Queere Befreiung geht nur international und antikapitalistisch

08.08.2023, Lesezeit 10 Min.
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Internationalist Queer Pride Berlin im Juli 2023, Foto: Tabea Krug

Queere Menschen wurden in den letzten Wochen und Monaten vermehrt angegriffen. Dies geht nicht nur von Rechten aus, sondern auch von selbsternannten „fortschrittlichen“ Staaten. Wie können wir für eine echte queere Befreiung kämpfen?

In den letzten Wochen und Monaten sind die Nachrichten voll mit Meldungen aus den USA über Gewalt gegen queere Personen und diskriminierende Gesetze und -entwürfe.

In Florida wurde im März 2022 das umstrittene „Parental Rights in Education“ Gesetz, umgangssprachlich spöttisch „Don’t Say Gay Bill“ genannt, vom konservativen Gouverneur Ron DeSantis verabschiedet. Dieses verbietet, in Schulen über LGBT+-Themen zu sprechen. Was auch zur Folge hat, dass die ohnehin oft lückenhafte Aufklärung über wichtige Themen wie zum Beispiel nicht-heteronormativem Sex hintenrunterfällt. Es trägt ebenso zur Isolation von queeren Schüler:innen und Lehrkräften bei, da der Staat ganz deutlich zeigt, dass Gespräche über ihre Identität oder auch über so banale Themen wie den Urlaub den eine Lehrerin mit ihrer Partnerin verbracht hat, keinen Platz in der Schule haben sollen. Queere Themen und das offene Zeigen von queeren Existenzen werden als Gefahr für Kinder gebrandmarkt.

Ein Jahr später, im März 2023, wurde ebenfalls in Florida ein Gesetz verabschiedet, welches es möglich macht, geschlechtsangleichende Maßnahmen wie Hormontherapie als schwere Körperverletzung an Kindern einzustufen und auf dessen Grundlage Eltern das Sorgerecht zu entziehen.

Dagegen spielten die Angriffe auf trans Personen in Joe Bidens State of the Union Speech eine untergeordnete Rolle: Gerade mal 9 Sekunden nahm er sich für eine Anklage. Er stellte einen Gesetzentwurf vor, der lediglich vorsieht, Diskriminierung auf Grund des Geschlechts in öffentlichen Bereichen wie Schwimmbädern, Fitnessstudios oder Umkleiden zu verbieten. Abgesehen davon, dass das die anti-trans-Gesetze keinesfalls aufwiegt, kann im Einzelfall immer noch nicht garantiert werden, dass keine Diskriminierung von Seiten der Betreiber:innen oder Besucher:innen der Einrichtungen erfolgen wird. Was sollen queere Menschen dann machen, etwa die Polizei rufen? Die selbe Polizei, die regelmäßig rassistische Morde begeht, oder die Jugendliche bei Protesten gegen die reaktionären anti-LGBT+-Gesetze zu Boden prügelt oder festnimmt. Uns muss klar sein, dass die Polizei nicht unser „Freund und Helfer“ ist, sondern dazu dient, den kapitalistischen Staat zu schützen, auch unter Anwendung von Gewalt. Wenn wir Gewalt erfahren, wird die Polizei also nicht auf unserer Seite sein.

Obwohl weltweit Reformen auf den Weg gebracht werden, die queeren Menschen nützen können — Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe in 34 Ländern, die Möglichkeit in einigen Ländern vergleichsweise unkompliziert Namen und Personenstand zu ändern, hat sich insgesamt die Situation für queere Menschen nicht wirklich verbessert. Uganda führte zuletzt die Todesstrafe für sexuelle Handlungen, an denen HIV-infizierte Personen beteiligt sind ein, der Tatbestand wird „Schwere Homosexualität“ genannt. In 69 Ländern wird Homosexualität kriminalisiert, bei Transgender sind es 13 Länder.

Doch auch Deutschland ist, anders als es uns das aggressive Regenbogen-Marketing im Pride Month suggerieren möchte, keine progressive und queerfreundliche Oase inmitten einer feindlich gesinnten Welt. In München empörten sich die AfD und die CSU über eine Lesung von Drag-Künstler:innen und einer 13 jährigen trans Autorin (die schließlich auf Grund der rechten Hetze nicht an der Lesung teilnahm). Die Lesung sollte in einer Kinderbibliothek stattfinden. Die CSU wollte diese gerichtlich verbieten lassen und selbst der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter äußerte harsche Kritik an dem Veranstaltungskonzept, bevor er sich (wahrscheinlich auf Grund medialen Drucks) wieder von seiner Aussage distanzierte. Die AfD meldete eine Demo gegen die Lesung an, an der sich auch die Identitäre Bewegung beteiligte. Über 1000 linke und feministische Menschen zeigten auf der Gegendemo Gesicht gegen die antifeministische, queerfeindliche und reaktionäre Politik der Rechten. Diese Demo für das Recht auf Selbstbestimmung queerer Menschen wurde von der Polizei körperlich angegriffen, es wurden Personen herausgezogen, andere erlitten durch die Polizeigewalt Verletzungen.

