Red Brain Nr. 5: #occupy!
Red Brain ist eine linke, antikapitalistische SchülerInnenzeitung, die von einer unabhängigen SchülerInnengruppe (in Zusammenarbeit mit RIO) am John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte herausgegeben wird. Die Ausgabe gibt es als PDF, die einzelnen Artikel gibt es unten:
Bundesweiter Bildungsstreik am 17. November!
In zwei Wochen ist es soweit! Am 17. November werden in ganz Deutschland SchülerInnen, StudentInnen, Azubis, junge Erwerbslose sowie LehrerInnen und Eltern gegen das deutsche Bildungssystem auf die Straße gehen.
Denn für uns hat sich nichts geändert. Im Gegenteil! Der Leistungsdruck steigt jährlich immer mehr. Die Universitäten werden wegen des Doppeljahrgangs aus allen Nieten platzen. Viele junge Leute werden nach der Schule sofort in die Arbeitslosigkeit entlassen, da es nicht genügend Ausbildungsplätze gibt.
Wir haben die Schnauze voll! Deswegen haben wir vor einem Monat das John-Lennon-Streikkomitee ins Leben gerufen. In diesem Streikkomitee vernetzen wir uns berlin- und deutschlandweit mit anderen Streikkomitees und informieren andere SchülerInnen, wie wichtig es ist, für ein besseres (Schul)System zu kämpfen.
Es ist verdammt noch mal Euer Recht zu streiken! Nach dem Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit (Art. 8, Grundgesetz) haben wir das Recht zu streiken, da die Schulpflicht ja schließlich den Grundrechten der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit untergeordnet ist. Wenn ihr dennoch Stress mit LehreInnen habt, die Euch sagen, dass Ihr schwänzt, wenn Ihr Eure Grundrechte wahrnehmt, dann wendet Euch ans Streikkomitee bzw. Red-Brain.
Eure Red Brain-Redaktion
#occupy!
„Wir sind keine Träumer und keine Utopisten. Wir sind hellwach und finden uns in einem Albtraum wieder“, so heißt es auf einem Flyer, der auf die Occupy-Bewegung aufmerksam macht.
Dieser Albtraum, von dem die Rede ist, ist leider auch kein Traum sondern die harte Realität. Die Welt befindet sich in einer Finanzkrise, ganze Staaten der EU gehen pleite, es gibt immer mehr Armut und obendrein sieht die Zukunft nicht viel besser aus.
Die Occupy-Bewegung entstand in New York, als hunderte Menschen die Wall Street, das Welthandelszentrum, besetzten. In dem Land, was auf der ganzen Welt mit Freiheit, Frieden, Demokratie und hohen Lebensstandards in Verbindung gebracht wird, leben seit der Weltwirtschaftskrise 2008 tausende Menschen in Zeltlagern in den Vorstädten der Metropolen. Millionen Menschen sind arbeitslos – viele davon verlieren ihre Häuser.
Die Aufständischen riefen: „Brecht die Macht der Banken und Konzerne!“ Der Spruch kommt nicht von irgendwoher. Während Banken, die die Krise zu verschulden haben, durch Steuergelder mit milliardenschweren Rettungspaketen vor dem Bankrott gerettet werden, werden die Sozialleistungen gekürzt und Millionen Arbeitsplätze gestrichen.
Viele meinen, die Forderungen der Bewegung seien zu radikal. Dazu meinte ein Demonstrant in Berlin: „Unsere Forderungen sind radikal, aber wir leben auch in radikalen Zeiten.“
Der arabische Frühling hat gezeigt, dass wenn viele Menschen für ihre Forderungen kämpfen, sie etwas bewegen können. Das hat zu einer Welle von Aufständen und Revolutionen auf der ganzen Welt geführt: In Madrid besetzten wochenlang tausende Menschen den zentralen Platz; in London randalierten im Frühsommer Jugendliche aus Frustration über Rassismus und Perspektivlosigkeit; in Chile bestreiken SchülerInnen seit sechs Monaten die Schule; in Griechenland liefern sich seit Wochen hunderttausende DemonstrantInnen Straßenschlachten mit der Polizei; und am 15. Oktober gab es auf der ganzen Welt schließlich 150 Demonstrationen an einem Tag.
