Rammstein: Das Millionen-Business will keine Aufklärung zulassen

13.06.2023, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Jonas Rogowski / Wikimedia Commons

Auf die Vorwürfe gegen Rammstein folgen juristische Einschüchterungen und Hetze gegen die mutmaßlichen Opfer. Der zunehmende Antifeminismus in der Gesellschaft ruft aber auch Gegenwehr hervor.

Seit die Irin Shelby Lynn öffentlich machte, bei einer After-Show-Party der Band Rammstein sexistische Übergriffe erlebt zu haben, haben auch zahlreiche weitere Frauen Vorwürfe des Machtmissbrauchs und der sexualisierten Gewalt gegen Rammstein-Frontmann Till Lindemann vorgebracht. Obwohl dies in den vergangenen beiden Wochen die deutschen Schlagzeilen bestimmte und auch international für Aufsehen sorgte, sind keine ernsten Schlussfolgerungen zu erwarten. Die Konzertreihe mit hunderttausenden Zuschauer:innen in München und Berlin findet statt. Von Seiten der Stadtregierungen gibt es lediglich Auflagen, die „Row Zero“ zu verbieten, After-Show-Partys abzusagen sowie Awareness-Teams einzusetzen.

Einschüchterung durch Geld und Macht

Es ist fraglich, ob es eine umfassende Aufklärung geben wird: Rammstein haben Anwälte eingeschaltet, die mit Unterlassungsklagen gegen Frauen vorgehen, die sich zu Wort gemeldet haben. Sie versuchen zudem, die Medienberichterstattung einzuschränken. Hinter Rammstein steht eine riesige Profit-Maschinerie: 200 Millionen Euro setzten die Musiker vergangenes Jahr allein mit Konzert-Tickets um. Sie sind in diesem Bereich damit die sechst-erfolgreichste Band der Welt. Rammstein sind internationale Mega-Stars, die größte deutsche Musik-Marke. Lindemann hat jede Macht der Welt, um mit den Frauen umzugehen, wie er will.

Eine juristische Aufklärung wird unter diesen Umständen kaum möglich sein. Die teuersten Medienanwälte Deutschlands stehen in Lindemanns Diensten. Vermeintliche Opfer werden eingeschüchtert, mit Abmahnungen und durch mediale Stimmungsmache. Statt die Vorwürfe ernst zu nehmen, wird von vielen Seiten die Glaubwürdigkeit der Frauen angezweifelt und die mutmaßlichen Taten werden relativiert.

Wir sind nicht der Meinung, dass ein Verbot von Rammstein-Konzerten den strukturellen Machtmissbrauch und die immer wieder vorkommende sexualisierte Gewalt in der Musikindustrie aufheben kann. Genauso wenig vertrauen wir auf eine Aufklärung durch die bürgerliche Justiz. Denn sie ist nicht unabhängig, sondern steht unter dem gewaltigen Druck der medialen Stimmung und der Profitinteressen. Stattdessen braucht es die Aufklärung sowohl einzelner Taten, als auch des zugrundeliegenden Systems durch Kommissionen unter Beteiligung von unabhängigen Beschwerde- und Beratungsstellen. Im Rahmen einer solchen unabhängigen Aufklärung sollten sich die betroffenen Frauen, frei von jeder Einschüchterung, selbstorganisiert vernetzen können, um die Vorfälle aufzuarbeiten.

Organisieren wir uns gegen Sexismus und Gewalt

Die Debatte um Rammstein und sexualisierte Gewalt im Show-Business politisiert viele junge Leute: Die dahinter liegende sexistische Systematik wurde durch die Youtuberin Kayla Shyx in einem Video deutlich beleuchtet. Auch der Youtuber Rezo klagte Lindemanns Sexismus an. Diese Wut auf Lindemann und die Musikindustrie wollen wir auch an die Orte tragen, an denen wir tagtäglich leben: In der Familie, in der Schule, in der Uni und am Arbeitsplatz findet sexualisierte Gewalt statt, sie ist nicht zu Ende, wenn eine Band verboten wird. Fast jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem derzeitigen oder ehemaligen Partner getötet. Deswegen wollen wir uns an diesen Orten des täglichen Lebens organisieren, um den Sexismus an der Wurzel anzupacken. Wir kämpfen gegen die Kette der Gewalt, die sich in der alltäglichen Kontrolle von weiblichen Körpern ausdrückt und bis hin zu Vergewaltigungen und Feminiziden reicht. Und wir kämpfen auch gegen die strukturelle Gewalt, die sich im Gender Pay Gap, Altersarmut von Frauen und der finanziellen Abwertung feminisierter Sektoren, wie zum Beispiel Kitas oder Krankenhäuser, niederschlägt.

Dies bedeutet auch, sich gegen die Rechten zu stellen, die einen Kulturkampf gegen den Feminismus führen, bei dem sie auch nicht davor halt machen, Opfer durch den Schlamm zu ziehen. Nicht ganz zufällig bekam Rammstein Zuspruch von der AfD. Eine Studie von Plan International zeigt, dass 33 Prozent der jungen Männer es akzeptabel fänden, wenn ihnen gegenüber der Partnerin „gelegentlich die Hand ausrutscht“. Die Antwort der Ampel-Regierung darauf ist die Verschärfung von Gesetzen bei Gewalt gegen Frauen. Dies löst aber die strukturelle Benachteiligung der Frauen nicht, sondern legt die Hoffnungen in die Hände des Staates und einer Justiz, die – wie im Fall Rammstein – keine unabhängige Aufklärung leisten kann.

Das Ende der Gewalt wird sich nicht durchsetzen lassen, indem wir auf die Ampel-Parteien vertrauen. Dafür müssen wir stattdessen die Stärke der Arbeiter:innenbewegung und der Selbstorganisierung nutzen. In den vergangenen Monaten streikten zehntausende Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst und dem Gesundheitswesen für höhere Löhne. Davon profitieren nicht nur die Beschäftigten, die in diesem Bereich mehrheitlich Frauen sind. Auch die Versorgung für Kindererziehung und Gesundheit kann verbessert werden. Am 8. März – dem internationalen feministischen Kampftag – beteiligten sich auch zahlreiche Streikende in verschiedenen Städten an den Demonstrationen für die Frauenbefreiung. Sie zeigen, dass die Arbeiter:innenklasse eine Gesellschaft ohne Ausbeutung erkämpfen und auch gegen die patriarchale Gewalt vorgehen kann.

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