Im Vorfeld der rechten Demo hatten die Linkspartei Bayern und ein Münchner Pfarrer eine Anzeige gegen die AfD erstattet, die mit queerfeindlichen Plakaten und Slogans wie „Hände weg von unseren Kindern! Genderpropaganda verbieten!“ für die Veranstaltung warb. Die Anzeigeerstatter:innen werfen der AfD Volksverhetzung vor. Das Plakat ist ohne Frage diskriminierend und schädlich, jedoch ist unser bürgerliches Justizsystem nicht der richtige Partner, um für queere Befreiung zu kämpfen. Die Gerichte, die Lina E. für fünf Jahre in den Knast stecken um einen Präzedenzfall zu schaffen, die das Urteil fällen, dass Oury Jalloh nicht durch Mord umgekommen sei, sondern durch einen Unfall. Diese gleichen Gerichte sollen den kapitalistischen und unterdrückerischen Status Quo aufrecht erhalten und werden, genauso wie die Polizei, ausgebeuteten und unterdrückten Menschen nicht zur Hilfe kommen.

Bundesweit hat auch die selbsternannte „Fortschrittskoalition“ noch nicht viel für queere Menschen getan, abgesehen davon, einen offiziellen Queer-Beauftragten der Bundesregierung einzuführen und einen Entwurf für das langersehnte Selbstbestimmungsgesetz vorzulegen, der jedoch vollkommen unzureichend ist und lediglich die finanziellen und bürokratischen Hürden für Namens- und Personenstandsänderungen senkt. Nicht angetastet werden die umständlichen und diskriminierenden Vorgaben bezüglich medizinischer Transitionsschritte. Seit vielen Jahren kämpfen queere und feministische Aktivist:innen für die Abschaffung des diskriminierenden „Transsexuellengesetzes“, welches unter anderem erniedrigende Gutachten vorsieht, bei denen intime Details des Lebens, bis hin zum Masturbationsverhalten abgefragt werden. Allein auf diese jahrzehntelangen Kämpfe ist es zurückzuführen, dass jetzt die Abschaffung im Bundestag diskutiert wird.

Einfache Reformen wie das Selbstbestimmungsgesetz können allerdings durch entsprechende Gesetzesänderungen rückgängig gemacht werden, wenn die Regierungen dies für sinnvoll halten. Falls uns in der nächsten Legislaturperiode Friedrich Merz als Kanzler erwartet, ist eine Rücknahme oder weitere Abschwächung des Selbstbestimmungsgesetzes nicht unwahrscheinlich.

Mit der Ampelregierung ein gutes Leben erkämpfen?

Obwohl sich die Ampel sowie die Linkspartei als das geringere Übel gegen den steigenden Rechtsruck darstellen, passiert das also nur in Worten. Denn im Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetzt biedert sich die Ampel rechten Stimmen an, die meinen trans Frauen und nicht-binäre Menschen, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugeordnet wurde, seien Männer. Die Ampel behält sich vor, eben jene Menschen im Verteidigungsfall einziehen zu können. Vor dem Gesetz wird trans Personen ihr Geschlecht also nur anerkannt, solange sie den Interessen des Deutschen Kapitals nicht im Weg stehen. Neben der feministischen Außenpolitik ist also auch die feministische Innenpolitik der Ampel alles andere als fortschrittlich.

Im Zuge der Aufrüstung seit dem Ukraine Krieg und der damit einhergehenden Militarisierung nach innen, zeigt sich also eine neue Komponente der kapitalistischen Geschlechterordnung. Auch eine Ampelregierung hat kein Interesse daran, für eine tatsächliche Selbstbestimmung von trans Menschen zu kämpfen, denn die Profite und das Funktionieren des Staates, den sie mitverwaltet hängen davon ab, dass es immer noch Frauen sind, die unbezahlte Reproduktionsarbeit verrichten und das stets genügend Menschen da sind, die im Kriegsfall als Kanonenfutter dienen können.

Ein Grund für die verschärfte Gewalt, sei sie physisch oder juristischer Natur, ist nicht der Augenmerk auf das Kindeswohl, wie von Seiten der AfD und CDU/CSU gern argumentiert wird, sondern die Notwendigkeit der bürgerlichen Kleinfamilie für das Bestehen des Kapitalismus. Denn der Kapitalismus labt in großen Teilen von der unbezahlten Haus- und Reproduktionsarbeit, die hauptsächlich von Frauen verrichtet wird. Dazu gehören beispielsweise Putzen, Kochen, Kinderbetreuung, Krankenverpflegung und das Zeugen von zukünftigen Arbeiter:innen. Die Zeiten, in denen nur Männer arbeiten durften und Ehefrauen dementsprechend die Hausarbeit verrichten mussten, sind vorbei, doch Reproduktionsarbeit lastet im Privaten weiterhin auf weiblichen Schultern.