Seit diesem Tag besetzen einige AktivistInnen den Platz der Republik vor dem Bundestag in Berlin und halten jeden Tag dort Versammlungen ab. Sie sagen: „Wir sind die 99%“, also jene Mehrheit der Gesellschaft, die die Kosten der Krise tragen muss. Sie kämpfen gegen etwa 1% – eine kleine Minderheit von BankerInnen und KapitalistInnen –, die höhere Profite einfährt als je zuvor.
Bei den Protesten in Deutschland sind auch Menschen dabei, die sonst nicht an solchen Aktionen teilnehmen. Ein Arzt meinte dazu: „Ich bin Arzt und war vorher noch nie demonstrieren, aber auch ich habe gemerkt, dass es so, wie es ist, nicht weiter geht.“ Er ist einer, von einer noch kleinen Bewegung in Deutschland.
Die Bewegung hier ist noch sehr unorganisiert. Das liegt daran, dass unterschiedlichste Schichten und Klassen zusammenkommen und versuchen, etwas zu bewegen, aber noch kein wirkliches Bündnis aufgebaut haben, das diese Bewegung strukturiert und zu großmobilisierten Demonstrationen aufruft.
Über die Demonstrationen und Versammlungen hinaus fühlen sich viele weitere Menschen inspiriert. Denn laut der Süddeutschen Zeitung sind 78% der Bevölkerung der Meinung, dass die Banken zu viel Macht haben. Bereits jetzt treffen sich Aktionsgruppen an vielen Universitäten unter dem Motto „Occupy University!“ Auch an den Schulen wird diese Bewegung große Auswirkungen haben. Wir können unsere „Empörung“ am 17. November auf die Straße tragen. Und wann wird die erste Schule ge-occupy-t?
Also komm zu den Demos jeden Samstag vor dem Reichstag! Mach mit, informiere dich, werde aktiv, denk nach! Es konnte noch Keiner in die Zukunft sehen, aber man kann das Jetzige hinterfragen und ändern!
Nachruf auf einen Soziologen
Der berühmte Berliner Soziologe Hartmut Häussermann ist am 31.10. an schwerer Krankheit gestorben. Während der ‘68er Proteste organisierte er als Astavorsitzender der FU – zusammen mit Leuten wie Rudi Dutschke – die linke StudentInnenbewegung. Als Professor der Stadtsoziologie arbeitete er später an der HU. Erfolgreich legte er die sozialen Ungleichheiten der Stadt offen.
Generalstreik in Griechenland
Am 19. und 20. Oktober herrschte in Griechenland Ausnahmezustand: Die Angestellten im Staatsdienst streikten gegen die drastischen Kürzungen und Entlassungen. Auch die griechische Jugend, für die keine Zukunft mehr in Sicht ist, ging auf die Straße. Insgesamt waren Hunderttausende im Streik. Dabei ging es nicht immer friedlich zu: PolizistInnen gingen mit Tränengas gegen die Demonstrationen vor, BeamtInnen wurden mit Steinen und Brandsätzen beworfen.
Gründe für den Generalstreik liegen auf der Hand: Mit Hilfe von deutschen, französischen und anderen Banken häufte der griechische Staat einen milliardenschweren Schuldenberg auf, der nicht mehr zurückzuzahlen ist. Die „Troika“, die gerade in Griechenland die wichtigsten Entscheidungen trifft (Europäische Kommission, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds), zwingt härteste Sparmaßnahmen auf, damit zumindest einige Schulden an die Banken zurückgezahlt werden. Die Konsequenzen muss dann die Bevölkerung tragen: StaatsbeamtInnen werden entlassen oder die Löhne drastisch gekürzt, auch RentnerInnen bekommen kaum genug zum Überleben und SchülerInnen kriegen keine Schulbücher.
