me haben, wir dürfen alle von ihrer Zukunft reden. Was gut und was schlecht ist. Ob eine Kooperative, Selbstverwaltung oder andere Varianten richtig sind. Doch, genauso wie in Argentinien 2002: die Verteidigung der ArbeiterInnenverwaltung steht über allen anderen Diskussionen. Wir können fortfahren zu diskutieren, doch es ist ein Unterschied, ob Vio.Me noch produziert oder nicht. Wenn wir in Argentinien in Verteidigung der besetzen-wiedererlangten Fabriken sagten: „Greifen sie eine angreifen, greifen sie alle an“; muss heute die Verteidigung der ArbeiterInnenverwaltung bei Vio.Me ein Banner des Kampfes für die gesamte Avantgarde in Griechenland sein, damit man die Unterstützung der Gemeinschaft herstellt. Der Kampf in Vio.Me ist riesig, da er eine andere Perspektive aufweist und angesichts von Entlassungen und Fabrikschließungen nicht resigniert. Die Besetzung und Weiterführung der Produktion jeder Fabrik, die schließt oder entlässt, ist ein großes Werkzeug, um den ArbeiterInnen in Europa einen Horizont zu geben. Nicht nur den griechischen.