REAL in München Obersendling: SPD sieht „einmalige Chance“ im möglichen Aus für Hunderte Arbeiter*innen

05.12.2016, Lesezeit 5 Min.
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Die Arbeiter*innen im Einkaufszentrum an der Münchner Machtlfinger Straße stehen plötzlich vor dem Aus, teils nach Jahrzehnten Anstellung. Anstatt für die Arbeitsplätze einzutreten, die wohl nicht ganz zufällig jetzt wegfallen sollen, verplant die SPD schon mal das frei werdende Grundstück.

Am 17. Dezember ist der letzte Verkaufstag beim REAL in Obersendling im Münchner Südwesten. Die Regale sind jetzt teilweise schon leergeräumt. Anlass ist die angebliche Baufälligkeit der Einkaufszentrum-Immobilie, die REAL beherbergt.

Bei einer Sanierung im Sommer möchte die REAL-Geschäftsleitung entdeckt haben, dass man das 60er-Jahre-Gebäude nicht mehr verwenden kann – zunächst ohne jemandem etwas davon zu sagen. Details gibt sie bis heute nicht heraus.

Allein bei der REAL-Filiale arbeiten 116 Menschen, dazu kommen Mitarbeiter*innen der zahlreichen anderen Geschäfte, wie im Friseursalon oder der Reinigung, im McDonalds oder Vinzenzmurr, beim Blumen- oder Schlüsselladen, in der Apotheke. Über Gespräche zu einem Sozialplan haben die Chefs und der Betriebsrat des REAL-Markts bisher Stillschweigen vereinbart.

Auch die Mitarbeiter*innen in den anderen Geschäften des Einkaufszentrums neben der U3-Station sind betroffen, darunter zum Beispiel Beschäftigte, die schon Jahrzehnte bei den Läden im Einkaufszentrum angestellt sind. Insgesamt arbeiten um die 150 Menschen hier.

Dabei gibt es eine tarifvertragliche Vereinbarung mit dem Betriebsrat von REAL, dass eine Schließung mindestens 15 Monate im Voraus mitgeteilt werden müsste – statt wie in Obersendling nur drei Monate zuvor. Vor kurzem erst war der Mietvertrag sogar um zehn Jahre verlängert worden. Auch kamen die Chefs der Forderung des Betriebsrats nicht nach, ein Gutachten über das mutmaßlich marode Gebäude vorzulegen.

Probleme mit der Bausubstanz – oder knallharte Konzernstrategie?

Alles reichlich seltsam. Oder steckt gar nicht die Bausubstanz hinter der Schließung von heute auf morgen? Es ist nämlich lange nicht der einzige REAL-Markt, der nach dem Willen des Metro-Konzerns in Deutschland schließen soll. Im September 2015 kündigte der Eigentümer an, „chancenlose“ Märkte zu schließen – und schuf Fakten. Mindestens 17 von 300 Märkten wurde dieses Jahr schon die Schließung angekündigt, Ende November traf es den nordrhein-westfälischen Standort Iserlohn mit rund 120 Mitarbeiter*innen.

Hintergrund ist der geringere Profit des Konzepts von Großflächen-Geschäften in Einkaufszentren, angesichts des Erfolgs von Amazon und Co. – aber es ist auch ein Angriff auf die Tarifverträge bei REAL: Metro möchte größere Teile seines Personals und die Tarifverträge mit ihnen loswerden. Ein Wirtschaftsberater sprach erst kürzlich davon, ein „Ackergaul zum Rennpferd“ machen zu müssen – mit den Pferden sind dabei die Arbeiter*innen gemeint, die die Profitinteressen der Kapitalist*innen ausbaden müssen.

Deshalb drängt sich der Verdacht auf, dass das marode Gebäude nur ein Vorwand ist, um ohnehin geplante Schließungen voranzutreiben – und den „Zukunftsvertrag“ unterlaufen, der allen bis auf 18 Standorten eine vorläufige Erhaltsgarantie zusprach. Sonst wäre die Entscheidung kaum Hals über Kopf gefallen, der Prozess wäre nicht dermaßen intransparent, man hätte das Gebäude sanieren oder sich nach einem neuen Platz bei Erhalt der Arbeitsplätze umsehen können.

Wie reagiert die Politik nun auf diesen dubiosen Fall, der allem Anschein nach eine Schließung fingieren soll? Die SPD befasst sich nicht mit den bedrohten Arbeitsplätzen, stellt keine unnötigen Fragen – sondern möchte direkt das Gebiet neu planen.

Der Partei von Hartz IV geht es offenbar nur um die schöne Fassade des Viertels, ihr liegt nichts an den Beschäftigten. Als wären Lohnabhängige nur Inventar des Gebäudes, das einfach mit entsorgt wird. Dass die Einzelhandelsgeschäfte weiter in Containern verkaufen könnten, bis ein neues Gebäude steht, wie die SPD hinzufügt, erscheint angesichts des gut 7.500 Quadratmeter großen Einkaufszentrums unrealistisch. Zumal die REAL-Leitung daran gar kein Interesse zu haben scheint.

Wer soll dann im schönen neuen Obersendling leben?

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, soll über den REAL hinaus das ganze Gelände an der Machtlfinger Straße neu geplant werden, auch die Tankstelle neben dem Kund*innenparkplatz – nach dem Willen des SPD-geführten Bezirksausschusses (BA). Am 6. Dezember wird im BA darüber entschieden, die SPD-Lokalpolitiker*innen sehen in ihrem Antrag eine „einmalige Chance“, um „dieser Schmuddelecke ein neues, positives Gesicht zu geben“.

Nun ist unbestritten, dass es schönere Fleckchen Erde gibt als die Machtlfinger-Boschetsrieder-Ecke, an der der REAL-Markt steht: industriell geprägte Gegend, ein bisschen Niemandsland. In der Nähe die Auffahrt zum Autobahnring, man kann nebenan Wohnungen tageweise und Garagenlagerplätze mieten, gegenüber vom REAL steht eine Spielothek.

Hinter der Eile der Politik steckt wiederum Profit: Als Begründung für die schnelle Abwicklung nennen die Politiker*innen der SPD, dass man die Umgebung des Wohnquartiers „Am Südpark“, das sich in Bau befindet und vor dem ein kleines Häuschen steht, in dem man sich über Eigentumswohnungen informieren kann, „freundlich und möglichst angstfrei für Fußgänger“ gestaltet werden soll. Aber „freundlich“ für wen?

In der Obersendlinger „Schmuddelecke“, die den Bezirksausschuss ein Dorn im Auge ist, verdienen aber Menschen ihren Lebensunterhalt. Viele Familien hängen an den Einkommen aus dem Einkaufszentrum, kurz vor Neujahr müssen sie sich nun Sorgen um ihre Mietzahlungen machen. Sie werden nach einer Entlassung nicht „angstfrei leben können“. Und werden es sich ganz sicher nicht leisten können, in die schöne neue Welt einzuziehen, die sich Sozialdemokrat*innen neben dem Südpark ausmalen.

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