Durch den Streik wurde das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt, die Müllabfuhr streikte, Geschäfte, Schulen, Banken und Behörden blieben geschlossen und Krankenhäuser behandelten nur die Notfälle. Die ArbeiterInnen und Jugendlichen in Griechenland zeigten somit, dass man gegen die Missstände kämpfen sollte und dabei wirklich etwas bewirken kann.
Praktikum in der Psychatrie
Ein Psychologe fragt seine PatientInnen: „Was ist eigentlich Psychiatrie?“ Es herrscht Stille. Nach mehreren Nachfragen erhebt einer die Stimme: „Wiederherstellung der Arbeitskraft, das bedeutet es.“
Ich habe ein Praktikum in einem Psychiatrischen Klinikum gemacht. Zwei Wochen, acht Stunden am Tag – eigentlich, meistens wurden es mehr, denn das Personal war knapp. Ich wurde einer Station für alle Diagnosen eingeteilt, das heißt die Türen sind immer verschlossen.
Jeder Patient hat eine Kurve, in der sämtliche Unterlagen und Behandlungspläne abgeheftet sind. Mit dieser Kurve verbringen die Ärzte mehr Zeit als mit den Patienten selbst. Einmal in der Woche ist Visite, ca. sieben Minuten pro Person. Die restliche Zeit „psychotisieren“ sie vor sich hin, so die Aussage einer Schwester. Diese Schwester hatte übrigens keinerlei Ausbildungen im Fachgebiet Psychologie. Medikamente gibt es hingegen dreimal am Tag. Was das genau drin ist? „Das Richtige“.
Und wenn es mal Probleme gibt, wird ans Bett fixiert. Ein „time out“ heißt das dann. In meiner Zeit dort, musste jemand fixiert werden, mit dem ich mich angefreundet hatte. Er hatte einen Schalter, den er drücken sollte, wenn etwas nicht stimmte. Ihm ging es sehr schlecht, klagte über Rückenschmerzen vom langen Liegen, also tat er es oft. Irgendwann verboten mir die ÄrztInnen, in sein Zimmer zu gehen. Man hörte ihn schreien und weinen, wenn man über den Flur lief. Gegen Abend wurde ich zu ihm geschickt, um ihm mitzuteilen, dass wegen seinem „ausartenden“ Verhalten die Medikation erhöht werden muss. Er sah mich beschämt an.
„Entschuldigung, könnten sie mir bitte einen Gefallen tun? Ich muss dringend auf Toilette.“ – „Es tut mir leid, sie dürfen nicht losgemacht werden“ – „Ich weiß, ähm, da vorne ist ein Kanister, das ist mir so peinlich, aber könnten sie ihn vielleicht, ähm, anbringen?“ Ich schluckte. Von dem Tag an traute er sich kein einziges Mal mehr, mir ins Gesicht zusehen.
Wenn man die Psychiatrie wieder verlässt, hängt draussen ein Protestschild: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Oder?“
Zitat des Monats
Wir stehen am Anfang einer Zeitwende! Das bürgerlich-kapitalistische Zeitalter ist vorbei! Dem Sozialismus gehört die Zukunft!
CDU Berlin (allerdings 1946)
Termine von Red Brain
* Aktionstage Bildungsstreik am JLG
14.-15. November, während der Schulzeit
* Treffen des Streikkomitees am JLG
jeden Montag, 16 Uhr, BAIZ
* offenes Treffen von Red Brain
jeden Freitag, 16 Uhr, BAIZ
* Occupy-Demo in Berlin
12. November, 12.30 Uhr, Hauptbahnhof
* Silvio-Meier-Demonstration
19. November, 15 Uhr, Samariter Str.
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