Regierungsende: Putsch oder kontrollierte Machtübergabe?
Offenbar hat Lindner die Koalition gezielt zum Platzen gebracht. Die SPD bemüht sich um eine geordnete Machtübergabe. Doch die Schwächen des politischen Systems kann auch und gerade ein Friedrich Merz nicht beheben.
Nachdem Olaf Scholz vergangene Woche die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner verkündete, gab sich dieser empört. Der Rauswurf sei vorbereitet gewesen. Das mag zu einem gewissen Grad stimmen. Was wohl noch mehr stimmt: Lindner arbeitete selbst aktiv auf den Bruch hin. Dies offenbaren Medienberichte der Süddeutschen Zeitung und der Zeit. Demzufolge habe er bereits am 29. September in der FDP-Führungsriege über Ausstiegsszenarien diskutiert. Im Oktober hätten sich die Pläne dann konkretisiert. Er könne „die Fressen nicht mehr sehen“.
Die FDP habe für den Sturz der Regierung eine Operation „D-Day“ ausgearbeitet, ein martialischer Begriff, angelehnt an den US-amerikanischen Einmarsch in Europa im Zweiten Weltkrieg. Dabei sollte das zentrale Narrativ gestreut werden, dass eine „echte Wirtschaftswende“ mit den rot-grünen Koalitionspartnern nicht zu machen sei. All das, nachdem sich die Ampel im Sommer eigentlich bereits auf einen vorläufigen Haushalt verständigt hatte. Schließlich habe Lindner den „Torpedo“ gezündet, sein Papier für ein Wirtschaftsprogramm, das Scholz und Habeck soweit reizen sollte, dass ein Rauswurf unvermeidlich würde.
Einige der Forderungen in dem durch und durch marktradikalen Papier: Weniger Klimaziele, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, geringere Steuern für Unternehmen, ein Stopp von Regulierungen wie dem Tariftreue-Gesetz. Am 5. November konterte Scholz dies schließlich mit einem eigenen Ultimatum: Die Schuldenbremse sei auszusetzen, um in der Koalition weiterarbeiten zu können. Wenig später trat der Kanzler vor die Kameras und verkündete die Entlassung Lindners.
Erwartet uns die kleinste GroKo aller Zeiten?
Für die Rest-Ampel kommt der Bericht über Operation „D-Day“ ganz gelegen. Sie kann nun die Schuld von sich weisen. Als vernünftigen Staatsmann versuchte sich Scholz sodann auch bei der Aussprache im Bundestag zu präsentieren. Er wolle zum „Wohle des Landes“ bis zu den Neuwahlen mit der CDU zusammenarbeiten. Und auch darüber hinaus, nach den Wahlen bräuchte es „Kompromisse über Parteigrenzen hinweg und – das zeichnet sich ja ab – über politische Lager hinweg.“ Eine kaum verhüllte Anspielung auf seine Erwartung einer neuen Großen Koalition (GroKo).
Können wir uns also auf eine halbwegs geordnete Machtübergabe an Friedrich Merz einstellen? Dieser kündigte an, in der Übergangszeit zusammen mit der Rest-Ampel Gesetze beschließen zu wollen, die die CDU für richtig halte – allerdings erst, nachdem Scholz im Dezember die Vertrauensfrage im Bundestag stellt. So viel Misstrauen muss sein. Insbesondere wollen Ampel und Union die Rolle des Verfassungsgerichtes im Grundgesetz festschreiben, damit dessen Charakter nicht mit einfacher Mehrheit verändert werden kann. Ein Vorhaben, das sich mit Blick auf die USA oder Ungarn explizit gegen „Populisten und Extremisten“ wendet, so Scholz.
Die AfD wittert derweil ihre Chance, Weidel sprach im Bundestag von einer „aberwitzigen Politik“ der Ampel, gedeckt durch die Union. Dabei finden sich viele ihrer Forderungen auch im Sofortprogramm der CDU: Grenzen dicht machen, Bürgergeld abschaffen, Unternehmenssteuern senken, Verbrennermotoren beibehalten. Bei einer Neuwahl könnte ihre Partei nach aktuellen Umfragen mit 17 bis 19 Prozent rechnen. Zusammen mit dem BSW dürfte im kommenden Bundestag ein ständiger Unruheherd entstehen, der womöglich gar ein Drittel der Sitze umfasst. Damit hätten AfD und BSW eine Sperrminorität bei Verfassungsänderungen.
Mit der Palastrevolte zur Staatskrise
Einen Vorgeschmack auf die Problematik der veränderten Parteienlandschaft geben die schwierigen Koalitionsverhandlungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Angesichts von starken AfD-Wahlergebnissen sind Regierungsbildungen (fast) nur mit dem BSW zu machen, das dafür eine Haltung zur Friedensfrage einfordert. Wie es nach den ersten geplatzten Gesprächen in Sachsen weitergehen soll, ist völlig unklar.
Ganz so schwerwiegend ist die Krise auf Bundesebene nicht, doch dürfte eine mögliche Große Koalition die dünnste je gesehene Mehrheit einer solchen Konstellation haben. Sie wäre eben nicht ein breites Bündnis, das die Opposition nahezu marginalisiert. Sondern sie sähe sich mit starken parlamentarischen Gegnern konfrontiert, die eine grundlegend andere außenpolitische Ausrichtung einfordern.
Eine anstehende Präsidentschaft Trumps und mögliche Friedensverhandlungen zum Ukraine-Krieg könnten die Situation nochmals gehörig durcheinanderbringen. Ein reibungsloser Übergang zur GroKo ist daher keineswegs gewiss. Das Thema dürfte auch den auseinanderstrebenden Kräften in SPD und Union Nährboden geben. In beiden Parteien gibt es Flügel, die gerne wieder eine Vermittlung mit Russland sähen und die anfällig sind für eine Nähe zu BSW, beziehungsweise AfD. Und so ist es unwahrscheinlich, dass ein Friedrich Merz – egal wie siegesgewiss er sich bereits gibt – die entstandene Krise des deutschen Parteienregimes wieder schließen kann.
Vor allem zeigt der Sturz der Ampel-Regierung aber eins: Sie hat es nicht geschafft, die Aufrüstung schnell genug umzusetzen. Sie ist den Anforderungen einer künftigen Trump-Präsidentschaft nicht gewachsen. Diesmal hat ein stinkiger FDP-Minister gereicht, sie zu stürzen. Eine FDP übrigens, die keineswegs abzuschreiben ist. Ihr Manöver könnte reichen, damit ihre Klientel sie wieder über fünf Prozent hebt.
Ein Friedrich Merz, Gesandter des Finanzkapitals, wird – mit dem Drohmittel der AfD in der Hinterhand – einer SPD härtere Bedingungen aufzwingen können. Keine Abweichung wollte er bei der Schuldenbremse machen – bisher! Sie war für ihn ein Sprengmittel gegen die Ampel; nun ist sie Gegenstand einer möglichen Kursänderung für einen Neustart unter ihm. Für Aufrüstung und Wirtschaftsinvestitionen könnte die Schuldenbremse also doch geändert werden, solange dabei, Renten, Löhne und Sozialleistungen angegriffen werden. Die SPD-Spitze wird trotz anderslautender Beteuerungen keine Skrupel haben, sich daran anzupassen. Die Börsen werden sich freuen; politische Stabilität bedeutet das nicht.