Querdenker:innen: „Kämpft für die Freiheit, kämpft für die Liebe“

23.12.2021, Lesezeit 7 Min.
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Querdenker:innen-Demo am 22. Dezember in München. Foto: KlasseGegenKlasse.org

In München gehen 5.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Corona-Politik zu demonstrieren. Eine Meinung zu der Querdenker:innen-Demo und der antifaschistischen Gegenkundgebung.

Trotz einer Außentemperatur von -2 Grad versammeln sich im Münchner Univiertel am Mittwochabend erneut bis zu 5.000 Menschen, um gegen die Impfpflicht und Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Was ursprünglich als „Umzug“ auf dem Geschwister-Scholl-Platz geplant war und eigentlich wegen Verlegung auf die Theresienwiese abgesagt wurde, fand schließlich als „Spaziergang“ auf der Ludwigstraße statt. Die Querdenker:innen versammeln sich unter dem Label „München steht auf“. Zu hören sind Rufe wie „Widerstand“ und „Wir sind das Volk“, die man auch von Pegida-Kundgebungen kennt. Wir werden von diesen Teilen der Demo mit unseren Masken und unserer Funktionskleidung als „Antifanten“ erkannt, aber sonst passiert uns nichts.

Die Rechten führen die Demo an, inhaltlich, aber auch taktisch mit gelegentlichen Durchbrüchen gegenüber der auffällig passiven Polizei. Die Basis ist eine Vielfalt an offensichtlich unorganisierten Leuten, die anscheinend keine Demo-Erfahrungen haben. Leute mit Kerzen, die gemeinsam singen und „Kämpft für die Freiheit, kämpft für die Liebe“ rufen, Familien, Schaulustige. Leute, die – überrascht von dem Gedränge rechter Hools, die in einem Moment aus der Polizeiabsperrung ausbrechen – etwas ängstlich ihre Kinder in Sicherheit bringen.

Man muss aber nicht die Motivation aller einzelnen Teilnehmer:innen verstehen, um den Charakter der Querdenker:innen-Bewegung in Deutschland zu kennen. Es ist eine rechte kleinbürgerliche Bewegung im Interesse des Großkapitals, die für eine kapitalistische Öffnungspolitik steht und dabei den Tod von hunderttausenden Menschen in Kauf nimmt. Der Ausgangspunkt der Rechten ist nicht Esoterik – es gab schon vorher Leute, die wilden Verschwörungsmythen anhingen, aber sie brachten nicht 5.000 Menschen auf die Straße. Der materielle Kern dieser Bewegung, der sich mit einem Nebel aus ideologischem Irrationalismus umgibt, ist die Unternehmensfreiheit gegen staatliche Eingriffe.

Wer repräsentiert die Unzufriedenheit mit der Regierung?

Natürlich gibt es berechtigte Unzufriedenheit mit der desaströsen Politik der Regierung in der Bevölkerung, aber diese wird nicht auf diesen „Spaziergängen“ repräsentiert. Es gibt viele gute Gründe, sauer auf die Corona-Politik zu sein: Eltern, die ihre Kinder trotz Lohnarbeit betreuen müssen; Beschäftigte und Auszubildende, die in den Krankenhäusern arbeiten und auf deren Rücken die Krise ausgetragen wird; denen der Corona-Bonus zum Teil vorenthalten wurde; deren Kolleg:innen entlassen werden, weil sie nicht geimpft sind; aber auch kleine Ladenbesitzer:innen, die wegen des Zickzacks der Regierungspolitik ständig vor der Pleite stehen; und Jugendliche, die ihre Sozialkontakte herunterfahren müssen während die Industrie weiter für Profite das Virus verbreiten darf; und viele weitere. Aber diese Gründe werden auf der Querdenker:innen-Demo politisch nicht vertreten.

Szenenwechsel: etwa 200 Menschen am Odeonsplatz wenige Stunden zuvor. Die Gegenkundgebung findet mit antifaschistischer Rahmung unter dem Motto „Solidarität statt Schwurbelei“ statt. Es werden Reden unter anderem von den Jusos, der DGB-Jugend, der Linksjugend solid und einem Rettungssanitäter aus dem Landkreis Miesbach gehalten. Die Botschaft der Kundgebung: sich nicht impfen zu lassen und gegen die Maßnahmen zu sein, sei unsolidarisch. Die zweite Botschaft: Alle Leute, die auf Querdenker:innen-Demos mitlaufen, machten sich mit Rechten und Verschwörungsideolog:innen gemein, die extrem rechte, antisemitische und faschistische Narrative verbreiten. Die Linksjugend verweist zusätzlich darauf, dass die Polizei selbst von Rechten durchtränkt und kein guter Bündnispartner gegen „Schwurbler:innen“ ist.

