Rauswurf aus der Familie?

07.06.2015, Lesezeit 4 Min.
Gastbeitrag

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// SIEMENS AG: Viele SiemensianerInnen verstanden sich lange Zeit als Teil einer großen Familie. Doch der Vorstand will erneut tausende „Familienangehörige” auf die Straße setzen. //

Im Februar wurden 7.800 Entlassungen angekündigt. Nun legt Siemens-CEO Joe Kaeser mit neuen Umstrukturierungsplänen nach: Am 4. Mai verkündete er den Abbau weiterer 4.500 Stellen in der ehemaligen Division „Energy“. Kaeser ist international nun für mehr als 12.000 verlorene Jobs verantwortlich. Und trotz steigender Gewinne setzt der Vorstand mit seinen erneuten Umbauplänen – „Vision2020“ und „Power and Gas2020“ – zu weiteren Angriffen auf die ArbeiterInnen an. So werden die beiden Programme zu einer Horrorvision für die Belegschaft.

Auch im Berliner Gasturbinenwerk sollen massiv Arbeitsplätze abgebaut werden. Von den 3.700 Beschäftigten in Produktion, Verkauf und Service soll jedeR Vierte das Werk verlassen. Die Stimmung ist angespannt. Am 8. Mai informierte die Unternehmensleitung die Belegschaft über das vermeintlich notwendige Transformationsprogramm am Standort. Obwohl die Produktionszahlen steigen und die Auftragsbücher sich füllen, möchte die Unternehmensleitung die Produktpalette einschränken. Die Industriegewerkschaft Metall (IGM) kritisiert die so sinkende Flexibilität und damit die sinkende Konkurrenzfähigkeit. KollegInnen äußern die Befürchtung, dass nun das gesamte Werk und nicht mehr nur einzelne Abteilungen auf ihre Schließung vorbereitet werden.

Aussicht: Befristung

Um die Perspektive vor allem für Auszubildende, Werksstudierende und Dual-Studierende im Werk steht es schlecht. Sie bekommen die Angriffe der Chefs schon jetzt zu spüren. Unbefristete Übernahmen gibt es kaum noch. Fast alle Auszubildenden bekommen nur noch Verträge für ein Jahr. Die Angst, die durch diese Ankündigungen geschürt wird, entmutigt viele Auszubildende. Vergangene Aktionen der IGM für bessere Übernahmebedingungen der Lehrlinge scheiterten. Zwar konnte die Leitung nach der Kampagne „Operation Übernahme“ zur Aufnahme der garantierten unbefristeten Übernahme verpflichtet werden. Eine Klausel befreit das Unternehmen jedoch von dieser Regelung bei schlechter wirtschaftlicher Lage. Das legt klar die Heuchelei der Gewerkschaftsbürokratie offen.

Auch die KollegInnen in Mühlheim an der Ruhr sind von den Kürzungen betroffen: 950 Beschäftigte von Power & Gas müssen hier gehen. Das steigert die Solidarität unter den KollegInnen deutschlandweit und kann eine Chance für eine gemeinsame Kampagne gegen Entlassungen werden, die alle Standorte mit einschließt.

Auslagerungen

Vom Berliner Gasturbinenwerk soll die Endmontage ganzer Turbinen nach Saudi-Arabien und St. Petersburg verlegt werden. Fertigung und Zukauf von Bauteilen sollen nach Budapest und Brünn ausgelagert werden. Zwar würden so 100 neue Stellen im Ausland entstehen, doch was bringt diese Zahl angesichts der massiven Streichungen? Allein in Deutschland wird Siemens 6.800 Menschen weniger beschäftigen. Die IGM plädiert in ihren Stellungnahmen nur für den Erhalt dieser Arbeitsplätze. Dass weltweit über 12.000 ArbeiterInnen entlassen werden sollen, scheint für sie nebensächlich zu sein.

Der Betriebsrat reagierte am 12. Mai mit einer Betriebsversammlung auf offenem Gelände des Gasturbinenwerks. Dazu wurde die Arbeit für eine Stunde niedergelegt. Der Andrang war sehr groß und die Stimmung kämpferisch. Es kamen KollegInnen sowie Betriebsräte aus dem Berliner Schalt- und Messgerätewerk. Diese außerordentliche Betriebsversammlung wurde nicht beendet. Damit behält sich die IGM das Recht vor, sie jederzeit wieder einzuberufen. Für den 9. Juni wurde die Fortsetzung im Rahmen eines Aktionstages angekündigt.

Widerstand

„Mensch vor Marge“ hat sich die IGM seit Jahren auf die Fahnen geschrieben. Gegen die Entlassungspläne jedoch geht der Betriebsrat bisher nur vor, indem er freundliche Briefe verfasst und Gespräche mit CDU-Abgeordneten sucht. Er vertritt immer wieder standortnationalistische Positionen, statt für alle entlassenen KollegInnen einzutreten. Um dem „Sozialpartner“ entgegen zu kommen, ruft der Betriebsrat sogar die Belegschaft dazu auf, selber Kürzungsvorschläge im Rahmen von kostensenkenden Maßnahmen zu machen. Letztendlich stellt also auch die IGM die Interessen der KapitalistInnen über die der ArbeiterInnen. Diese Strategie kann nicht zum Erfolg führen.

Wir wollen, dass keine Kollegin und kein Kollege gehen muss. Die ArbeiterInnen dürfen sich nicht einschüchtern lassen und müssen sich auch gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie betrieblich und überbetrieblich organisieren. Wir brauchen einen Kampfplan, um gegen die Entlassungen vorzugehen. Die Umstrukturierung darf nicht auf dem Rücken der Belegschaft ausgetragen werden. Wir wollen uns nicht von der Gier der KapitalistInnen verschlingen lassen!

Günter Heu ist Arbeiter bei der Siemens AG in Berlin.

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