Regierung spielt mit unserer Gesundheit: AstraZeneca gestoppt, aber Schulen und Geschäfte weiter offen

16.03.2021, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Transformer18 / flickr.com

Nach Berichten über ein möglicherweise erhöhtes Thrombose-Risiko durch den AstraZeneca-Impfstoff setzte die Bundesregierung gestern die Impfung mit dem Präparat aus. Doch zugleich hält sie an der Öffnung von Schulen, Kitas und Geschäften fest – während die dritte Welle laut RKI an Fahrt aufnimmt.

Seit vergangener Woche haben mehrere Staaten international die Verimpfung des von AstraZeneca entwickelten Covid-19-Impfstoffs ausgesetzt, nachdem Hinweise auf ein möglicherweise erhöhtes Thromboserisiko eingegangen waren. Darunter Dänemark, Island, Norwegen, Spanien, Italien, die Niederlande, Frankreich – und gestern auch Deutschland.

Mit der Ankündigung durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn folgte die Bundesregierung der Empfehlung des für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI). Dieses hatte eine „auffällige Häufung“ von „sehr seltenen Hirnvenenthrombosen“ in einem zeitlichen Zusammenhang zur Verabreichung des AstraZeneca-Impfstoffs gesehen. Jedoch wurde bisher in keinem der Länder eine ursächliche Beziehung zur Impfung nachgewiesen. Entsprechend hält die Europäische Arzneimittelbehörde EMA, der insgesamt 30 Fälle von Blutgerinnungsstörungen bei einer Gesamtzahl von ca. fünf Millionen Geimpften gemeldet worden waren, ihre Empfehlung für den AstraZeneca-Impfstoff bisher aufrecht, ebenso die WHO. Noch vergangene Woche war auch das PEI derselben Meinung: „Es gibt derzeit keinen Hinweis, dass die Impfung diese Erkrankungen verursacht hat.“ Und diese Anzahl der Fälle sei „nicht höher als die Zahl der thromboembolischen Ereignisse, die statistisch zufällig in der Bevölkerung auch ohne Impfung vorkommen würden“.

Die Entscheidung der Bundesregierung stieß auf viel Kritik, wie der Deutschlandfunk-Wissenschaftsredakteur Volkart Wildermuth erklärte: „Während der mögliche und sehr seltene Zusammenhang von Thrombosen mit der Verimpfung von AstraZeneca untersucht wird, stecken sich mehr Menschen an, entwickeln einige von ihnen COVID-19. Und dabei, das ist wirklich gut kommentiert, kommt es häufig zu Thrombosen. So wird gerade der Wunsch, Risiken zu vermeiden, selbst zur Gefahr.“

Die Regierung spielt mit unserer Gesundheit – und öffnet im Interesse der Konzerne

Wir wollen an dieser Stelle keine wissenschaftliche Einschätzung über die Nebenwirkungen des AstraZeneca-Impfstoffs wagen. In jedem Fall ist eines klar: Die bisherige – eh schon katastrophale – Impfstrategie der Bundesregierung löst sich immer mehr in Luft auf. Und während die Bundesregierung bezüglich des Impfstoffs „auf Nummer sicher“ gehen will, hält sie an der Öffnung von Schulen, Kitas und Geschäften fest. Wie „sicher“ ist die weitere Öffnung, wenn die Impfstoffe ausbleiben?

Doch damit nicht genug: Laut dem Robert-Koch-Institut (RKI), welches die Corona-Zahlen überwacht, hat die dritte Welle der Pandemie längst begonnen. Der RKI-Epidemiologe Dirk Brockmann sagte im ARD-Morgenmagazin, die Ausbreitung des Virus habe im Vergleich zur Vorwoche um 20 Prozent zugenommen. Auch die Sieben-Tage-Inzidenz liegt wieder bei 82,9, während sie vor vier Wochen noch bei 59 gelegen hatte.

Erneut zeigt sich, wie die Regierung mit unserer Gesundheit spielt: Während Millionen von Menschen ihre Kinder wieder in die Schulen schicken müssen und bei der Arbeit weiterhin Infektionsrisiken ausgesetzt sind, wird an den Profiten der Kapitalist:innen nicht gerüttelt. Vor diesem Hintergrund ist es besonders verantwortungslos, dass die Bundesregierung ihren für Mittwoch geplanten Impfgipfel verschoben hat. Der Stopp der Impfung wurde ohne Gipfel beschlossen, aber die Öffnung der Schulen und Kitas wurde nicht gestoppt. Und auch die stufenweise Öffnung von Geschäften wird bisher nicht in Zweifel gezogen. Noch nicht einmal die Flüge nach Mallorca wurden ausgesetzt.

Patente abschaffen, Pharmaindustrie verstaatlichen!

Die offenen Fragen zu AstraZeneca und der Impfstopp sind nicht isoliert von den geopolitischen Spannungen zwischen den Staaten und dem „Impfstoff-Imperialismus“ zu verstehen, der dafür sorgt, dass sich die mächtigsten Staaten viel größere Impfdosen sichern, während die Mehrheit der Länder auf der Welt leer ausgeht. Milliarden Menschen wissen weiterhin nicht, wann sie geimpft werden, während die Fall- und Todeszahlen weiter steigen. Ein Jahr nach der Erklärung von Covid-19 zur weltweiten Pandemie durch die WHO sind bislang mehr als 2,5 Millionen Menschen an dem Virus gestorben.

Unter diesem Gesichtspunkt ist es unabdingbar, totale Transparenz zu fordern, sowohl über die wissenschaftlichen, medizinischen als auch über die Produktionsprozesse der Impfstoffe insgesamt. Dies muss durch eine vom Staat und den Pharmakonzernen unabhängige Kommission gewährleistet werden, geleitet von Beschäftigten des Gesundheitswesens, um eine kollektive und nicht repressive Verwaltung der Gesundheitsstrategien zu ermöglichen.

Dazu gehört auch die unbedingt nötige Abschaffung von Patenten: Sie würde es uns ermöglichen, aus der Logik des Wettbewerbs und des Wettlaufs um Profite herauszukommen, den die großen Pharmakonzerne betreiben und der nicht nur zu den aktuellen Zweifeln, sondern auch zu Impfstoffmangel geführt hat. Dafür braucht es die Enteignung der gesamten Gesundheits- und Pharmaindustrie unter Arbeiter:innenkontrolle, wodurch die Bündelung des Wissens über Impfstoffe unabhängig von Profitinteressen möglich würde. Maßnahmen, die nur durch Kampf errungen werden können und die der irrationalen kapitalistischen Logik diametral entgegengesetzt sind, die heute für den Tod von Millionen Menschen, für die sich immer weiter ausbreitende Prekarisierung aufgrund der Krise und für die gesamte katastrophale Weltlage verantwortlich ist.

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