Rechte wollen Abschiebungen in Kriegsgebiete
// NEUER ASYLKOMPROMISS: Die Regierungskoalition beschließt weitere Maßnahmen, die die Abschiebungen beschleunigen. Doch wieder einmal genügt es den Rechten nicht: Jetzt haben sie es auf die Kriegsgeflüchteten abgesehen. //
„Asylkompromiss“: So nennen die bürgerlichen Medien die neue Verschärfung des Asylrechts in Anlehnung an die Abschaffung des Asylgrundrechts 1992 durch die Union und die SPD. Auch diesmal fanden sie einen „Kompromiss“. Die Sozialdemokratie hatte versucht, sich in der Debatte über die „Transitzonen“ durch einen „humanen“ Diskurs von den Christdemokrat*innen abzugrenzen.
Tatsächlich sah auch ihr Vorschlag der dezentralen „Einreisezentren“ eine Beschleunigung der Abschiebungen vor. Und so verwundert es auch keinen, dass die Koalitionsspitze – Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) – bei ihrem Gipfel am vergangenen Donnerstag einen weiteren Schlag auf die Grundrechte der Geflüchteten ausübte.
Zwangsmaßnahmen und beschleunigte Abschiebung
Der erste Teil der Vereinbarungen beinhaltet die Einführung eines „Flüchtlingspasses“. Alle Leistungen werden von nun an über dieses Dokument abgewickelt. Deshalb müssen sich alle Geflüchteten registrieren, um weiter Leistungen zu erhalten. Das ist eine krasse Zwangsmaßnahme zur Fügung der Schutzsuchenden.
Nur wer beste Aussichten auf Asyl hat, wird nach Inkrafttreten des Gesetzes Integrationskurse besuchen dürfen. Jedoch wird der deutsche Staat diese nur anteilig bezahlen. Also werden Geflüchtete für Integrationskurse bezahlen müssen, ohne die sie als „Integrationsverweigerer“ an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Das ist eine weitere Zwangsmaßnahme und eine indirekte Kürzung der Leistungen für Geflüchtete.
Die restlichen Maßnahmen dienen der Beschleunigung und „Verbesserung“ der Abschiebungen. Viele Geflüchtete geben aus Angst vor der Rückkehr in ihr Heimatland, wo sie Hunger, Krieg und Verfolgung erwartet, Krankheiten oder fehlende Dokumente als Grund gegen eine Abschiebung an. Jetzt soll eine gesonderte Organisationseinheit für schnelle Dokumentenbeschaffung sorgen. Außerdem wird es Gesundheitsuntersuchungen vor der Abschiebung geben.
Das Kernstück jedoch sind die sogenannten „Aufnahme-Einrichtungen“. Diese reduzieren das Abschiebeverfahren für alle „unerwünschten“ Geflüchteten auf höchstens drei Wochen. Zwar werden sich diese weder direkt an der Grenze befinden noch werden dort direkt Haftbedingungen herrschen. Doch die dort geltende Residenzpflicht zieht eine unsichtbare Mauer um die Stadt oder den Landkreis. Das erstmalige Verlassen dieser Gebiete führt zum Verlust von Leistungen sowie zum Ruhen des Asylverfahrens. Beim zweiten Mal wird sofort abgeschoben. Abschreckung durch Entrechtung – das sind die „Transitzonen light“.
Von rechts getrieben
Nach dem Koalitionsgipfel gaben sich alle zufrieden: Die scheinheilige Totalopposition der SPD gegen die „Transitzonen“ entblößte sich als reine Sprachkritik. Die FAZ versuchte, Merkel als „Gewinnerin dieses jüngsten Asylkompromisses“ darzustellen. Tatsächlich jedoch konnten sich die rechten Teile der Regierung durchsetzen. Dieser von Seehofers CSU angeführte Teil konnte alle wesentlichen Programmpunkte zu Gesetz machen. Der bayerische Innenminister Hermann fasst diese Tatsache wie folgt zusammen: „Noch vor wenigen Wochen hat die SPD in Bayern und im Bund die Aufnahme- und Rückführungszentren in Manching und Bamberg heftig kritisiert, jetzt gelten sie auf einmal als Vorbild für weitere Einrichtungen in anderen Bundesländern.“
Tatsächlich wurden diese Zentren in grenznahem Gebiet erbaut, um gezielt Geflüchtete aus dem Westbalkan schnell wieder zurück in ihre Heimat zu schicken. Auch wenn sie nicht ihre gesamte Politik durchbringen konnte, kann sich die CSU jetzt als Vorreiterin verkaufen und in der Offensive bleiben. Ihre rassistische Modellpolitik weitet sich somit dank des jüngsten „Asylkompromisses“ auf die Bundesrepublik aus.
Und so freut sich Hermann weiter, dass „Abschiebehemmnisse reduziert und abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben“ werden. Doch: „Wir sind noch nicht am Ziel“. Auch Seehofer bezeichnet es als einen „sensationelle[n] Erfolg, in so kurzer Zeit von einer reinen Willkommenskultur zu einer realistischen Flüchtlingspolitik“ gelangt zu sein. Auf Facebook startete die CSU eine Kampagne, in der sie es als Ergebnis ihrer konsequenten Politik darstellt, dass Deutschland „das härteste Asylrecht aller Zeiten“ habe.
