Register für psychisch kranke Menschen wie in der NS-Zeit?
Carsten Linnemann fordert Methoden, die in der Vergangenheit hätten bleiben sollen. Psychisch kranke Menschen sollen von den Behörden kontrolliert werden können.
Nach dem rechten Anschlag in Magdeburg wird der Täter, welcher mit der AfD sympathisiert, als psychisch krank eingestuft. Der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, fordert daraufhin in einem Interview mit dem Deutschlandfunk ein Online-Register für psychisch kranke Menschen, um „diese Typen“ besser kontrollieren und überwachen zu können. Er möchte, dass die Polizei und der Verfassungsschutz Daten über Patient:innen von Psychiater:innen, Kliniken und Psychotherapeut:innen beziehen können.
Das besagte Register ist eine Methode, die ein einziges Mal in der deutschen Geschichte angewendet wurde – nämlich in der NS-Zeit. Dort wurde ein solches Register im Rahmen der „Euthanasie“-Pläne geschaffen, um behinderte und psychisch kranke Menschen in sogenannte „Heil- und Pflegestätte“ zu zwingen. Dort wurden viele Verbrechen an ihnen ausgeübt: Von menschlichen Experimenten über Verstümmelungsprozesse bis hin zur Tötung von Jung und Alt. Diese Praxis war die Vorarbeit für die sogenannte „Aktion T4“, bei der über 70.000 behinderte und psychisch kranke Menschen systematisch von den Nazis getötet wurden.
Sicherlich ist es nicht in Linnemanns Sinne, mit dem Register dieselben Pläne zu verherrlichen wie die Nazis. Von den damaligen Geschehen sind wir heute noch viele Phasen entfernt. Nichtsdestotrotz ist es pietätlos, makaber und mehr als uns leichtfertig, Rhetorik zu verwenden, die zuerst und zuletzt nur in der NS-Zeit stattgefunden. Hier reihen sich auch die Ausbürgerungspläne ein von Friedrich Merz, die nach Debatten während der großen Palästinademonstrationen und seit Silvester 2023 nun Form angenommen haben.
Psychische Krankheiten als Gefahr darstellen?
Auch wenn Linnemann bei seiner Forderung leicht zurückgerudert ist und „nur noch“ psychisch kranke Straffällige meint, stigmatisiert und kriminalisiert Linnemann damit psychische Krankheiten generell. Er beschuldigt nicht nur Menschen mit Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie oder anderen psychischen Erkrankungen, ein:e potentielle:r Täter:in zu werden, sondern hält auch diejenigen ohne Diagnose davon ab, sich die Hilfe zu holen, die sie vielleicht dringend brauchen. Schon jetzt ist die gesellschaftliche Stigmatisierung von psychischen Krankheiten so groß, dass viele Menschen einer Therapie aus dem Weg gehen, um sich nicht vor ihrem Arbeitgeber oder ihren Familien erklären zu müssen – oder um keine potentiellen Jobchancen zu verpassen. Diese Zahl würde drastisch steigen, wenn man aufgrund seiner Erkrankung auf eine Stufe mit Amokläufern gestellt wird.
Anstatt alle psychisch erkrankten Personen unter Generalverdacht zu stellen, brauchen wir ein Gesundheitssystem, das darauf ausgelegt ist, sich auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Person einzustellen und nicht jede:n Patient:in schnell abzufertigen. Das ist die einzige Möglichkeit, Menschen vor Selbst- und Fremdverletzung zu bewahren. Wir brauchen ein Gesundheitssystem mit ausreichend Therapieplätzen für Menschen und nicht für Profite.
Mehr Bullen, mehr Waffen, weniger Sicherheit
Die Forderung von Linnemann reiht sich ein in eine Reihe von Forderungen nach mehr Repression und Kontrolle von Seiten der CDU: So forderte Friedrich Merz in einem Video zum 25. November, dem Tag gegen Gewalt an Frauen, dass Sexualstraftäter eine elektronische Fußfessel tragen sollen, um sie genauer zu überwachen und zukünftige Übergriffe verhindern zu können. Weder sind das Maßnahmen, die hilfreich in der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt sind, noch sorgen sie für eine Abnahme von Straftaten generell. Stattdessen wird dadurch nur die Polizei gestärkt, die noch mehr kontrollieren und noch mehr kriminalisieren kann.
Der Ruf nach mehr Überwachung steht in einem viel größeren Kontext: In den letzten Jahren gab es immer mehr drastische Aufrüstungsmaßnahmen, die Polizei bekam immer mehr Rechte, mehr Geld und dadurch mehr Macht. Der Staat wird immer autoritärer. Das beste Beispiel hierfür ist die Palästina-Bewegung, die der Staat mit heftigen Repressionen wie Verhaftungen, Hausdurchsuchungen und physischer Gewalt zu unterdrücken versucht. Mit jeder Erweiterung ihrer ohnehin schon enorm bewaffneten Befugnisse wird für noch mehr Repression gesorgt – und der Weg für noch mehr rassistische Polizeimorde eröffnet. Schusswaffen, Taser, Schlagstöcke, Pfeffergas, Quarzhandschuhe – gegen wehrlose Demonstrierende, Obdachlose oder Jugendliche. Und seit Anfang 2024 haben sie auch die Befugnis, die Schusswaffe im privaten Alltag mit sich zu führen und gegebenenfalls auch zu benutzen.
Anstatt die Schuldigen der Krisen, also Kapitalist:innen und Superreiche, bezahlen zu lassen, wird nach unten getreten. Ob Migrant:innen, Bürgergeldbezieher:innen, Obdachlose, Linke, Arbeiter:innen oder jetzt auch psychisch Erkrankte. Der Attentäter von Magdeburg war den Behörden bekannt – getan haben sie nichts. Daran ist kein Mangel an Informationen schuld, sondern die Regierung, die Rechtsterrorismus weder aufhält, noch verurteilt – wie im Falle Ferat Koçaks in Neukölln, dessen Familie von Nazis mit einem Brandanschlag angegriffen wurde. In dem Prozess wurden die beiden Angeklagten zuerst aufgrund angeblich unzureichender Beweislage freigesprochen.