Queere Menschen stellen im Kapitalismus also eine Art Anomalie dar. Sie greifen sein Verständnis von Geschlecht und Familie an. Wenn wir verstehen, woher die Spaltung im Kapitalismus kommt und wie schädlich die kapitalistisch-patriarchale Einteilung der Geschlechter und der Arbeit ist, so erkennen wir, dass wir den Kampf für queere Befreiung nicht innerhalb des Kapitalismus vornehmen können, sondern dieses ausbeuterische und unterdrückerische System überwinden müssen. Daher setzte der Staat oberflächlich auch alles daran, queere Menschen in seine Institutionen zu integrieren. Im Namen der Repräsentation (queere Bundestagsabgeordnete, queere Schauspieler:innen und so weiter) soll uns weis gemacht werden, queere Menschen hätten eine Zukunft in diesem System. Die Gesetze, die Hürden zur medizinischen Versorgung, die schlechten Arbeitsbedingungen und die Häufung von queerfeindlicher Gewalt zeichnen ein anderes Bild.

Wir erkennen, dass der Staat, für den Fortschritt heißt, dass auch trans Personen in den Krieg ziehen dürfen, nicht nur kein Interesse an queerer Befreiung hat, sondern aktiv von queerer Unterdrückung profitiert und deswegen auch nicht mit Reformen zum besseren gewandelt werden kann. Um uns tatsächlich aus den ausbeuterischen und unterdrückerischen Zwängen des Kapitals zu befreien, müssen wir den Staat und den Kapitalismus zerschlagen, und zwar selbstorganisiert.

Wir müssen uns gegen queerfeindliche Gewalt organisieren!

Diese Selbstorganisierung in Unabhängigkeit vom bürgerlichen Staat und seinen Institutionen ist notwendig. Die Arbeiter:innenklasse, die queerer ist als je zuvor, steht für uns im Zentrum des Kampfs gegen den patriarchalen und queerfeindlichen Kapitalismus. Nur sie kann über Freiräume hinaus einen strukturellen Wandel erkämpfen. Ein Beispiel für die  Selbstorganisierung am Arbeitsplatz ist der Kampf in der Druckerei Madygraf in Argentinien. Ursprünglich durften durch die sexistische Politik der Chefs nur Männer dort arbeiten. Nachdem sie sich als trans outete, erfuhr eine Beschäftigte queerfeindliche Repression durch ihre Bosse. Die Beschäftigten aber schlossen sich zusammen und kämpften gegen das queerfeindliche Manöver der Geschäftsleitung und für den Bau einer Toilette und Umkleide extra für sie. Heute wird Madygraf von den Beschäftigten selbst verwaltet.

Die Kämpfe gegen schlechte Arbeitsbedingungen und Ausbeutung sind nicht getrennt vom Kampf gegen queerfeindliche Unterdrückung. Für uns ist die Arbeiter:innenklasse das zentrale Subjekt, welches gegen ökonomische Ausbeutung kämpfen kann und die Mittel hat, ein anderes System zu erkämpfen. Dadurch, dass ohne die Arbeiter:innen Krankenhäuser, Fabriken, der Verkehr, die Metallindustrie und so weiter nicht laufen würden, haben sie die Macht, durch Streiks Teile der Produktion und der Infrastruktur lahmzulegen, und damit die Profite der Kapitalist:innen anzugreifen. Und damit hat die Arbeiter:innenklasse auch die Macht, für ein System zu kämpfen, in dem die materiellen Grundlagen von Unterdrückung beseitigt sind.

Das Kampfmittel der Arbeiter:innenklasse im Kampf für eine bessere Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung sind Streiks. Damit diese ihre volle Macht entfalten können, müssen sie politisiert werden. Die Forderungen dürfen nicht bei höheren Löhnen stehen bleiben, sondern auch politische Forderungen müssen angegangen werden. Zum Beispiel auch feministische Forderungen und Forderungen für queere Befreiung. So sollten wir für ein echtes Selbstbestimmungsgesetz, für kostenlose Verhütungsmittel, für die vollständige Kostenübernahme für medizinische Transition und für das vollumfängliche Recht auf sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche streiken.

Wenn du mehr über das Thema erfahren und mit uns diskutieren möchtest, komm zu unserem Sommercamp im Zeitraum 31. August – 3. September in Bayern. Dort wird es viele spannende Workshops geben, unter anderem „Von SPD, Bergarbeiter:innenstreiks und Gay Liberation Front: Wie Arbeiter:innen für queere Befreiung kämpfen“. Schau dir hier das Programm an und schreib uns eine Mail an info@klassegegenklasse.org oder eine DM auf Twitter oder Instagram, wenn du dich anmelden möchtest oder noch weitere Fragen hast.

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