Kommende Angriffe
Der harte Kurs der Rechten und die mehreren Asylgesetzverschärfungen führen dazu, dass nur noch zwei Prozent der Geflüchteten aus „sicheren Herkunftsländern“ kommen. Deutschland ist also kein Schutz mehr für Menschen aus dem Kosovo, die als Roma verfolgt werden oder unter den Auswirkungen der NATO-Bombardierungen zu leiden haben. Mit diesem „Erfolg“ im Rücken haben sie es jetzt auf die Kriegsgeflüchteten abgesehen. Sie waren bisher die einzigen, die noch mehr oder weniger von den Angriffen verschont geblieben waren. Nach dem neuen Gesetz soll der Familiennachzug für bestimmte Gruppen ausgesetzt werden. Das soll für Geflüchtete gelten, die weder nach der Genfer Flüchtlingskonvention noch nach dem Asylrecht anerkannt sind, die aber eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten, weil in ihrem Land beispielsweise Folter oder Mord drohen („subsidiäre Schutzbedürftige“).
Innenminister Thomas de Maizière nutzt diese menschenfeindliche Regelung jetzt aus, um den Familiennachzug für die syrischen Geflüchteten, die absolute Mehrheit aller Asylbewerber*innen, auszusetzen. Dafür möchte er Einzelfallprüfungen für Syrer*innen einführen, um den Schutzstatus zu prüfen. Sollten sie „subsidiären Schutz“ bekommen, wäre ihr Aufenthalt begrenzt und ihre Frauen, Kinder, Männer oder andere Angehörige müssten weiterhin im Kriegsgebiet bleiben.
Damit will der Innenminister die Tatsache perfide ausnutzen, dass viele Familien häufig die Männer, aber zum Teil auch kleine Kinder, alleine losschicken, weil die lange Reise zu beschwerlich oder teuer für alle ist, in der Hoffnung, in einem zweiten Schritt die Familie zusammenführen zu können. Es ist vollkommen absurd zu bezweifeln, dass auch nur ein*e syrische*r Geflüchtete*r, der*die die schwierige und gefährliche Reise nach Deutschland auf sich genommen hat, keinen Grund zur Flucht hat. Tatsächlich ist der deutschen Bourgeoisie der syrische Bürger*innenkrieg so heikel, dass sie nur passiv durch Waffenexporte und die Ausbildung und Belieferung der Perschmerga am Krieg beteiligt ist. Der syrische Staat löst sich auf. Verschiedene Interessengruppen, unterstützt von den wichtigsten regionalen und traditionellen Mächten, haben das Land unter sich aufgeteilt. Und es ist kein Ende in Sicht in einem Krieg, der schon mehr als eine Viertelmillion Opfer gefunden hat.
Eine ähnliche Diskussion begann schon wenige Tage zuvor, als im Rahmen der Ausdehnung der Militärintervention in Afghanistan den Geflüchteten aus dem zentralasiatischen Land das Recht abgesprochen wurde, als Kriegsgeflüchtete zu gelten. In der Logik der herrschenden Klasse würde die imperialistische Einmischung die Bedingungen schaffen, dass Afghan*innen die Möglichkeit besäßen, in ihrer Heimat zu bleiben. Die Wirklichkeit beweist jedoch das exakte Gegenteil, wie die willentliche Zerstörung eines Krankenhauses der „Ärzte Ohne Grenzen“ in Kunduz durch die US-Luftwaffe beweist.
Regierung in Krise
Auch wenn das Bundeskanzleramt de Maizière zurückpfiff und die Debatte für beendet erklärte, stellten sich danach zahlreiche Politiker beider Unionsparteien, darunter bekannte Gesichter wie Wolfgang Bosbach und Wolfgang Schäuble, hinter den Minister und forderten schnelle Gespräche mit dem Koalitionspartner. Das ist ein weiterer Beweis, dass die Regierung die Kontrolle über die Situation zu verlieren droht. Egal welche Verschärfung sie durchsetzt, am nächsten Tag wird sie von rechts infrage gestellt, jede Initiative reicht zu kurz.
In diesem Rahmen ist die politische Verschiebung nach rechts, die sich in zahlreichen Umfragen erkennbar macht, ein bedeutender Faktor der Instabilität. Doch die Regierung wird nicht nur im Überbau hinterfragt und kritisiert: Wöchentlich stehen Tausende in mehreren Städten Deutschlands auf der Straße, um gegen Merkel und ihre Asylpolitik zu protestieren. Die AfD kanalisiert diese rechte Opposition zur Regierung parlamentarisch. Auf der Straße schlägt sie sich in den hunderten gewalttätigen Angriffen auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte nieder.
Es regt sich jedoch auch Widerstand von links. Eine kleine, aber bedeutende Demonstration fand in Offenbach statt, als 300 Geflüchtete gegen die Qualität des Essens, mangende Kleidung, Hygieneartikel, Decken, Betten, medizinische Versorgung, Verschmutzung der Sanitäreinrichtungen und Überfüllung protestierten. Die zum Teil militanten Blockadeversuche rassistischer Demonstrationen, wie am vergangenen Wochenende in Berlin oder die erfolgreiche Blockade am Montag in München, häufen sich und gewinnen an Kraft. Es sind vor allem Jugendliche, die dort ihren genuinen Hass gegen fremdenfeindliche Bewegungen und die sie beschützende Polizei ausdrücken. Genau diese organisieren am 19. November einen neuen Schul- und Unistreik, der sich gegen den Rassismus von Pegida und Staat richtet. Sie fordern auch eine vollständige Ausweitung des Asylrechts, ein Ende der Lager und Abschiebungen und Bleiberecht für alle. Mit diesen Forderungen in der Hand müssen wir eine breite antirassistische Bewegung aufbauen, die den neuen „Asylkompromiss“ und die kommenden Angriffe der Regierung und den rassistischen Bewegungen und Parteien zurückschlägt.