Unerwähnt bleibt die Unfähigkeit und kapitalistische Interessenpolitik der Regierung. Die Regierung hatte zwischenzeitlich die Impfzentren und Testmöglichkeiten heruntergefahren, um Einsparungen zu machen, die Freigabe der Impfpatente blockiert, welche eine globale Ausbreitung der Pandemie verhindern könnte, und die Wirtschaft einfach weiter produzieren lassen, während private Kontaktbeschränkungen hochgefahren werden. Gleichzeitig zu dieser Politik gibt es Repressionen in Form von Berufsverboten für Ungeimpfte. Die Schuld wird auf die Bevölkerung und deren mangelnde Impfbereitschaft abgewälzt, womit die Schließung der Impfzentren im Herbst als Kardinalproblem verschleiert wird, dessen politische Verantwortung die SPD mitträgt. Repressionen wie Entlassungen im Gesundheitsbereich spalten die Belegschaften und sind arbeiter:innenfeindlich, stattdessen sind Informations-, Test- und Impfkampagnen im Betrieb vor Ort nötig. Entscheidungen über Maßnahmen und den weiteren Betrieb industrieller Einrichtungen müssten von Betriebs- und Personalräten in Versammlungen mit der Belegschaft getroffen werden. Eine Kundgebung, der all diese Elemente fehlen, ist lediglich eine Verteidigung der kapitalistischen und autoritären Pandemiepolitik der Regierung.

Auf der Gegenkundgebung ist die Frage nach dem Kampf gegen Rechts stark getrennt von sozialen Fragen. Ein Ärgernis in der Rede der DGB-Jugend fiel daher wahrscheinlich wenigen Zuhörenden überhaupt auf. In dieser Rede kritisiert die DGB-Jugend München die Forderung der Rechten, das Gehalt von Pflegekräften zu verdoppeln: „Das ist ein Schlag ins Gesicht für ver.di“. Natürlich ist diese Forderung der Rechten Heuchelei, richtigerweise verweist der Redner darauf, dass sie sich für die Gesundheitsstreiks im Herbst nicht interessierten. Aber es bleibt unerwähnt, dass es tatsächlich zu einem schlechten Abschluss der Tarifverhandlungen kam. Viele Gewerkschaftsaktive wären bereit gewesen, weiter zu streiken. Dass die Bürokratie der Gewerkschaften die Verzichtspolitik der Regierung mitträgt, dass es keine massiven Streiks für mehr Personal gibt, verfestigt ja gerade die problematische Situation in den Krankenhäusern, auf die auch ein Rettungssanitäter in seiner Rede hinweist.

„München steht auf“ vertritt eine kapitalistische Öffnungspolitik. Mit ihrer Unfähigkeit, ihrem Zickzack und ihrer kapitalistischen Interessenpolitik bereitet die Regierung den Boden für rechte Bewegungen. Eine politische Linke, die sich in so einer Situation nur auf Ablehnung der rechten Führung der Querdenker:innen beschränkt, ohne ein eigenes Programm gegen die Regierungspolitik aufzustellen, vertieft lediglich dieses Problem. Die Arbeiter:innen und Linken brauchen eine eigene Repräsentation, unabhängig von der Ampel-Regierung. Wo und mit welchem Programm können sich also Menschen versammeln, die sich gegen die Pandemiepolitik der Regierung aussprechen?

Die relativen Erfolge der Rechten in Bezug auf die Querdenker:innen sind Resultate der Regierungspolitik. Gegen die Demos der Querdenker:innen sollten Linke und Arbeiter:innen mobilisieren, um Rechten nicht die Straßen zu überlassen. Aber dafür benötigen sie ein von der Regierung unabhängiges Programm.

So sollen sich die notwendigen Pandemie-Maßnahmen gegen die Kapitalist:innen richten und nicht gegen die Arbeiter:innen. Ein Anfang wäre zum Beispiel eine Kundgebung, welche die Freigabe der Impfpatente fordert, vor einem der Patentämter in München. Es ist auch keine Zeit für eine passive Haltung der Gewerkschaften. Sie müssen für mehr Personal in den Krankenhäusern, für die Entscheidung von Betriebs- und Personalräten über Gesundheitsmaßnahmen im Betrieb, für volle Lohnfortzahlung bei vorübergehenden Schließungen und die Kontrolle von Arbeiter:innen über notwendige Beschränkungen des öffentlichen Lebens (zurzeit ist dafür ein Bundeswehr-General zuständig!) mobilisieren, aber auch gegen Entlassungen ungeimpfter Kolleg:innen.

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